Seit Corona boomt die Prostitution in Wohnungen. Das ist nicht nur illegal, sondern auch gefährlich.

Für ihren allmonatlichen Wien-Besuch bucht Anastasia immer dasselbe Apartment auf Booking.com. Balkon, Klimaanlage, zwei Etagen – ein Wohn- und ein Arbeitsbereich. Die räumliche Trennung von Job und privat ist ihr wichtig. Etwa sechs bis acht Kunden empfängt sie an jedem der vier bis fünf Tage, die sie in Wien verbringt – vorzugsweise in deren Mittagspausen. Weil die meisten Kunden Frau und Familie hätten, wie Anastasia erklärt. Deshalb arbeitet sie ausschließlich an Wochentagen, und dann nur von 13 bis 21 Uhr. Wobei Anastasia lieber von "Diensten" spricht, die "in Anspruch" genommen werden. Ihre Arbeit, das ist ihr eigenes Unternehmen, das sie seit 24 Jahren in Budapest führt. Die Sexdienstleistungen, die sie bei ihren regelmäßigen Wien-Trips anbietet, seien ihr Hobby, sagt Anastasia. Ein ebenso einträgliches wie illegales Hobby.

Boom während Corona

Österreich gleicht, was die Bestimmungen für Sexarbeit betrifft, einem Fleckerlteppich, in dem jedes Bundesland mit jeweils eigenen Prostitutionsgesetzen regelt, was wo erlaubt ist. Eines gilt jedoch im ganzen Land: Das Anbieten von Sexdienstleistungen in Privatwohnungen ist verboten. Doch gerade der Bereich der sogenannten illegalen Wohnungsprostitution boomt seit der Corona-Pandemie. Kam es in Wien 2019 deshalb zu 40 Anzeigen, waren es 2021 bereits 867. Im Vorjahr zählte die Statistik der Wiener Polizei 614, heuer sind es bislang – Mai inklusive – 328.

Der Trend lässt sich auch an zwei weiteren Richtwerten festmachen: Gab es in Österreich vor Pandemiebeginn noch rund 800 Rotlichtbetriebe, sind es heute nur noch etwa 550, schätzt Gerald Tatzgern, Leiter der Abteilung gegen Schlepperei und Menschenhandel im Bundeskriminalamt, im Gespräch mit dem STANDARD. Die Zahl der registrierten Sexdienstleisterinnen sei im selben Zeitraum von 8000 auf circa 5000 zurückgegangen. Gleichzeitig konnten Sex-Kleinanzeigen-Websites wie booksusi.com ihre täglichen Aufrufe seit dem Corona-Ausbruch mehr als verdoppeln.

Den Erfolg des Online-Kontaktanzeigen-Business bestätigt auch ein Blick in den letzten Jahresabschluss des heimischen Marktführers Booksusi: 2019 betrug die Bilanzsumme noch 107.000 Euro, 2022 schloss das Unternehmen mit Sitz in Wien-Margareten mit rund 1,2 Millionen Euro ab.

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Themenwoche: Kriminalität, Sicherheit und Radikalisierung.
Illustration/ STANDARD

Krisengewinnler Susi und Co

Die Erotik-Onlineplattformen sind die großen Gewinner des Umbruchs, der sich gerade in der österreichischen Sexdienstleistungsbranche vollzieht. Die Verlierer: die Betreiber von Bordellen, Studios, Laufhäusern, Massagesalons und anderen einschlägigen Etablissements – und mitunter auch jene Frauen, die Sexdienstleistungen in Wohnungen anbieten.

Denn in den Wohnungen werden sie unsichtbar, es gebe dort keinerlei Schutzmechanismen, sagt Gerald Tatzgern. "Viele Frauen in der Prostitution sind irgendeiner Form von Gewalt ausgesetzt. Sei das nun psychischer Druck oder physische Gewalt." Prostitutionslokale hätten auch eine Schutzfunktion, in den Wohnungen hingegen seien die Frauen potenziellen Übergriffen durch Kunden und Zuhältern schutzlos ausgeliefert. "Die Kriminalpolizei, die sich ja auch als Schützer der Rechte von Prostituierten versteht, kann die Frauen in den Geheimwohnungen kaum erreichen."

Bei den Kontrollen von Prostitutionslokalen gehe es nicht nur um die Überprüfung der Papiere der Sexarbeiterinnen. Der regelmäßige Kontakt soll auch ein Vertrauensverhältnis aufbauen, um Opfern von Gewalt und Menschenhandel helfen zu können, erklärt Tatzgern. Bei der illegalen Wohnungsprostitution ist es für die Exekutive jedoch bedeutend schwieriger, als Freund und Helfer aufzutreten: "Wir sind hier quasi immer die Bösen, weil wir ja den Verstoß gegen das Prostitutionsgesetz nach dem Verwaltungsstrafrecht bestrafen müssen."

Laufende Ermittlungen

Je nach Anzahl der angezeigten Delikte kann das die Sexarbeiterin zwischen 200 und 1000 Euro kosten, den Wohnungsvermieter oder -eigentümer zwischen 400 und 1000 Euro. Die Polizei ermittelt dazu mit mehrköpfigen Einsatzteams Anzeigen im Internet, verdeckte Ermittler führen dann nach Kontaktaufnahme die Kontrollen durch.

Tipps bekommt die Polizei oft aus der Branche selbst, von Betreibern, die Inserate ehemaliger Sexarbeiterinnen auf Onlineportalen finden.

Auch Robert M. entdeckt immer wieder seine "alten Mädchen" auf Booksusi. M., der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, betreibt in Wien ein Laufhaus. Seit Corona sei es schwierig, erzählt er am Telefon. Gut die Hälfte der Gäste sei seither weggeblieben. "Wir haben im Durchschnitt gerade einmal ein einziges Mädchen pro Monat. Alle anderen Zimmer stehen leer. Wir leben von unseren Ersparnissen", erzählt er. Viele Betreiber forderten von den Frauen nun die Hälfte ihrer Einnahmen – aber von derartigen Methoden halte er, M., nichts. "Das ist illegal und fällt unter Zuhälterei."

Notmaßnahmen

Der Beginn der Zeitenwende in der Prostitution hat ein Datum: 16. März 2020. An diesem Tag wurde mit dem Inkrafttreten des Covid-19-Maßnahmengesetzes das "Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben" untersagt. Die Stadt Wien informierte damals auf ihrer Website, dass jegliche Form der Prostitution in und außerhalb von Prostitutionslokalen verboten sei und widerrechtliches Handeln laut Paragraf 3 des Covid-19-Maßnahmengesetzes mit einer Verwaltungsstrafe von bis zu 3600 Euro geahndet werde.

Es folgte die größte Krise, die die heimische Sexdienstleistungsbranche je erlebt hat: Zwar haben die Pandemiemaßnahmen einige Branchen hart getroffen, die Sexarbeiterinnen trieb das Arbeitsverbot jedoch nicht nur in große finanzielle Not, sondern auch in alte Abhängigkeiten – aus denen die Politik sie seit Jahren mit Gesetzesnovellen und zielgerichteter Sozialarbeit herauszuholen versucht hatte. Ein großer Teil der vorwiegend aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien stammenden Frauen stand plötzlich vor der Wahl zwischen Obdachlosigkeit und Schuldenmachen bei Bordellbetreibern, zwischen Armut und illegalem Arbeiten.

"Die Wohnungsprostitution ist ein gefährliches Feld. Es sagt viel über die Branche aus, wenn sich ihre Dienstleisterinnen in diesen gefährlichen, illegalen Bereich begeben." Stefani Doynova, Leiterin Beratungsstelle Sophie.

Die Not war bei manchen so groß, dass bei "Sophie" Frauen um Lebensmittelpakete, Shampoo und Duschgel Schlange standen. In dem kleinen, ebenerdigen Gassenlokal im 15. Bezirk betreibt die Volkshilfe Wien seit 2003 ein Beratungszentrum für Sexarbeiterinnen.

Viele kehrten in dieser Zeit in ihre Herkunftsländer zurück, andere ließen sich umschulen – und dann gab es da noch jene nicht unerheblich große Gruppe, die ihre Dienste illegal in Wohnungen anbot. Und die kehrte auch nach dem 1. Juli 2020, als das Sexarbeitsverbot endete, nur teilweise an ihre Arbeitsplätze in den Rotlichtlokalen zurück. Viele waren in dieser Zeit auf den Geschmack gekommen: Denn die Wohnungsprostitution bedeutet zwar mehr Risiko und Gefahren – sie kann aber auch mehr Eigenständigkeit, mehr Geld und Flexibilität bedeuten.

Schließlich regelt Österreich die Sexarbeit so penibel wie keines seiner Nachbarländer. Wer in Wien Sexdienstleistungen anbieten will, muss hier gemeldet sein und braucht eine offizielle Registrierung bei der Polizei und einen Gesundheitsausweis, den sogenannten Deckel, auch bekannt als grüne Karte. Dafür müssen sich die Frauen alle sechs beziehungsweise zwölf Wochen via Harn- beziehungsweise Bluttest vom Amtsarzt auf Krankheiten wie Tripper, Syphilis und HIV untersuchen lassen.

Viel Bürokratie

Für viele ist das ein zu mühsames Prozedere: Es kann bis zu einem Monat dauern, ehe alle notwendigen Dokumente ausgestellt sind. Und in dieser Zeit fehlt das Einkommen. In den Nachbarländern ist der Einstieg deutlich unbürokratischer und schneller. Viele Sexarbeiterinnen und ihre Vertreter kritisieren diese verpflichtenden Gesundheitschecks schon lange als "Zwangsuntersuchung".

Für die Behörden gelten Melde- und Gesundheitsnachweis sowie Registrierung als Sicherheitsmaßnahmen: einerseits um Frauen zu lokalisieren, falls es etwa Hinweise auf Gewalt oder Menschenhandel gibt. Andererseits um zu verhindern, dass sie Geschlechtskrankheiten verbreiten.

"Private" Verlockung

Ein weiteres Pro auf der Liste: Für die Sexarbeiterinnen ist die illegale Wohnungsprostitution bedeutend lukrativer. Zumindest wenn sie ihr Einkommen nicht mit einem Zuhälter teilen müssen. Denn Laufhäuser und Co bieten zwar die nötige Infrastruktur und Ausstattung, wie Bettwäsche und Handtücher – doch das lassen sie sich auch teuer bezahlen: Für ein Zimmer sind pro Woche mehrere Hundert Euro zu berappen.

All das sind Gründe, weshalb immer mehr Sexarbeiterinnen ihre Dienste in Privatwohnungen anbieten. Wie viele, kann die Polizei schwer abschätzen. Klar ist: Das Label "privat" zieht auch bei den Kunden, verspricht es doch mehr Anonymität als der Gang ins Bordell. Inzwischen keilen sogar Prostitutionslokale und Studios auf Onlineplattformen mit dem Schlagwort, um die Kunden in ihre Etablissements zu locken.

Illegales Geschäftsmodell

Doch zurück zu Anastasia, die in Wirklichkeit anders heißt. Seit Februar bietet sie regelmäßig ihre Dienste auf Booksusi an. Als sie ihren ersten Kunden in ihrem angemieteten Apartment empfing, wusste sie nichts von der Existenz des "Deckels" geschweige denn davon, dass Sexdienstleistungen in Wohnungen in Österreich verboten sind. Beides erfuhr sie erst einen Monat später, als sie erstmals auf das Beratungszentrum Sophie stieß.

Dort sitzt sie nun auch an einem Nachmittag Anfang Juli, ungeschminkt, die Haare zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, rosafarbenes Kleid, dazu weiße Sandalen mit Glitzer auf den Riemen. Aus Neugierde habe sie dem Gespräch zugestimmt, übersetzt eine Mitarbeiterin von Sophie aus dem Ungarischen.

Neugierde war es auch, die sie vor vier Jahren mit ihrem Partner erstmals in einen Swingerclub führte. Diese freie sexuelle Spielweise habe ihr gefallen. Nach 16 Jahren Ehe beschloss sie gemeinsam mit ihrem Mann, künftig auch mit Sexdienstleistungen Geld verdienen zu wollen. Also schaltete sie vor einem Jahr beim ungarischen Booksusi-Äquivalent eine Anzeige im Escortbereich. Kein funktionierendes Geschäftsmodell, wie sich herausstellte: Es hätten lediglich Touristen geantwortet, erzählt Anastasia. Also versuchte das Paar sein Glück in Wien – und es klappte: Heute, nicht einmal sechs Monate später, sind Anastasias Wien-Besuche meist bereits im Vorhinein von Stammkunden ausgebucht.

Strikte Kundenauswahl

Anastasia kann es sich leisten, ihre Kunden mit Bedacht auszuwählen – vielleicht ist auch das ein Grund, warum sie bisher noch nie in eine unangenehme Situation geraten ist. Lediglich bei Hausbesuchen sei sie bereits drei-, viermal hereingelegt worden und bestellt vor verschlossenen Türen gestanden. "Három a magyar igazság", sagt sie und lacht. Das ungarische Sprichwort bedeutet so viel wie "Aller guten Dinge sind drei".

Hausbesuche hat Anastasia von ihrer "Sedcard" gestrichen, und auch sonst selektiert sie Anfragen genau. No-Gos sind etwa vulgäre Sprache oder das Schicken unangebrachter Fotos auf Whatsapp. "Kunden, die Sex ohne Schutz wollen, werden definitiv abgelehnt." Ebenso Männer, die betrunken oder durch andere Substanzen beeinträchtigt sind.

Auch Hygiene ist Anastasia sehr wichtig. Erst vergangene Woche habe sie einen Kunden abgewiesen, der Nagelpilz hatte. "Sie hat ganz klar kommuniziert, dass sie nicht zusammenkommen werden", dolmetscht die Sophie-Mitarbeiterin.

Starker Druck

Genau ist Anastasia nicht nur, wenn es um ihre Gesundheit geht – sie hat sich sowohl bei der Polizei registriert, als auch den "Deckel" geholt. Ihren Kunden stellt sie Rechnungen aus und lässt in Wien einen Steuerberater ihre Finanzen in Ordnung halten.

Wenn sie auf ihre regelmäßigen Gesundheitschecks beim Amtsärztlichen Referat für Sexuelle Gesundheit und Prostitution der MA 15 wartet, hört sie andere Frauen aus der Branche reden, die in Rotlichtbetrieben arbeiten. Sie erzählen von starkem Druck und hohem Arbeitspensum, von schlechten Bedingungen.

"Wenn die kleinste buchbare Zeiteinheit 30 Minuten beträgt – wie viele Kunden müssen diese Frauen in den Studios dann wohl täglich annehmen?", fragt Anastasia. Über ihre eigene Arbeit habe sie nur Positives zu berichten.

Gefährlicher Arbeitsplatz

So positiv wie Anastasia sieht Stefani Doynova die Entwicklung nicht. Der Zuwachs an Wohnungsprostitution in Wien macht der Leiterin der Beratungsstelle Sophie Kopfzerbrechen. Denn nicht nur die Polizei, auch soziale Einrichtungen wie Sophie verlieren den Zugang zu Klientinnen.

Üblicherweise besuchen die Sozialarbeiterinnen die Sexarbeiterinnen an ihren Arbeitsplätzen. Durch den Rückzug aus der Öffentlichkeit ist das ein schwieriges Unterfangen. Mittlerweile kontaktieren die Sophie-Mitarbeiterinnen Frauen auf allen einschlägigen Plattformen.

"Die Wohnungsprostitution ist ein sehr gefährliches Feld", sagt Stefani Doynova. "Es gibt keine Unterstützung durch Kolleginnen, keine Abgrenzung. Manchmal wissen die Kunden, wo die Frauen wohnen. Es sagt viel über die Branche aus, wenn sich ihre Dienstleisterinnen in diesen gefährlichen, illegalen Bereich begeben." (Birgit Wittstock, 6.7.2024)