Das Stuttgarter Ende.
EPA/MOHAMED MESSARA

Stuttgart – Der Fußballgott bleibt seinem Faible für Grausamkeit bei der EM treu. Gastgeber Deutschland wähnte sich im Viertelfinale gegen Spanien bereits in einem leistungsgerechten Elfmeterschießen, ehe Mikel Merino das Match in der 119. Minute mit seinem Treffer zum 2:1 entschied. Die starke Leistung der Deutschen gegen die im bisherigen Turnier überragenden Spanier blieb unbelohnt.

Julian Nagelsmann baute in Stuttgart erstmals auf Emre Can, Robert Andrich blieb draußen. Jonathan Tah kehrte von seiner Gelbsperre zurück und schickte Nico Schlotterbeck auf die Bank, Leroy Sané bekam abermals den Vorzug vor Florian Wirtz.

Ruppiger Start

Spanien gab den Takt vor, Pedri schloss eine feine Kombination aber mit einem weniger feinen Flachschuss ab (1.). Toni Kroos nahm den Spanier danach mit einem heftigen Foul aus dem Spiel, kam aber ohne Gelb davon (4.). Gleiches galt zwei Minuten später, als Kroos Lamine Yamal auf den Fuß stieg. Der am Knie verletzte Pedri wurde von Dani Olmo ersetzt. Antonio Rüdiger begrüßte diesen etwas zu rustikal und sah die erste Gelbe (14.), Yamal schummelte den fälligen Freistoß an Mauer und Tor vorbei.

Es ging flott hin und her, das Höchste der deutschen Gefühle waren aber vorerst zum Goalie abgefälschte Hereingaben. Auf der anderen Seite schoss Olmo aus 17 Metern drüber. Ein Havertz-Kopfball fiel ebenso zu unplatziert aus wie Aymeric Laportes Gewaltschuss.

Der Gastgeber hatte leichtes Oberwasser, kassierte in Person von David Raum aber die nächste Verwarnung (28.). Spaniens Robin le Normand zog flott nach. Rüdiger fand Kai Havertz mit einem langen Ball, der zog aus der Drehung ab – zu schwach (35.). Echte Großchancen konnten sich die favorisierten Spanier nicht erarbeiten. Mittel der Wahl war der Lochpass auf Flügelflitzer Nico Williams, der war aber latent abseitsgefährdet und stets gut bewacht. Pausenstand: 0:0.

Yamal, Olmo, Tor

Nagelsmann ersetzte Can und Sané zur Pause durch Andrich und Wirtz. Minute 47: Yamal spielt Alvaro Morata sieben Meter vor dem Tor an, der gerät beim Schuss aber entscheidend in Rücklage – drüber. Es war bis dahin die beste Chance, doch es sollte bald eine noch bessere kommen. Minute 51: Yamal wird rechts eingesetzt und hat die Übersicht für den aus der zweiten Reihe heranrasenden Olmo, der versenkt den Ball mit dem Innenrist links im Tor.

Der Stuttgarter Jubel.
EPA/RONALD WITTEK

Das Tor brachte Schwung – und zwar den Deutschen. Die Gastgeber spielten sich mehrfach in den Strafraum, produzierten aber keinen Abschluss. Andrich ließ Williams die Stollen spüren, es war seine zweite Gelbe im Turnier. Nagelsmann brachte Maximiliam Mittelstädt und Niclas Füllkrug statt David Raum und Kapitän Ilkay Gündogan. Kroos unterband einen Konter mit einem taktischen Foul und holte sich mit Verspätung doch noch seine Karte.

Spanien bespielte die neu eröffneten Räume nicht mit letzter Präzision, so baute Deutschland langsam Druck auf. Einige Flanken fanden keinen Abnehmer, Havertz’ Schuss aus zwölf Metern grätschte Dani Carvajal ab (72.). Die Karten-Fiesta ging weiter, Mittelstädt und der für Yamal eingewechselte Ferran Torres wurden verwarnt.

Später Ausgleich

Die Einschläge kamen näher. Wirtz entwischte Marc Cucurella rechts, seinen Querpass verarbeitete Füllkrug mit viel Geschick direkt, der Ball sprang von der Stange zurück (77.). Spaniens Spielaufbau war nun viel zu hektisch, dementsprechend kurz blieben die Ballbesitzphasen. Williams und Morata hatten Feierabend, Mikel Merino und Mikel Oyarzabal kamen. Nagelsmanns letzter Joker hieß Thomas Müller.

Kroos hat fertig.
AFP/MIGUEL MEDINA

Havertz bestrafte einen verunglückten Abschlag von Simón beinahe, sein Lupfer segelte aber erst über den herausgeeilten Torwart und dann über dessen Tor (82.). Mittelstädts Schuss nach einer originellen Eckballvariante schaffte es nicht durch den Wald der Beine (88.), Spanien schenkte den Ball aber schnell wieder her – und wurde bestraft. Kimmich köpfelte eine Mittelstädt-Flanke zurück, Wirtz traf halbvolley via Innenstange ins lange Eck (89.).

Füllkrug und Müller verpassten nach Flanken die Entscheidung (90.+4), es mussten Überstunden her. In der Pause hatte Spanien seine offensive Struktur wiedergefunden. Oyarzabal ließ die deutschen Herzen einen Moment stehenbleiben, sein Aufsitzer zischte am langen Eck vorbei (103.). Wirtz gelang nach Müller-Vorarbeit fast eine Kopie des 1:0, sein Schuss streifte die Außenstange.

Kein Elfmeter

Teil zwei der Verlängerung begann mit Diskussionspotenzial. Ein wuchtiger Musiala-Schuss traf Cucurella im Strafraum an der Hand, weder Schiedsrichter Anthony Taylor noch der VAR betrachteten das als elfmeterwürdig. Simón entschärfte einen Füllkrug-Hechtkopfball mit einer grandiosen Parade (117.).

Das Elferschießen wärmte sich schon an der Outlinie auf, um als Scharfrichter zu dienen. Und wurde in der 119. Minute gnadenlos heimgeschickt. Olmo flankte von links in den Strafraum, Merino stand eigentlich nicht ideal zum Ball, verdrehte den Körper im Flug virtous und köpfelte unhaltbar ins Kreuzeck. 2:1.

Torres lief alleine auf das Tor zu, verpasste aber die Entscheidung (122.). Füllkrug durfte in der 123. Minute noch einmal unbedrängt köpfeln, der Ball flatterte um Zentimeter am Tor vorbei. Carvajal rang Musiala taktisch nieder und verabschiedete sich mit Gelb-Rot (126.). Kroos zwirbelte noch einen letzten Freistoß in Simóns Hände, dann war Schluss. Für Kroos war es der finale Vorhang: "Dieser Traum, den wir alle hatten, der ist jetzt geplatzt", sagte er nach seinem letzten Spiel als Fußballprofi. (Martin Schauhuber, 5.7.2024)

Fußball-EM - Viertelfinale:

Spanien - Deutschland 2:1 nach Verlängerung (1:1, 0:0).
Stuttgart, SR Taylor (ENG).

Tore:
1:0 ( 51.) Olmo
1:1 ( 89.) Wirtz
2:1 (119.) Merino

Spanien: Simon - Carvajal, Le Normand (46. Nacho), Laporte, Cucurella - Rodri, Ruiz (102. Joselu) - Yamal (63. F. Torres), Pedri (8. Olmo), N. Williams (80. Merino) - Morata (80. Oyarzabal)

Deutschland: Neuer - Kimmich, Rüdiger, Tah (80. Müller), Raum (57. Mittelstädt) - Kroos, Can (46. Andrich) - Sane (46. Wirtz), Gündogan (57. Füllkrug), Musiala - Havertz (91. Anton)

Gelb-Rote Karte: Carvajal (120.+6/Foulspiel)

Gelbe Karten: Le Normand, Morata, F. Torres, Simon, Rodri, Ruiz bzw. Rüdiger, Andrich, Mittelstädt, Raum, Kroos, Wirtz, Schlotterbeck (Ersatz), Undav (Ersatz)