Der französische Regisseur Laurent Cantet erkundet mit seinem zweiten Spielfilm "L'emploi du temps" erneut zeitgenössische Arbeitswelten. Vincent (Aurélien Recoing), arbeitslos, hat ein kompliziertes System entwickelt, seine Arbeitslosigkeit vor der Umwelt geheim zu halten. Er ist Manager seiner selbst beziehungsweise seiner Zwangslage geworden und erfindet sich eine fiktive Existenz samt Anstellung bei einer UN-Organisation in Genf, leiht sich das Kapital für den Kauf einer "Zweitwohnung" und investiert Gelder von Ex-Kollegen, die er vorgeblich lukrativ veranlagt, in einen neuen, geländegängigen Wagen für seine ausgedehnten Fahrten. Denn die sozialen Beziehungen sind in Laurent Cantets Film an spezifische Räume rückgebunden, zwischen denen Vincent in seiner mobilen Kommandozentrale samt Handy pendelt: das aufgeräumte Eigenheim mit Frau und drei Kindern, die Villa der Eltern oder sein Refugium im Gebirge versus Autobahnraststätten, Lobbies, Aufzüge und Stahlglas-Bürokomplexe, in denen einer wie Vincent, adrett und immer zielstrebig, nicht weiter auffällt. Zugleich sind diese Räume allerdings auch von Barrieren durchzogen, die ihn von den anderen und ihren Leben trennen. Cantet inszeniert häufig auf zwei Ebenen im Raum - vor und hinter einer gläsernen Begrenzung, die zwar Einblick, aber nicht unbedingt Zutritt gewährt: Einmal sieht Vincent in der Abenddämmerung heimlich aus der Ferne der Familie eines alten Freundes und Kollegen zu, wie sie sich durch ihre hell erleuchtete Wohnung bewegt. Der Freund, einst ebenfalls entlassen, hat einen anderen Weg gewählt und arbeitet nun im Heimstudio an Musikkompositionen, während seine Frau fürs Familieneinkommen sorgt. An sein ehemaliges Büro, untergebracht in einem modernen Flachbau mit rundum durchgängiger Fensterfront, pirscht sich Vincent vorsichtig von außen heran. Und auch die Kampfsportübungen seines Sohnes verfolgt er aus Distanz durch eine große, transparente Scheibe. Einen, der diese Barriere durchbricht, lernt Vincent schließlich in einer Hotellobby kennen: Jean-Michel bietet Vincent Beteiligung an seinem illegalen Vertrieb von Markenimitaten aller Art an. Auch er beherrscht das Spiel mit "Insiderwissen" und Umgangsformen, ist in der Lage, situationsbezogen seinen Worten das Gewicht (und seinem Tun die Bedeutung) zu geben, die das Gegenüber in Sicherheit wiegt: Eingeladen bei Vincents Familie stellt er sich als Beamter vor, der gegen Schattenwirtschaft ermittelt. Serge Livrozet spielt diesen Mann - ehemals Werbechef, Weggefährte von Michel Foucault, Autor und selbst wegen Betrugs in Haft. Eine Entdeckung Cantets für die Leinwand, ein Gesicht, das man so schnell nicht vergisst. Auch wenn Laurent Cantet sich nicht für alle Zeit als Chronist zeitgenössischer Arbeitswelten sehen will, so hat er mit L'emploi du temps nach Ressources humaines nun bereits seinen zweiten Film rund um diese Thematik gedreht. Und neuerlich ist ihm gelungen, diese vom Erzählkino vernachlässigte Sphäre eigenwillig zu beleuchten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 10. 2001)