Jann Haworths Reptilienfrau "Snake Lady" vor von Op- und Pop-Art geprägten Leinwänden Sine Hansens.
Klaus Pichler / mumok

Jasper Johns Target und Richard Longs konzentrische Kreise aus kurzen Weideholzstöckchen haben viel und zugleich wenig miteinander zu tun. Das eine hängt bunt an der Wand, die anderen liegen auf dem Boden, das eine ist gemalt, das andere eine Skulptur. Beide befragen aber auf ihre Art die Kunst: einer im Spannungsfeld abstrakt, konkret und Tradition der Malerei, der andere in ihrem Verhältnis und dem des Menschen zur Natur. Und beide sind aktuell im Wiener Mumok in der Schau Mapping the 60s zu sehen.

Inspiriert von der eigenen Gründung in dem Jahrzehnt, legt man es darin auf eine Vermessung oder eben "Kartierung" der Kunst dieser Jahre anhand von Werken aus der eigenen Sammlung an. Manche begegnen einem in diversen Ausstellungen des Mumok immer wieder, wie Andy Warhols großer Orange Car Crash. Andere wie Longs hölzernes Werk waren lang nicht mehr öffentlich zu sehen, konkret seit 1979. Achtung, nicht draufsteigen!

Neben- und miteinander

Anhand von thematischen Schwerpunkten verteilen sich die Werke auf zwei Ausstellungsebenen. Kristallisationspunkte sind etwa die damals je epochemachenden Ausstellungen Documenta 4 im Jahr 1968, die so viel Pop-Art zeigte, dass es ihr den Spitznamen "Americana" einbrachte und sich Künstler des Fluxus und Happenings empört über so viel Marktgängigkeit zeigten, und die von Harald Szeeman kuratierte Schau When Attitudes Become Form, die 1969 neue Präsentationsformen suchte, vergängliche Werke zeigte und solche, die sich der Vermarktbarkeit entzogen. Von den damals 69 Positionen finden sich nun 21 im Mumok. Beide Events haben hier ihre eigenen Abschnitte, daneben gelten Kapitel den Zeitschriften Artforum und Aspen, die stellvertretend für den neuen Stil stehen, wie Kunst vermittelt und verhandelt wurde.

Duane Hansons Football-Spieler vor Robert Indianas "Love Rising / Black and White Love (For Martin Luther King)".
Klaus Pichler / mumok

Ziel der Übung ist es, damals prägende und entscheidende Themen, Namen, Werke im besten Fall miteinander in Verbindung zu setzen. Da landen dann graue Punktebilder von Bridget Riley neben türkisen, 3D-geschichteten Quadraten des Schweizers Karl Gerstner und einer gezackten Skulptur in den Humanic-Farben vom Humanic-Werbung-Künstler Roland Goeschl. Lee Lozano hat in Heftchen "Do not kill your sons, do not kill your fathers, kill the ideas of fear" oder "Do not be rival rabbits" notiert – das passt zu Robert Indianas riesiger "LOVE"-Aufforderung im gesellschaftspolitischen Abschnitt Krieg, Gewalt und deren mediale Resonanz. Klingt solide, ist es auch.

Blinde Flecken

Mehr Profil und Eigenständigkeit, wenn auch noch lange kein Konzept, entdeckt man aber jenseits der bekannten Namen. Da nämlich, wo das Mumok seine Geschichte (Fotos und Plakate von einstigen Ausstellungen) und blinden Flecken reflektiert. Eröffnet wurde es im September 1962 als Museum des 20. Jahrhunderts im sogenannten 20er-Haus (heute Belvedere 21). Unter den von Gründungsdirektor Werner Hofmann über 200 getätigten Ankäufen der ersten Jahre fanden sich nur acht von Frauen, zieht man ein Werk von Mathilde Flögl ab, von dem man bis in die 1980er dachte, es sei von einem Mann, sind es gar nur sieben.

Viele Künstlerinnen wurden in den Folgejahrzehnten Gott sei Dank nachgekauft und der Sammlung hinzugefügt, so kann man die bunten, poppigen Leinwände von Sine Hansen entdecken, die sich mit Macht auseinandersetzen. Oder Jann Haworths Snake Lady, die mit ihrer Schuppenhaut und den Schlangen aussieht wie aus einem Superheldinnen-Comic entkommen.

"Großer Farbwürfel" von Roland Goeschl (li.) und die Punktebilder "Nineteen Greys" vonBridget Riley.
Klaus Pichler / mumok

Mehr Fokus auf weitere Künstlerinnen gibt's ab Dezember, wenn der zweite Teil der Ausstellung startet, der sich dann mit Fluxus und Co befasst. Alle Kuratorinnen und Kuratoren des Hauses haben sich für das Projekt auf ein Packl gehaut. Eine spannende Ergänzung ist indes jetzt schon die mit Impulstanz kuratierte Schau nowhere / now here mit Videokunst aus den 1960ern und 1970ern. Besonders schön: Die zwölf Filme sind im leeren Raum an den Rand gerückt, sodass man mehrere gleichzeitig im Blick haben und vergleichen kann. Etwa Carolee Schneeman (Meat Joy) und Terry Fox (die Zunge in Tonguings!) mit Günter Brus (Selbstverstümmelung). (Michael Wurmitzer, 5.7.2024)