Sophia Süßmilch hat für die Kunsthalle Osnabrück eine Einzelausstellung und eine Performance entwickelt. Dagegen ist die örtliche CDU in den Kulturkampf gezogen.
Apollonia T. Bitzan

Nach der Eröffnung des Jahresprogramms "Kinder, hört mal alle her!" in der Kunsthalle Osnabrück riefen Lokalpolitiker der CDU zum Boykott der Ausstellung von Sophia Süßmilch auf. Im Zentrum der Kritik steht eine Performance, in der sich die feministische Künstlerin mit Mutterschaft, Kannibalismus und Liebe beschäftigt.

STANDARD: Die CDU warf Ihnen kannibalistische Fantasien vor. Was ist geschehen?

Süßmilch: Ich habe am Eröffnungstag der Ausstellung von der Direktion der Kunsthalle erfahren, dass die örtliche CDU zum Boykott aufruft. Wir Performerinnen fanden das komisch und niedlich. Besonders der Wortlaut "visuell und inhaltlich inakzeptabel" war belustigend, weil wir wussten, dass niemand von denen die Ausstellung gesehen hatte.

STANDARD: Was ist in der Ausstellung zu sehen?

Süßmilch: Schon öfter habe ich gemeinsam mit meiner Mutter gearbeitet und mich viel mit den Themen Mutterschaft, Schwangerschaft und Fortpflanzung beschäftigt. Die Welt ist zwischen Katastrophen, Klimawandel und Rechtsruck im Wandel. "Warum soll ich mich also fortpflanzen?", dachte ich mir. Mit meiner Mutter war ich gemeinsam in Thailand und habe mich mit ihr viel darüber unterhalten – sie hat fünf Kinder geboren. Ich habe bereits vor zwei Jahren damit begonnen, mich mit Kannibalismus zu beschäftigen. Mich hat dieses absolute Tabu interessiert, dass wir keine Menschen essen. An Tabus kann man die Ambivalenzen der Gesellschaft ablesen.

STANDARD: Warum finden Sie das faszinierend?

Süßmilch: Im medizinischen Fachbuch Sexueller Kannibalismus von Klaus Beier wird der Fall von Armin Meiwes beschrieben, dem Kannibalen von Rothenburg. Er hat Teile der Leiche seines Opfers gegessen. Beier glaubt, dass sich der Grund für so ein Verhalten teilweise durch die kindliche Angst vorm Verlassenwerden erklären lässt. Dadurch entsteht dieser Einverleibungswunsch. Ich finde das poetisch und nachvollziehbar. Diese Angst vor der Einsamkeit ist für viele Menschen doch auch ein Grund, Kinder zu bekommen und Familien zu gründen. Aus dieser Ambivalenz habe ich meine Performance aufgebaut, darin geht es um die Geschichte der Frau. Die Gesamtheit der Frauen beschließt einen Gebärstreik. Weil die Welt untergeht, verschlingen sie ihre Kinder – um sie zu schützen. Wie in einem grausamen Märchen.

Von der CDU war bei der Performance, die zur Eröffnung der Ausstellung gezeigt wurde, niemand anwesend.
Süßmilch/Kunsthalle Osnabrück

STANDARD: Sie bekamen auch Morddrohungen.

Süßmilch: Eigentlich will ich mich dazu gar nicht mehr äußern, weil das immer wieder Frauen in die Opferrolle rückt. Ich will lieber inhaltlich darüber reden. Mit meinen Morddrohungen gehe ich um wie jeder erwachsene Mensch – nämlich über meinen Anwalt. Mir bleibt nichts anderes übrig. Es ist ein Spiegelbild dessen, wie gerne Männer Frauen umbringen. Gerade Österreich ist bei Femiziden an der Spitze.

STANDARD: Mittlerweile war Marius Keite, der Fraktionsvorsitzende der CDU Osnabrück, in der Ausstellung.

Süßmilch: Die Kuratorin hat ihm erklärt, was die Ausstellung transportieren soll. Aber er ist darauf überhaupt nicht eingegangen. Ich bin enttäuscht – hatte ich ihn und die gesamte CDU-Fraktion doch zu einem Rap-Battle aufgefordert, aber sie sind dem noch immer nicht nachgekommen. Mich wundert nach wie vor, dass die Bundes-CDU der Fraktion in Osnabrück noch immer keins auf den Deckel gegeben hat, weil sie die Kunstfreiheit einschränken wollen. Das lässt mich Angst haben, ob die CDU nicht doch ein Bündnis mit der AfD anstrebt.

STANDARD: Wie steht es um die Freiheit der Kunst und das Verhältnis zur Politik? Geht es sich aus, die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren, wenn man auch auf Förderungen angewiesen ist?

Süßmilch: Es sollte kein seltsames Verhältnis sein. Wenn rechte Parteien an die Macht kommen, ist es aber ein gefährliches Verhältnis. Dann muss man aufpassen, was die Kunst, aber auch die Pressefreiheit angeht. Es sollte fachlich besetzte Jurys geben, die unabhängig entscheiden, wem die Politik wie viel Geld bereitstellt. Es ist ein Irrglaube, dass die gute und wahre Kunst ohne Förderungen besteht. Auch die sogenannte Hochkultur, wo eher konservative Leute hingehen, braucht starke Förderungen und nährt ihre Ideen oft aus der Subkultur.

STANDARD: Verstehen Sie, dass sich Menschen von Ihrer Kunst provoziert fühlen?

Süßmilch: Die CDU fühlt sich von allem provoziert. Besonders wenn Frauen nicht dem klassischen Rollenbild entsprechen. Wenn ich ein Mann gewesen wäre, der etwas mit Kannibalen gemacht hätte, wären sie bestimmt vorsichtiger gewesen. Das hat auch gar nicht so viel mit mir zu tun, die CDU will die Kunsthalle seit Jahren schließen. Ich habe dort meiner Meinung nach kein Tabu gebrochen, das Thema Kannibalismus gab es auch schon in Hänsel und Gretel. Wir haben mit einem Awarenessteam, einer Hilfehotline und einer Altersbeschränkung eigentlich alle Maßnahmen gesetzt.

STANDARD: Im Linzer Dom wurde ebenfalls gegen Kunst vorgegangen, dort hat jemand eine gebärende Marienstatue der Künstlerin Esther Strauß geköpft.

Süßmilch: Das empfinde ich als vergleichbaren Eingriff in die Kunstfreiheit. Darin spiegelt sich einfach der Hass auf Frauen. Wo denken Leute, dass sie herkommen, wenn sie eine gebärende Maria als Skandal ansehen? Wir sollen am besten keine Sexualität darstellen, keine Vagina. Ich solidarisiere mich mit der Künstlerin, das ist eine absolute Frechheit. Religiöser Fanatismus ist auch ein Problem. Ich greife in niemandes Religionsfreiheit ein, aber ich finde jede Religion agiert mit der Unterdrückung des Weiblichen.

In ihrer Ausstellung beschäftigt sich die Künstlerin mit den großen Fragen der Menschheitsgeschichte. Warum sind wir auf der Welt? Was macht uns menschlich– und was ist Liebe?
Süßmilch/Kunsthalle Osnabrück

STANDARD: Wie ist es, als Frau polarisierende Kunst zu machen?

Süßmilch: Ich kann mich auf Vernissagen nicht so zugekokst aufführen, wie viele Männer das machen. Man braucht sich aber auch nur das STANDARD-Forum ansehen, aus Selbstschutz werde ich dort nicht reinschauen. Der Hass liegt oft ganz eindeutig daran, dass ich eine Frau bin. Da greifen viele Mechanismen und Strukturen, aber vor allem haben die meisten Menschen vor Frauen weniger Angst, schlichtweg, weil diese meist physisch unterlegen sind.

STANDARD: Sehen Sie sich eigentlich als Opfer einer "Cancel-Culture"?

Süßmilch: Mich erinnert dieses Vorgehen an Donald Trump. Man agiert in einer gewissen Weise, wirft dann aber dem Gegner vor, so zu agieren. Ich habe wahnsinnige Angst davor, was passiert, wenn die FPÖ in die Regierung kommt. Ich lehne alles ab, was von der FPÖ und von Kickl kommt.

STANDARD: Sollte man sich nicht mit seinen Gegnern beschäftigen?

Süßmilch: Ich bin durchaus bereit zuzuhören, aber manche Menschen wollen mir doch gar nicht wirklich zuhören. Ich kenne faschistoides Gedankengut. Heute verwenden sie eben Begriffe wie "Ethnopluralismus", aber sie meinen genau das gleiche wie im Nationalsozialismus. Mir machen Menschen Angst, die so etwas wählen. Da werden wir uns noch wundern, was alles an Kunst verboten wird.

STANDARD: Wo ist die Grenze? Ab wann spricht man nicht mehr mit jemandem?

Süßmilch: Wenn sich jemand menschenfeindlich äußert und das nicht auf einer metaphorischen, künstlerischen oder poetischen Ebene stattfindet. Wenn mir die CDU einen Rap-Text vorgelegt hätte, in dem sie mir sagen, wie scheiße meine Ausstellung ist, hätten wir darüber diskutieren können.

STANDARD: Der ehemalige FPÖ-Parteiobmann H.-C. Strache hat in mehreren Wahlkämpfen Rap-Videos veröffentlicht.

Süßmilch: Wenn Strache Bock auf Battle-Rap hat, mache ich ihn fertig. Let's do it, H.-C.! (Jakob Thaller, 5.7.2024)