Der deutsche Bundestrainer Sepp Herberger, Fritz Walter mit dem Coupe Jules Rimet und Torwart Toni Turek.
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Sie wurden als Helden von Bern berühmt und zum Bund von Freunden verklärt, der neun Jahre nach Ende des Weltkriegs ein neues deutsches Wirgefühl herbeizauberte. Doch für viele der Weltmeister von 1954, deren Wankdorfer Finalsieg gegen Ungarn sich am Donnerstag zum 70. Mal jährt, wurde der Ruhm zum Fluch. Sie scheiterten an einem Leben zwischen Erinnerungen und Erwartungen, an den Wunden, die das Wunder riss. Im Schatten der Lichtgestalten, des Trainers Sepp Herberger und des Spielführers Fritz Walter, fanden manche einen allzu frühen Tod.

"Die Weltmeisterschaft war wie eine Versuchung in ihr Leben eingebrochen, und in der Tat hatten es die meisten schwer, damit fertigzuwerden", schrieb Jürgen Leinemann 1998 in seiner Herberger-Biografie. Der Weltmeister-Trainer versuchte in den Jahren nach dem Titelgewinn seine Weltmeister-Spieler aufzufangen, wenn sie im Dasein verlorenzugehen drohten. Längst nicht allen, aber einigen konnte der "Weise von der Bergstraße" helfen.

WM-Souvenir Leberschaden

Ottmar Walter, der kleine Bruder des großen Kapitäns Fritz beispielsweise, verdankte Herberger sein Leben. 1969 hatte er sich, finanziell ruiniert und vom Selbstmordversuch seiner Frau erschüttert, die Pulsadern aufgeschnitten, er wurde knapp gerettet. Herberger eilte an Ottmars Krankenbett, nahm sich des gefallenen Weltmeisters an. Und dieser gab sich noch einmal eine Chance.

Walter war einer derjenigen, denen das Leben vor Bern schon viel zugemutet hatte. Ein Kriegsheimkehrer, schwerverletzt an Körper und Seele, nachdem das Schiff des Matrosen im Atlantik versenkt worden war. Der nach trister Nachkriegszeit von einem Tag auf den anderen plötzlich ein Volksheld war.

Finale Szenen aus dem Berner Wankdorf-Stadion.
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Ottmar Walter starb erst 2013, wie Horst Eckel wurde er 89 Jahre alt. Ein langes Leben war aber den wenigsten Weltmeistern vergönnt. Der Frankfurter Richard Herrmann starb als Erster des 18-Mann-Kaders. Mit 39, an Leberzirrhose, nur acht Jahre nach Bern. Der Leberschaden war ein WM-Souvenir: Wie fast alle deutschen Nationalspieler war Herrmann nach dem Turnier an Hepatitis erkrankt, ausgelöst durch verunreinigte Spritzen, die Teamarzt Franz Loogen verabreicht hatte. Ob diese nur Vitamin C enthielten oder doch das berüchtigte "Panzerschokoladen"-Pervitin, ist bis heute umstritten.

Jedenfalls verbreitete sich so das Virus, das wohl Final-Held Helmut Rahn von einer Südamerika-Tour mit Rot-Weiss Essen mitgebracht hatte. "Die Tode einzelner Spieler lassen sich direkt auf diese Krankheit zurückführen", schrieb Tobias Escher in seinem 2024 erschienenen Buch über die Jahrhundertmannschaft. Rahn selbst überstand die Gelbsucht, widerstand aber nicht den Versuchungen des Ruhms. Er war erst 24 Jahre alt, als er das legendäre 3:2 erzielte. Doch der Lebemann verschenkte eine noch größere Karriere. "Jeder im Pott hat seine eigene Saufgeschichte mit Rahn in der Hauptrolle", so Escher. Herberger hielt selbst dann noch zum "Boss", als der nach einem Suffunfall im Knast saß.

Einer, der alles verloren hat

Rahn dankte mit einer starken WM 1958. Bis zum Karriereende 1965 häuften sich aber Disziplinlosigkeiten, ab den 80ern zog sich Rahn, der nicht mehr den "Helden von Bern" geben wollte, aus der Öffentlichkeit zurück. 2003 starb er nach langer Krankheit.

Beispiellos ist die Tragik des Absturzes von Abwehrchef Werner Kohlmeyer. "Unser Vater und auch die anderen Weltmeister waren nicht darauf vorbereitet, wie man mit dem Ruhm und all dem Lob umzugehen hat", sagte seine Tochter. Der verlässliche Kicker verlor nach der Karriere alles, Arbeit, Haus, Frau, den Kontakt zu seinen Kindern. Er lebte von Hilfsjobs, verfiel der Alkoholsucht, mit seiner WM-Medaille soll er einen Kneipendeckel bezahlt haben. Selbst Herberger konnte ihm nicht helfen.

Seine Kameraden wendeten sich ab, er betäubte sich: "Mit jedem Glas wirst du noch einmal Weltmeister." Und mit jedem Glas verfiel "Kohli" mehr. 1973 erschien er, gesundheitlich angeschlagen, auf Vermittlung Fritz Walters noch einmal zu einem Ehemaligentreffen. Es war ein Abschied. Ein Jahr später starb Kohlmeyer an Herzversagen, mit 49. Als Erster der Final-Elf von Bern. Sein lauterer Freund Horst Eckel, der Letzte derer von Bern, überlebte ihn um 48 Jahre. (sid, fri, 4.7.2024)

04.07.1954: Das Wunder von Bern
04.07.1954: WM-Final Deutschland – Ungarn (3:2) - Das Wunder von Bern!
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