Der eigentliche Gegner des Seal bei BMW wäre natürlich der i4. Was der BYD kann: komfortabel überraschend weit kommen.
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Derzeit ist viel von der chinesischen Bedrohung die Rede, gegen die sich die EU mit Strafzöllen wehren möchte. Ein schwieriges Unterfangen, denn ausgerechnet jene deutschen Autoproduzenten, denen die EU hier Schutzmacht sein möchte, lassen auch in China produzieren, nicht nur für den chinesischen Markt. Schutzzölle würden also auch Mercedes und BMW treffen.

Was sind nun diese chinesischen Autos, vor denen wir uns fürchten müssen, und was können sie? Sind sie tatsächlich eine Bedrohung? Wir fuhren den Seal von BYD, und eines vorneweg: Das ist alles andere als eine chinesische Billigschüssel, wie das immer wieder abfällig durchklingt. Das ist ein gutes und gut gefertigtes Auto, das längst auch europäischen Ansprüchen genügt, amerikanischen sowieso.

Der Seal ist ein Seehund und eine Limousine, nicht die große Luxuslimousine, die gibt es von BYD auch, der Han kostet mehr als 70.000 Euro. Und um gleich mit noch einem Vorurteil aufzuräumen: Es stimmt nicht, dass einem die chinesischen Autos spottbillig nachgeworfen werden, zumindest nicht am europäischen Markt. Das günstigste in Österreich erhältliche Fahrzeug von BYD ist der Kleintransporter ETP3, der kostet etwa 30.000 Euro, für Gewerbekunden nach Abzug von allem knapp 20.000 Euro.

Ein Gag für BYD-Novizen: Das zentrale Tablet lässt sich in Hoch- oder Querstellung bringen.
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Der von uns gefahrene Seal mit Allrad und 530 PS kommt auf 51.000 Euro, das günstigere Modell mit Hinterradantrieb und 313 PS laut Liste auf 48.000 Euro. Jeweils sind noch 5400 Euro Förderungen abzuziehen.

Wofür steht BYD? "Build Your Dreams" ist lediglich ein guter Marketingspruch, BYD ist die Abkürzung des latinisierten chinesischen Firmennamen Bǐyàdí. Die BYD Company Limited ist der größte Produzent von Akkumulatoren weltweit, auch für Mobiltelefone. Das Tochterunternehmen BYD Auto Company gehört zu den größten Automobilproduzenten Chinas. Es gibt Werke in Kalifornien, Brasilien, Japan und Indien, derzeit entsteht gerade auch ein Werk in Ungarn, mit dem erst recht mögliche Strafzölle der EU unterlaufen werden könnten.

Der Seal erinnert an Tesla. Mit Imitaten haben die Chinesen ja kein Problem. Ein direkter Gegner des Seal wäre der BMW i4, der kostet gleich einmal 10.000 Euro mehr. Der BYD Seal schaut sehr europäisch aus – kein Wunder, Designchef Wolfgang Egger ist ein Deutscher –, eine elegant und flott geschnittene Limousine, modern und sportlich ausgelegt. Tatsächlich fährt sich der Wagen sehr komfortabel, auch auf langen Strecken.

400 Liter fasst der Kofferraum, das ist ausreichend, aber nicht allzu üppig. Auch würde man sich zum einfacheren Beladen eine Heckklappe wünschen.
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Ein Highlight ist der große, mittig angeordnete Bildschirm, über den sich der Wagen bedienen lässt, auch das ist ja ein wesentliches Merkmal von Tesla. Wir haben im Wagen also einen recht großen Computerbildschirm, und der Gag ist, dass sich dieser drehen lässt. Man kann ihn im Hochformat haben oder ihn per Knopfdruck auf Querformat umstellen.

Der Seal hat 570 km Reichweite, in der Praxis sind vielleicht 500 realistisch, das ist schon eine ordentliche Strecke. Beschleunigung null auf 100 geht in 3,8 Sekunden, mit einem solchen Wert schmücken sich auch sehr sportliche Modelle. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 180 km/h, aber gerade in einem E-Auto wird man sich eher an die auf Autobahnen vorgeschriebenen 130 km/h halten, um die Reichweite nicht zum Einsturz zu bringen. Die Ladezeit von 30 auf 80 Prozent macht 26 Minuten aus, von zehn auf 80 in 37.

Insgesamt hinterlässt der Seal einen tadellosen Eindruck, eine Schwachstelle gibt es aber schon zu berichten. Das Herzstück eines jeden Teslas ist der Bordcomputer mit seinem intelligenten und dynamischen Navigationssystem. Beim Seal hingegen sind wir noch mit einem sehr herkömmlichen Navi konfrontiert, das nicht in der Lage ist, eine dynamische Routenplanung zu entwickeln, die einem vorschlägt, wann und wo wie lange am besten geladen werden könnte. Genau das ist aber in einem Elektroauto unverzichtbar.

Beim Laden in friedlicher Eintracht nebeneinander: BYD Seal und BMWs E-Flaggschiff i7.
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In China weiß man das angeblich, und für die Modelle in Europa werde bereits mit Hochdruck an einer Nachrüstung der Navigationssysteme gearbeitet. Dann aber pfeifen die Komantschen, wie man im Fernsehen sagt. (Michael Völker, 4.7.2024)

Elektro-Nobelkombi

Wer sagt denn, dass BMW keine feschen Autos mehr baut? Der neue 5er tritt den Gegenbeweis an.
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Schade, dass Herbert Rosendorfer das nicht mehr erleben darf, der Autor der legendären Briefe in die chinesische Vergangenheit. Da hätte der Hauptprotagonist, der Mandarin Kao-tai, seinem Freund, dem Mathematiker und Zeitreisemaschinenerfinder Dji-Gu, etwas zu berichten gehabt ins China vor 1000 Jahren. Landete der doch weiland im Lande Ba Yan in der Stadt Min-chen.

Von hier aus gäbe es zum Beispiel zu berichten, dass Kutschenbauer mit weiß-blauem Wappen hier daheim sind und viele Atao-Wagen bauen, die auf mehr oder minder gut gepflegten Chausseen herumfahren. Und dass diese merkwürdigen rasenden Dämonen nun auch massenhaft in China gebaut werden.

BMW-typisches Cockpit mit Panoramaschirm – und es bleibt beim vorbildlichen Dreh-Drück-Bediensystem.
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Damit entwinden wir Kao-tai den Handlungsstrang und übernehmen ihn, und es ist natürlich so, dass eine Gegenüberstellung von BYD Seal und BMW i5 Touring insofern hinkt, als von den Maßen her, wenn, der Gegner des Mittreichigen der i4 wäre. Der i5 aus Ba Yan ist erstens eine Nummer größer, zweitens als Touring ein Kombi statt Limousine und drittens ein grandioses Fahrzeug, was man so rundum vom Seal nicht behaupten kann. In ein, zwei Generationen vielleicht, je nachdem wie rasch die bei Fahreigenschaften, Premiumanmutung, Bedienkonzept aufholen. Fakt ist jedenfalls: Die lernen wahnsinnig schnell.

Worin sich beide Hersteller noch gleichen, ist das dreilettrige Akronym sowie das Anfangsinitial, und in beiden Fällen kommt die Batterie aus Kao-tais Heimat – bei BMW von Catl, bei BYD aus eigenem Anbau. Bei der Kapazität liegen sie auch fast gleichauf, 82,5 kWh beim Seal, 81,2 beim i5, aber beim Hurtigladen ist der Deutsche dem Chinesen über, 30 Minuten stehen gegen 37. Das höhere Lademaximum von 205 kW lässt BYD dennoch kalt, die setzen bei ihrer LFP-Batterie auf 150, aber auf eine möglichst konstant hohe Ladekurve.

Mit Kurve wechseln wir ins Fahrkapitel. Da bleibt BMW ganz unter sich, ein Fahrwerk dieser Güte, von Könnern und Künstlern hingezaubert frei nach Matthias Claudius' Wort "Wahrheit bleibt und wanket nicht", eine Lenkung dieser Präzision und eine Agilität, der man nur im Extremfall anmerkt, dass der Fünfmetersechs-Kombi 2,25 Tonnen wiegt, schaffen so nur ganz, ganz wenige Gegner, und die kommen alle aus der Nähe von Ba Yan.

Unter dem mittig geteilten Kofferraumboden findet sich ein Fach für die Ladekabel.
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Mercedes wäre da zu nennen: E-Klasse T, auch Audis A6 Avant. Doch jetzt kommt das Aber: Die gibt es allesamt nicht in elektrisch. Kombi vom EQE? Fehlanzeige; wird's auf Sicht auch nicht geben. Dass Audi einen Konkurrenten in der Pipeline hat, ist indes bekannt, spätestens seit die den A6 Avant e-tron concept hergezeigt haben. Zukunftsmusik. Noch spielt der i5 Touring völlig allein auf der Bühne, und anders als Mercedes und Audi setzt BMW auch nicht auf eine rein elektrische, sondern geschickt auf eine Mischplattform.

Die Vergleichsfrage muss also intern gestellt werden: Wer liegt in der Kombi-Kernkompetenz Ladekapitel – diesmal Gepäck, nicht Strom – vorn: die Verbrenner-5er oder der mit "i"? Das ist rasch beantwortet. 570 bis 1700 Liter fasst der i5 eDrive40 Touring, 570 bis 1700 ein 520d Touring, also gleich viel.

Matchen werden sich beide also eher beim Anforderungsprofil und der Reichweite, mit dem Selbstzünder mag die Reise 1000 km auf einmal gehen, mit diesem i5 bis zu 560. Die reduzierten sich im Testbetrieb auf real 450, 460 km, hochsommers und ohne durchgehend bei regulärem Autobahntempo, doch das in Österreich gängige Kriterium "Ein E-Auto kommt für mich erst infrage, wenn ich Wien Zentrum bis Salzburg Zentrum ohne Halt schaffe" erfüllt er problemlos.

Gute Figur macht der i5 Touring auch in der Heckansicht. Betrüblich beim Beladen: Das separat aufklappbare Heckfenster gibt es nicht mehr.
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Ein anderes BMW-Spezifikum fehlt im i5 leider: Das Heckfenster lässt sich nicht mehr separat aufklappen, ein Rückschritt, der manche Markenfans enttäuschen wird, und auch die Kofferraumabdeckung schwingt nicht mit der Heckklappe hoch. Was hingegen bleibt, ist das weltbeste (Dreh-Drück-)Bediensystem, ergänzt durch eine hochintelligente Sprachführung, und wer das wirklich will, kann auch nur am Schirm rumtatschen. Fazit ganz klar: Der i5 Touring ist der beste derzeit auf dem Markt erhältliche Elektro-Kombi.

Wie es weitergeht im Automatch China vs. Deutschland? Das weiß niemand. Vielleicht kommt die große Umwendung, doch schließen wir mit Kao-tais erstem Wort an Dji-Gu in den Briefen: Die Zukunft ist ein Abgrund. Und ich gehe nach der Arbeit eine Halbal trinken. (Andreas Stockinger, 4.7.2024)