Zu sehen sind exzentrisch gelb-schwarz drapierte Frauen und ein Herr mit Zylinder vor gelb-schwarzer Tapete.
Der neue Reichtum treibt seine Stilblüten. Das "Lumpazi"-Kostümbild von Christof Cremer kleckert nicht mit Geschmacksproben.
Foto: Lalo Jodlbauer

Auch ein Theaterstück wie Lumpazivagabundus, in dem Figuren Mystifax, Windwachel oder Fludribus heißen, das also Heiterkeit und Unkonventionalität birgt, verfolgte 1833 keine umstürzlerischen Absichten. Zwar hat Johann Nestroy in all seinen Dramen die Herrschaftspyramide stets auf den Kopf gestellt und alle Sympathien den Außenseitern und Gescheiterten zukommen lassen. Doch am Ende obsiegt das gutbürgerliche Ordnungssystem, in dem entweder die Ehe oder die Lotterie es richten sollen.

In der Lumpazi-Neuinszenierung, die am Donnerstagabend die Festspiele Reichenau eröffnet hat, kappt Regisseur Robert Meyer folgerichtig das ausgeleierte Happy End, in dem drei Handwerksmänner nach lebenslanger Trunkenheit und Prasserei plötzlich ins häusliche Idyll wechseln. Er lässt die Lumpen Lumpen sein. Das war's aber auch schon mit Zugeständnissen an die Gegenwart. Abgesehen von Seitenhieben auf Gratiszeitungen und René Benkos Abstieg im Kometenlied ließ der 140-Minuten-Abend die Welt von heute schön draußen.

Nestroy nicht "verhunzen"

Robert Meyer, der nebst seiner Regieaufgabe auch die Rolle des Schustergesellen Knierim gab, erklärt dazu im Programmheft, er möchte einen Nestroy bieten, "wie man sich Nestroy vorstellt". Also ein Theater, "das nicht durch die Idee einer Regisseurin oder eines Regisseurs, durch irgendwelche eigenen Textbeispiele verhunzt wird". Wie hat man sich Nestroy aber vorzustellen? Im Theater Reichenau geht er als lebhafte, aber museale Klamotte ab, in der eine historisch verbrämte Knusperhäuschen-Ästhetik mit bemalten Kulissen vorherrscht (Bühne und Kostüm: Christof Cremer).

Hinzu kommt ein Weltbild, in dem kichernde Fräuleins den (Anti-)Helden vornehmlich als Heiratsobjekt oder zumindest als Begrapschungsmaterial dienen. Das Benehmen des liederlichen Kleeblatts, also der drei bankrotten Handwerksgesellen, ist eben auf vielen Ebenen verbesserungswürdig. Dafür wird im Zuge der Rahmenhandlung im Zauberreich des Feenkönigs Stellaris (Franz Xaver Zach) auf die Läuterung von Leim (Thomas Frank), Zwirn (Florian Carove) und Knieriem (Robert Meyer) gewettet.

Der in dieser Sache vermittelnde Titelheld Lumpazivagabundus (Sebastian Wendelin) tritt dabei als veritabler Mephisto in Erscheinung, ikonisch nach Gustaf Gründgens' Vorbild weiß geschminkt. Er geistert mit spitzen Fingern und grandioser Körperkomik durch die drei Akte – schenkt kräftig Schnaps nach und tarnt sich als lockendes Sexualobjekt Frau, indem er sich einen XL-Büstenhalter umschnürt.

Popschiklopfen

Nachdem Knierim, Leim und Zwirn von Fortuna (Brigitte Kren) die richtige Lotteriezahl in die träumenden Gehirne gezaubert bekommen haben, sahnen sie den Gewinn ab, mit dem sie nun ein ordentliches Leben anstreben wollen bzw. sollen. Mit zünftigem Schauspiel bringen die drei ihre Gefühle des Hoffens und Versagens zum Ausdruck. Der Leim von Thomas Frank träumt mit ausladenden Gesten schmachtend von seiner Noch-nicht-Freundin; der Zwirn von Florian Carove motzt sich, kaum reich, zum exaltierten Couturier auf; und Meyers Knieriem bleibt mit gut geölter, nölender Stimme seinem besten Freund, dem Alkohol, verbunden.

Manche Witze gerieten zu lahm oder waren einfach talkert. Ganz zu schweigen vom vielen Busserlgeben und Popschiklopfen, mit dem hier ein antiquiertes Geschlechterverhältnis – nicht einmal kritisch gemeint – aufgetischt wird. Das Reichenauer Publikum war insgesamt aber angetan und spendete der Zauberposse reichlich Applaus. Alle Sommertheater-Ansprüche erfüllt: Knallbunte Schauwerte, Lebendigkeit im Spiel, Operettenmelodien (Live-Trio unter der Leitung von Helmut Thomas Stippich), Unterhaltung – und die Welt bleibt ganz. (Margarete Affenzeller, 5.7.2024)