Mark Cavendish jubelte in Saint-Vulbas schon zum 35. Mal über einen Sieg bei einer Touretappe.
AFP/MARCO BERTORELLO

Sprinter verstecken sich im Hauptfeld der Radprofis stundenlang im Windschatten von Teamkollegen und sparen so Kräfte. Erst auf den letzten 200 Metern preschen sie vor und quetschen alles in die Pedale, was ihr Körper hergibt. Mark Cavendish ist so etwas wie der beste Fersenkleber der Radgeschichte.

Der Mann von der Isle of Man hat am Mittwoch mit dem Etappensieg in Saint-Vulbas nahe Lyon den Rekord für die meisten Tagessiege bei der Tour de France aufgestellt. Er gewann zum 35. Mal und ließ damit den Belgier Eddie Merckx hinter sich. Die Radwelt verneigt sich vor dem 39-Jährigen und nennt ihn endgültig Legende.

Cavendish fuhr als Kind zunächst BMX- und Mountainbike-Rennen. Nach der Pflichtschule arbeitete er in einer Bank am Schalter, um sich die Teilnahme an Rennen leisten zu können. Mit 20 wurde er Weltmeister im Bahnradfahren. Gleichzeitig erhielt er seinen ersten Profivertrag für Straßenrennen, die Karriere hob ab.

Mark Cavendish nach seinem historischen 35. Etappensieg
Eurosport Cycling

Im Rampenlicht trat er zuweilen forsch auf. Cavendish ist kein Typ, mit dem man gern Zeit verbringt, war die einhellige Meinung. Der Steirer Bernhard Eisel tat es trotzdem. Er war viele Jahre Zimmerkollege und Anfahrer von Cavendish. "Es ist leicht, an der Spitze zu stehen", sagt Eisel, "aber dass Cav drei Jahrzehnte dranbleibt, während die meisten anderen zurücktreten, zeigt seine Genialität." Als Eisel vor drei Jahren seine Karriere beendete, schrieb Cavendish auf Twitter: "Ich konnte nie eine Diskussion mit dir gewinnen, aber ich konnte auch nie irgendwo ein Rennen ohne dich gewinnen. Wir sind wie Brüder. Danke für alles."

Ein Radprofi ist immer nur so stark wie seine letzten paar Ergebnisse. 2017 wurde bei Cavendish das Epstein-Barr-Virus nachgewiesen. Weil die Ärzte ihm weiter zu Trainings rieten, aß er auch wieder weniger, so wie alle Radprofis hungern, damit sie leichter über die brutalen Bergstraßen kommen. Der Körper wehrte sich, Cavendish entwickelte eine Depression. "Es war Karma", sagt er. Früher belächelte er Gegner mit schwacher Form, die mentale Probleme ansprachen. Er wurde reifer, dabei half auch seine Ehefrau, Model Peta Todd, mit der er vier Kinder hat.

Im Zielsprint herrscht Chaos, Cavendish ist oft der Einzige, der es ordnet. Auf seiner Startnummer 191 bei der diesjährigen Tour de France ist seit gestern eine zweite Zahl zu sehen: Auf dem aufgedruckten Emoji einer Goldmedaille steht die 35. (Lukas Zahrer, 4.7.2024)