"Wollen Sie was trinken? Haben Sie schon die Terrasse gesehen?" Nazar Nydza öffnet seine Skijacke, atmet durch und lässt sich in der Lobby des Sporthotels Semmering in einen Sessel fallen. Wäre es draußen nicht schon dunkel, könnte man durch die Scheibe die unverbaute Aussicht ins Tal genießen. Im Herbst fliegen hier die Wolken am Fenster vorbei, in den kalten Monaten bleibt der Steirer Nebel in den Tälern hängen. "Diese Anlage hat unglaublich viel Potenzial", sagt Nydza. Das habe die Renco-Investmentgruppe, für die Nydza arbeitet und der ein Teil der Bergbahnen und das Hotel Panhans im Ort gehört, erkannt. Vor der Saison 2013/14 kaufte sie sich in den Ort ein, unter anderem in das Sporthotel.

Semmering, Niederösterreich

Das Hotel, dessen alter Namen seinen neuen Besitzern nicht besonders gut gefällt, war einmal ein Kurhotel des ÖSV. Als es gebaut wurde, mussten die Gäste mit einer Seilbahn von der Straße unten hinaufbefördert werden. Einige der Betonsäulen stehen noch auf dem Hang. Es ist ein Saisonhotel, das heißt: Es ist etwa vier Monate im Sommer geöffnet und vier im Winter, je nach Wetterlage. 95 Zimmer, Platz für über 160 Gäste. Noch ist aber die Woche vor Weihnachten, Vorsaison. Nur ein paar versprengte Familien wandern über die Teppiche in den Gängen.

Investoren haben Potenzial im Sporthotel Semmering erkannt, es wird unter der Führung von Nazar Nydza kräftig umgebaut.
Foto: Nikolaus Ostermann

"Ab dem 25. Dezember geht’s hier los", sagt Nydza. Im Winter sei das Hotel gut ausgelastet: Im Jänner seien es manchmal bis zu 100 Prozent, im Februar etwas schwächer. Die Zimmer sind auf den Stand der 1990er-Jahre. Wie der Ort Semmering selbst hat auch das Sporthotel ein bisschen zu viel Patina. Das wissen die Betreiber und wälzen im Kopf schon Modernisierungspläne. Über den Sommer sind zwei neue Saunas hinzugekommen, größere Projekte werden folgen.

Als Skigebiet wird der Semmering eher für Tagesausflüge genutzt. Die Wiener, Grazer und Niederösterreicher kommen hier oft am Nachmittag an, nutzen den Nachbetrieb der Seilbahnen und fahren später wieder heim. Und auch wer im Sporthotel Semmering übernachtet, bleibt durchschnittlich nur zweieinhalb Tage. "40 Prozent unserer Übernachtungen kommen aus dem Ausland", sagt Nydza. "Seit die Corona-Beschränkungen gelockert wurden, sehen wir wieder viele Reisende aus den östlichen Nachbarländern."

Hotelier Nazar Nydza: "Corona war eine Katastrophe, aber jetzt schaut es bei den Nächtigungen wieder ganz gut aus."
Foto: Nikolaus Ostermann

Der Sommertourismus wird, wie überall anders auch, immer wichtiger. Außerhalb der wirklich großen Skigebiete gibt es kaum noch reine Winterhotels. "Die Tendenz bewegt sich natürlich auch bei uns dorthin, dass man beide Saisons bespielen muss", sagt Nydza. Es gibt einen großen Spielplatz, 2022 wurde ein neuer Kletterpark eröffnet. Das Arbeitskräfteproblem löste man, indem man sich um geflohene Fachkräfte aus der Ukraine bemühte.

Die Stimmung im Sporthotel ist nicht schlecht. "Corona war für alle eine Katastrophe, was die Nächtigungszahlen anging", sagt Nydza. Aber jetzt schaue es ganz gut aus: Die Pandemie sei unter Kontrolle, für die steigenden Energiekosten gebe es staatliche Hilfen. "Die Hoffnung, dass Normalität zurückkehrt, ist da."

Trahütten, Steiermark

Der Schnee will nicht so, wie die Touristiker wollen. Es ist die Woche zwischen den Jahren, die Ferien haben begonnen, und überall reden sie von "Rekordtemperaturen". Das fällt weniger auf als im Sommer, weil es nicht 40 Grad hat. Aber die Bilder der weißen Schneebänder, die sich dünn von den grün-braunen Berghängen abheben, gehen durch die Medien. Oben auf der Koralpe, im steirisch-kärntnerischen Grenzgebiet, schaut es weißer aus. Von der Passhöhe auf 1666 Metern ziehen die Lifte Wintersportler weiter hinauf. Der Parkplatz des vor allem regional genutzten Skigebiets ist gesteckt voll. Die Autos kommen aus Deutschlandsberg (DL), Leibnitz (LB) oder Graz (G).

In manchen Regionen fehlt der Schnee, auf der Koralpe im steirisch-kärntnerischen Grenzgebiet sieht es besser aus.
Foto: Nikolaus Ostermann

Knappe 15 Minuten von dem Skigebiet entfernt, noch im steirischen Hügelland, liegt der Alpengasthof Koralpenblick der Familie Smolana, von dem man – wie der Name schon sagt – einen fantastischen Blick auf die Koralpe hat. "Mir tut das Herz weh, wenn ich da rausschaue", sagt Peter Smolana, der Vater. "Wobei es heute eh nur vier Grad hat, vor gestern hatten wir zwölf Grad." Vor 30 Jahren habe man hier in Tra hütten, auf 1000 Meter Höhe, noch Ski fahren gehen können. Es gab drei Lifte im Ort. Familie Smolana baute ihren Lift 2005 ab, kurz danach folgte der zweite. Der dritte Bauer dachte, mit Beschneiung und am Nordhang würde es noch länger gehen, und fiel finanziell tief. "Als Kind bin ich aussi und owi", raus und runter, sagt Smolana. Er ist auf dem Bauernhof aufgewachsen, seine Großmutter startete die Beherbergung in den 50er-Jahren. "Es war überall Schnee, du hast richtig Gusto bekommen. Wo hast du das noch?" Die Investitionskosten würden immer höher, bei sinkender Begeisterung in der Bevölkerung.

Der Gasthof ist ein klassischer Familienbetrieb. Eva Smolana schmeißt die Gastronomie mit fünf externen Mitarbeitern, ihr Mann kümmert sich um die anderen Standbeine wie die Landwirtschaft und Energieerzeugung ("Wir leben nicht nur vom Tourismus, das ist in Zeiten wie diesen kein Nachteil"). Und auch der Rest der Familie packt mit an.

Das Ehepaar Peter und Eva Smolana betreibt in Trahütten den Alpengasthof Koralpenblick. "Der Winter macht es uns wirklich nicht leicht."
Foto: Nikolaus Ostermann

Die Smolanas haben die Umstellung schon vor 20 Jahren gemacht, der Sommer ist heute stärker als der Winter. Übernachtungsgäste, die zum Skifahren kommen, hat die Familie nurmehr wenige. Sie kommen meist aus Slowenien oder Kroatien. Ab mittags kehren aber viele einheimische Skifahrer bei ihm ein. "Gäbe es das Skigebiet nicht, könnten wir im Winter unter der Woche zusperren." Das ist das, wovor sich viele fürchten, wenn es um ein mögliches Ende des Wintertourismus geht: Skigebiete haben eine Umwegrentabilität, bringen also Geld in den Ort. Als der Malteserorden 2015 seine Skilifte an der nahen Hebalm schloss, traf das die Region hart.

Smolana liebt den Winter, aber er macht es ihm nicht leicht. "Ich bewundere jeden, der in die Branche Wintertourismus investiert, auch in höheren Orten", sagt er. "Mich wundert, dass die Wintersportorte nicht viel stärker für eine Begrenzung der CO2-Emissionen trommeln."

Mayrhofen, Tirol

In den klassischen Tourismusdestinationen reißen die Investitionen nicht ab. Was aber nicht nur mit touristischem Größenwahn zu tun hat, sondern auch damit, dass in den Familienbetrieben immer wieder eine neue Generation ans Ruder kommt. Das Hotel Neue Post in Mayrhofen im Zillertal zum Beispiel wird seit 2015 von Willi Pfister geführt. Das Haus ist seit 1930 im Besitz der Familie, der 39-jährige Willi ist die vierte Generation. "Ich bin zeitlebens im Hotel und in der Gastro aufgewachsen", sagt Pfister in unverkennbarem Tirolerisch. "Wir sind junge, engagierte Leute und wollen etwas mit dem Haus machen." Das Hotel hat 97 Zimmer und knapp 200 Betten. Ein modernes, mittelgroßes Haus zu führen ist zeitaufwendig: Pfister steckt in vielen Meetings, sein Handy klingelt fast unentwegt.

Das Zillertal und die angrenzenden Täler kennt man weltweit für ihre Skigebiete, die sich – wie mittlerweile üblich – zu großen Erlebniswelten wie der "Zillertal Arena" zusammengeschlossen haben. Seit jeher kommen viele Engländer nach Mayrhofen – im April findet seit Jahren das Snowbombing-Festival statt, das sich fast nur an Engländer richtet –, auch die Niederländer sind stark vertreten. Die Deutschen kommen mit dem Auto und besetzen die Parkplätze im Ort.

Das Hotel Neue Post in Mayrhofen
Foto: Nikolaus Ostermann

Das Hotel ist gut gefüllt, im Winter liegt die Auslastung bei etwa 90 Prozent. "Gefühlt sind es heuer etwas weniger Engländer, das kommt wahrscheinlich durch den Brexit", sagt Pfister. Schon vor den Lockdowns fasst die Familie den Plan, das Hotel grundlegend umzubauen. Allerdings in mehreren Schritten, weil die Oma noch im Haupthaus wohnt. Als sie im April 2020 stirbt, be schließen die Pfisters, alles auf einen Rutsch zu machen. Ab Februar 2021 bis Jahresende wird das Hotel renoviert und umgebaut.

Keine Angst, dass der Wintertourismus irgendwann abreißt? "Nein, absolut nicht", sagt Pfister. Der Wintertourismus werde seinen Charme nie verlieren, außerdem sei er nicht mit Skifahren gleichzusetzen. "Mittlerweile kommen viele Menschen zum Rodeln oder Winterwandern zu uns."

Keine Angst, dass der Wintertourismus irgendwann abreißt? "Nein, absolut nicht", sagt Willi Pfister, der das Hotel Neue Post führt.
Foto: Nikolaus Ostermann

Das ist das, was man hört, egal wo man hinfährt: Die zentrale, kompakte Skisaison von Ende Dezember bis April ist weiterhin wichtig, ihre Wichtigkeit nimmt aber trotzdem relativ gesehen ab. Das Wachstum kommt eher durch die Sommeraktivitäten oder das breitere Angebot im Winter. Viele Hotels, die im Winter voll sind, haben mittlerweile auch im Sommer eine Auslastung von 70 bis 80 Prozent. Das ist auch im Hotel Neue Post nicht anders. Vielleicht ist es auch gar nicht so, dass der Wintertourismus einfach nur mehr oder weniger wird, sondern dass er eine Transformation durchläuft. "Man muss den Gästen ein Angebot machen, dann kommen sie auch", sagt Pfister. "Das gilt für unser Hotel genauso wie für die Bergbahnen."

Fährt man das Zillertal in der ersten Woche des neuen Jahres entlang, dann sieht man die schmalen weißen Bänder, die sich in regel mäßigen Abständen zu den Talstationen schlängeln. Hier unten, auf 600 Meter Höhe, wirkt das surreal, oben passt es wieder mit dem Schnee. Die Touristiker würden sagen: zum Glück. Denn auch wenn sich alle klugen Tourismusgebiete Gedanken machen, wie man unabhängiger vom Schnee werden kann – ganz ohne ihn geht’s eben nicht. (Jonas Vogt, 14.1.2023)