Über Sigmund Freud, den Zionismus und Wien im März. Der renommierte palästinensische Literaturwissenschaftler Eward Said , der am Anfang Mai im Freud Museum einen Vortrag halten sollte, über die Hintergründe seiner Ausladung durch die Freudgesellschaft. Es ist nicht meine Art, mich selbst als Exempel zu statuieren, doch gestatte ich mir diese Ausnahme, weil der Vorfall so verdreht dargestellt wurde, dass er helfen könnte, den Hintergrund zu beleuchten, vor dem der palästinisch-zionistische Kampf abläuft. Ende Juni, Anfang Juli 2000 besuchte ich meine Familie im Libanon und hielt zwei öffentliche Vorlesungen. Wie die meisten Araber, besichtigten wir die vor kurzem evakuierte "Sicherheitszone im Südlibanon, die von Israel 22 Jahre lang militärisch besetzt war, und aus der die Truppen des jüdischen Staates vom libanesischen Widerstand unsanft rausgeworfen wurden. Am 3. Juli fuhren wir zum berüchtigten Khiam Gefängnis, 1987 von den Israelis erbaut, in dem 8.000 Menschen gefoltert und unter grausamen Bedingungen festgehalten wurden. Dann ging's zu einem von den Israelis aufgelassenen Grenzposten in einer menschenleeren Gegend, wenn man von den libanesischen Touristen absieht, die mit einem letzten Steinwurf über die nach wie vor schwer befestigte Grenze eine symbolischen Akt setzen. Israelis, in Uniform oder in Zivil, waren weit und breit nicht zu sehen. Das Foto wurde ohne mein Wissen während eines 10-minütigen Aufenthalts gemacht, als ich einen kleinen Stein warf, gleichsam im Wettkampf mit einigen jüngeren Männern, wer wohl am weitesten wirft, ohne ein besonderes Ziel im Visier. Vor uns lag gähnende Leere. Zwei Tage später erschien mein Bild in den Zeitungen Israels und der westlichen Welt. Ich wurde als steinwerfender Terrorist dargestellt, als Mann der Gewalt und so weiter und so fort wie das eben im Chor der Denunzianten üblich ist, allen vertraut, die sich den Zorn der zionistischen Propaganda zugezogen haben. Die Ironie dieser Geschichte ist, dass ich in mindestens acht Büchern über Palästina zwar für den Widerstand gegen die zionistische Besetzungspolitik, aber für nichts anderes als friedliche Koexistenz zwischen uns und den Juden Israels plädiere, sobald Israel aufhört, die Palästinenser militärischen zu unterdrücken. Meine Bücher wurden in mindestens 35 Sprachen übersetzten. Ich darf annehmen, dass meine Position hinlänglich bekannt und meine Botschaft unmissverständlich klar ist. Unerwähnt blieb, dass der Kieselstein klein war, unerwähnt blieb, dass ich den Stein ungezielt warf, dass kein Israeli weit und breit zu sehen war, dass niemand in Gefahr geriet, verletzt zu werden. Dann weitete sich die Kampagne aus, ich sollte von der Universität entlassen werden, wo ich seit 38 Jahren unterrichte. Zeitungsartikel, Kommentare, anonyme Briefe und Morddrohungen sollten mich einschüchtern und mundtot machen. Einige meiner Kollegen entdeckten plötzlich ihre Zugehörigkeit zum Staate Israel. Der Versuch - einen Zusammenhang des harmlosen Vorfalls im Südlibanon zu meinem Leben und meiner Arbeit herzustellen - entwickelte sich zur Schmierenkomödie. Deren jüngste Episode ist wahrscheinlich die traurigste und beschämendste. Ende Juli 2000 fragte mich die Direktorin des Freud Museums in Wien, ob ich bereit wäre, die jährliche Vorlesung über Freud im Mai 2001 zu halten. Ich sagte zu und erhielt am 21. August eine offizielle Einladung, unterzeichnet vom Präsident der Freud-Gesellschaft im Namen des Vorstands. Ich antwortete prompt, da ich mich seit Jahren mit Freud befasse und ihn als Mensch und Wissenschafter bewundere. Das Thema meines Vortrags lautet "Freud and the Non-European". Ich wollte belegen, dass Freuds Arbeit zwar Europa betraf, sein Interesse an alten Zivilisationen (Ägypten, Palästina, Griechenland, Afrika) hinreichend die Universalität seiner die ganze Menschheit umfassenden Einstellung bewies. Auch damit unterschied er sich vom Provinzialismus der Zeitgenossen, für die nichteuropäische Kulturen zweitrangig oder minderwärtig waren. Am 8. Februar dieses Jahres sagte mir der Präsident der Freud-Gesellschaft, Soziologe und Univ. Professor Dr. Johann Schülein, der Vorstand hätte beschlossen, meinen Vortrag zu streichen, wegen (so seine Worte) der "politischen Situation und ihrer Auswirkungen" im Nahen Osten. In über 30 Jahren meiner Vortragsreisen in der ganzen Welt ist mir so etwas nicht passiert. In einem kurzen Brief stellte ich die Frage an Schülein, was ein Vortrag über Freud mit der "politischen Situation im Nahen Osten" zu tun habe. Sie wurde nie beantwortet. Dafür veröffentlichte die New York Times am 10. März eine Geschichte darüber, geschmückt mit der berühmten ins Groteske vergrößerten Fotographie aus dem Südlibanon, die etliche Wochen vor der Einladung im August aufgenommen wurde. In einem Interview hatte Schülein die Unverschämtheit, auf das Foto zu verweisen und zu sagen, wozu er mir gegenüber nie den Mut hatte, dass sie (ebenso wie meine Kritik an den von Israel besetzten Territorien) der Grund für die Absage sei. Schließlich könnten sich Wiener Juden, aus historischen Gründen und wegen der innenpolitischen Situation durch Jörg Haider, beleidigt fühlen. Dass ein ernst zu nehmender Universitätsprofessor so einen Stumpfsinn aussprechen kann, übersteigt mein Vorstellungsvermögen, dass er es tut, obwohl Israel Palästinenser täglich erbarmungslos verfolgt und sogar tötet - das ist unredlich. Was diese Freudianer in ihrer Kleinmut öffentlich nicht erwähnten, war der wahre Grund ihrer Geschmacklosigkeit. Die Absage war die Gegenleistung für Spenden aus Israel und den USA. Und man hofft, dass eine Ausstellung der Freudgesellschaft, die in Wien und New York zu sehen war, auch in Israel gezeigt wird. Offenbar haben potenzielle Sponsoren angedeutet, dass sie die Ausstellung in Tel Aviv finanzieren, vorausgesetzt mein Vortrag findet nicht statt. Der Vorstand in Wien hat mich ausgeladen, nicht weil ich Gewalt und Hass predige, sondern weil ich es eben nicht tue. Die Nazis haben Freud aus Wien verjagt, und Österreich hat zugeschaut. Derselbe Mut und dieselbe intellektuelle Redlichkeit zeichnet auch jene aus, die heute einem Palästinenser verbieten, in Wien einen Vortrag zu halten... Ich bin der Meinung, dass unsere Rolle als Volk darin besteht, der zionistischen Vision die Vision eines gerechten Frieden entgegenzustellen, eine Alternative, die auf Gleichheit beruht und verbindet, nicht auf Apartheid und Ausgrenzung. Es liegt an uns, diese Abart des Zionismus zu überwinden und unsere Botschaft eines gerechten Friedens weiterzutragen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 3. 2001)