Viktor Orbán (links) und Wladimir Putin im Kreml.
Viktor Orbán (links) besuchte am Freitag Kreml-Chef Wladimir Putin.
AFP/HUNGARIAN PRIME MINISTER'S O

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ist am Freitag überraschend nach Moskau geflogen, um vom russischen Kriegsherrn Wladimir Putin empfangen zu werden. Der Coup erfolgte fünf Tage nachdem der Rechtspopulist den rotierenden Vorsitz im EU-Rat übernommen hatte, dem Spitzengremium der Staats- und Regierungschefs. Erst am Dienstag war er nach Kiew geflogen, um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen, dem er zuvor aus dem Weg gegangen war.

Die Reise nach Moskau war im Vorfeld nicht öffentlich angekündigt worden – abgesehen von vagen Informationen, die Budapester Regierungskreise am Donnerstagabend durchsickern ließen. Erst nach der Ankunft am Flughafen Wnukowo teilte ein Sprecher des Regierungschefs knapp mit: "Ministerpräsident Viktor Orbán ist im Rahmen einer Friedensmission in Moskau eingetroffen." Dabei werde er mit Präsident Wladimir Putin zusammentreffen. Putin erklärte Orbán, er sei bereit, mit ihm über "Nuancen" von Friedensvorschlägen zu diskutieren.

Verschleppte Sanktionen

Ungarns Regierung ist auch seit der russischen Aggression gegen die Ukraine die Moskau-freundlichste in der EU. Immer wieder verzögert oder verschleppt Orbán Sanktionsbeschlüsse der Union gegen Russland, versucht er, die Unterstützung der Ukraine durch EU und Nato zu hintertreiben. Die von ihm kontrollierten Medien stellen Moskau häufig als Opfer dar, dem der Krieg vom Westen "aufgezwungen" worden sei, weil dieser die Ukraine ausnutze, um Russland militärisch "einzukreisen". Wie ein Mantra käut Orbán ein Narrativ wieder, das Putin gerne hört – vor allem, wenn es aus dem Inneren der Nato kommt: Es brauche jetzt einen Frieden, einen Waffenstillstand, ein Ende des Krieges. Doch so wie Putin agiert, wäre das nur um den Preis einer bedingungslosen Kapitulation der Ukraine zu haben.

Ohne auf die Moskau-Reise explizit einzugehen, inszenierte sich Orbán am Freitag noch vor dem Abflug als "Friedensstifter": "Von einem bequemen Sessel in Brüssel aus kann man keinen Frieden schaffen", schrieb er auf X. Selbst wenn er als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender kein Mandat habe, um im Namen der EU zu verhandeln, "können wir uns nicht zurücklehnen und darauf warten, dass der Krieg auf wundersame Weise zu Ende geht". Bei einer Pressekonferenz mit Putin sagte er, die Schaffung von Frieden sei aus seiner Sicht die "Mission der nächsten sechs Monate",

EU: Orbán repräsentiert uns nicht

Orbáns Inszenierung im folgenreichsten europäischen Krieg seit 1945, zusammen mit der Reise zu dem von ihm hofierten Urheber dieses Kriegs, sorgt am Beginn der ungarischen Ratspräsidentschaft naturgemäß für maximales internationales Aufsehen. Verschiedene Stellen der EU distanzierten sich von Orbáns selbst angemaßter Moskau-Mission. "Der rotierende EU-Vorsitz hat kein Mandat, im Namen der EU mit Russland zu verhandeln", schrieb Ratspräsident Charles Michel auf X. Ähnlich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in einer Stellungnahme: Die Position der EU sei, dass Russland einen Aggressionskrieg gegen die Ukraine führe, was offizielle Kontakte der EU zu Putin ausschließe. "Der ungarische Ministerpräsident repräsentiert infolgedessen die EU in keiner Weise."

Auch das ukrainische Außenministerium kritisierte den Besuch. Orbáns Moskau-Reise sei mit Kiew nicht koordiniert gewesen. Andere Staaten sollten über die Köpfe der Ukrainer hinweg keine Gespräche über die Ukraine führen. (Gregor Mayer, 5.7.2024)