Beide Tore erzielte Merih Demiral am Dienstag beim 2:1-Achtelfinalsieg der Türkei über Österreich. Nach dem zweiten formte er mit seinen Händen den Wolfsgruß. Es war nicht das erste Mal, dass der Verteidiger einschlägig aufgefallen ist.
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Es war am 14. Oktober 2019, und es war in Paris. Beim EM-Qualifikationsspiel Frankreich gegen die Türkei war den Gästen in der 81. Minute durch Kaan Ayhan das 1:1 gelungen, das Remis sollte den Türken das Ticket für die (später aus Gründen auf 2021 verschobene) EM-Endrunde sichern. Da stellten sich etliche türkische Kicker an den Spielfeldrand, um dort zu salutieren. Die Geste sollte und musste mit der umstrittenen türkischen Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien in Verbindung gebracht werden.

Schon drei Tage zuvor, beim Spiel gegen Albanien in Istanbul, hatten sich die Türken salutierend mit Staatschef Recep Tayyip Erdoğan und dem militärischen Vorgehen gegen die Kurden solidarisiert. An, nun ja, vorderster Front stand da wie dort Merih Demiral. In Paris geriet der Verteidiger sogar mit seinem Mitspieler Ayhan aneinander, der Torschütze wollte sich diesmal nämlich nicht den Salutierenden anschließen, was Demiral missfiel. Es war und ist davon auszugehen, dass Ayhans Arbeitgeber Fortuna Düsseldorf nach dem Albanien-Spiel dem Kicker nahegelegt hatte, künftig lieber auf die Geste zu verzichten. Auch Schalke 04, Verein des salutierenden Ozan Kabak, kündigte ein Gespräch mit dem Spieler an.

Türkei-Sieg von Wolfsgruß überschattet
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Erdoğan: "Lynchkampagne"

Der europäische Fußballverband Uefa hatte schon vor dem Spiel in Frankreich ein Verfahren gegen den türkischen Verband eingeleitet. Schließlich verbieten die Regeln der Uefa politische Äußerungen in Stadien. Die zuständige Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer tagte, am Ende wurden 16 türkische Spieler verwarnt, und es wurde eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro gegen den türkischen Verband verhängt. Erdoğan kritisierte das heftig und meinte, es sei das Recht der Spieler, "unseren Soldaten nach einem Sieg zu salutieren". Er warf der Uefa vor, die türkischen Spieler zu "diskriminieren", und sagte sogar: "Die Athleten, die unser Land im Ausland repräsentieren, sind seit Beginn des Einsatzes Opfer einer Lynchkampagne."

Und jetzt das. Knapp fünf Jahre nach Istanbul und Paris war es wieder Demiral, der auffällig wurde. Diesmal in Leipzig. Wieder ermittelt die Uefa gegen den Kicker, der seit 2023 in Al-Ahli in Saudi-Arabien unter Vertrag steht und den sie in seiner Heimat den "Verteidigungsminister" nennen. Demiral hatte im EM-Achtelfinale nach seinem zweiten Tor beim türkischen 2:1-Sieg über Österreich den als rechtsextremes Zeichen und Symbol der Grauen Wölfe geltenden Wolfsgruß gezeigt und damit auch bei vielen Landsleuten für Befremden gesorgt. Die Uefa dürfte Demiral für zwei Spiele sperren, so berichtet es die Bild-Zeitung unter Berufung auf Informationen aus Uefa-Kreisen.

Zwei einbestellte Botschafter

Mittlerweile zieht die Aktion diplomatische Kreise. Am Donnerstag wurde der türkische Botschafter ins Außenministerium einbestellt, wie eine Ministeriumssprecherin in Berlin mitteilte. Am Mittwoch war bereits der deutsche Botschafter in Ankara einbestellt worden. Die türkische Regierung wirft Deutschland "Fremdenfeindlichkeit" vor.

Der Wolfsgruß ist in Deutschland nicht verboten. Gleichwohl schrieb die deutsche Innenministerin Nancy Faeser auf X: "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen." Und sie forderte die Uefa auf, eine Untersuchung einzuleiten, was diese dann auch tat, wenn auch vielleicht nicht auf Faesers Aufforderung hin.

Demiral: "Sinn der Geste"

Demiral (26) selbst sah es so: "Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste. Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin." Es werde, hielt er fest, hoffentlich noch mehr Gelegenheiten geben, diese Geste zu zeigen. Womöglich bekommt er im Viertelfinale gegen die Niederlande (Samstag, 21 Uhr), für das sich auch Erdoğan angesagt hat, diese Gelegenheit nicht mehr.

Die Grauen Wölfe hängen der rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung an, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung, sie ist Bündnispartnerin von Erdoğans islamisch-konservativer AKP. In Deutschland, wie gesagt, sind weder die Organisation noch der Gruß verboten, in Österreich ist der Gruß seit 2019 strafbar. So oder so kommt er einer jener politischen Äußerungen gleich, denen die Uefa-Regeln einen Riegel vorschieben sollen. Und so oder so herrscht Verwunderung darüber, dass der türkische Verband auf Demiral und Co nicht beizeiten eingewirkt hat, solche Gesten zu unterlassen.

Das abgelehnte Lied

Wobei – der türkische Fußballverband TFF ist vielleicht auch ein Kapitel für sich. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtete, war unter jenen Vorschlägen, die der TFF der Uefa zur musikalischen Begleitung des türkischen Teams unterbreitet hatte, auch das Lied Ölürüm Türkiyem von Mustafa Yıldızdoğan. Er steht der MHP nahe, pflegte einst eine enge Beziehung zum Parteigründer, dem Neofaschisten und Rassisten Alparslan Türkeş. Die Uefa hat auf die Nummer verzichtet, laut FAZ sollte "die Hymne des türkischen Rechtsextremismus bei der EM keinen Platz haben". (Fritz Neumann, 4.7.2024)