Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), FPÖ-Chef Herbert Kickl, Gesundheitsminister Johannes Rauch und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (beide Grüne) am Donnerstag im Parlament.
APA/ROLAND SCHLAGER

"Rechtsbruch", "Verfassungsbruch", "blindwütiger Aktionismus", "erinnert an das Vorgehen der Klimakleber": Viel Kritik musste Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) nach ihrem Alleingang in Luxemburg vor zwei Wochen – sie hatte gegen den expliziten Willen der ÖVP und der meisten Bundesländer für das EU-Renaturierungsgesetz gestimmt – einstecken. Außerdem handelte die grüne Ministerin sich eine Anzeige ihres Koalitionspartners ÖVP wegen Amtsmissbrauchs ein. Am Donnerstagnachmittag erreichte die Aufregung um Gewesslers Vorgehen schließlich auch das Parlament. Gewessler sah sich im Hohen Haus mit einer dringlichen Anfrage samt Misstrauensantrag der FPÖ konfrontiert.

Die blaue Abgeordnete Susanne Fürst begründete die Anfrage "betreffend die eigenmächtige Zustimmung der Bundesministerin Gewessler zum EU-Renaturierungsgesetz" damit, dass Gewessler sich "ohne Rücksicht auf unser Land über alle Regeln hinweggesetzt" habe. Dafür ließe sie sich jetzt "als Heldin der Natur und der Blumenwiese" feiern. Mehr als die "formale Rechtswidrigkeit" störe sie aber der "fatale Inhalt" der Verordnung.

Kernpunkt der Verordnung ist die Pflicht der EU-Mitgliedsstaaten, ihre Umwelt nicht nur zu schützen, sondern die Natur in einen guten ökologischen Zustand zurückzuführen. Dazu gehören Vorhaben, wie Wälder aufzuforsten, Moore wiederzuvernässen und Flüsse wieder in ihren natürlichen Zustand zu versetzen. Für Fürst habe die Verordnung jedoch "nichts mit Naturschutz oder einem Sieg der Natur zu tun". Vielmehr sah sie eine Ideologie durchgesetzt, "die auf demokratischem Wege nie eine Mehrheit finden würde". Fürst bezweifelte zudem, dass der chinesische Staatspräsident Xi Jinping oder der nordkoreanische Führer Kim Jong-un ein solches Gesetz vorlegen würden.

"Natur ist unsere Lebensgrundlage"

Gewessler wies die Vorhalte im Anschluss scharf zurück und betonte in der Beantwortung der 20 Fragen umfassenden Anfrage mehrfach, dass sie dem Gesetz "rechtskonform zugestimmt" habe, und zwar mit einer qualifizierten Mehrheit der EU-Mitgliedsländer. Die Entscheidung habe sie "keineswegs auf die leichte Schulter genommen" und "keinesfalls habe ich mit dieser Entscheidung die Verfassung gebrochen, geschweige denn Amtsmissbrauch begangen", zeigte sich Gewessler überzeugt.

Die Ministerin, die auf der Regierungsbank von Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Johannes Rauch symbolische Unterstützung erhalten hatte, betonte, dass mehr als 80 Prozent der geschützten Lebensräume in der EU in einem schlechten Zustand seien und die Natur sich nicht selbst schützen könne. Den Auftrag, den das Naturschutzgesetz erfüllen würde, sei "im Einklang mit der Natur zu wirtschaften". Und genau das brauche es, denn "die Natur ist unsere Lebensgrundlage". Ohne sie gebe es weder ein "glückliches Leben" noch "erfolgreiches Wirtschaften". Rückendeckung bekam Gewessler von Klubobfrau Sigrid Maurer: "Sie macht ihren Job, und sie schützt das Klima."

"Rückhaltlosigkeit und Führungsschwäche"

Im Anschluss trat FPÖ-Chef Herbert Kickl ans Rednerpult, der die ÖVP ins Visier und in die Verantwortung nahm. Die Vorgangsweise der Volkspartei "beim Thema Renaturierungsattentat" sei "im wahrsten Sinne des Wortes ein Outing in Sachen Rückhaltlosigkeit und Führungsschwäche", sagte Kickl. Seine Kritik richtete sich im Speziellen an Regierungschef Karl Nehammer, der weder verhindert habe, dass Gewessler der Verordnung zustimmt, noch Konsequenzen gezogen habe, nachdem diese das getan habe. Nehammer hätte "dieses brutale Attentat auf die Bauern und Konsumenten verhindern können und verhindern müssen". Dass Nehammer Gewessler nicht hat abberufen lassen, sah Kickl als Beweis dafür, dass "Machtbesessenheit der Kitt dieser Koalition ist". Stattdessen habe Gewessler "den Kanzler am Nasenring durch die politische Manege gezogen und Österreich zur Lachnummer gemacht".

Zur Verteidigung der ÖVP rückte daraufhin der Abgeordnete und Bauernbund-Präsident Georg Strasser aus. Strasser griff einerseits Kickl wegen dessen seltener Anwesenheit im Nationalrat an: "Herzlich willkommen im österreichischen Parlament", begrüßte er den FPÖ-Chef. Der FPÖ unterstellte er, "zweifellos im Wahlkampf" zu sein und "die Bauern und Bäuerinnen entdeckt" zu haben, um bei diesen "auf Stimmenfang zu gehen". Andererseits arbeitete er sich an Gewessler ab: "Ich bin überzeugt, dass Sie Rechtsbruch begangen haben" – ihre Vorgangsweise bezeichnete er als "inakzeptabel". Strasser verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Rechtsposition des Verfassungsdiensts, wonach Gewessler dem Renaturierungsgesetz nicht im Alleingang hätte zustimmen dürfen. Und dennoch: Dem Misstrauensantrag gegen Gewessler wird die ÖVP am Ende des Tages nicht zustimmen.

Große Mehrheit gegen Misstrauensantrag

Für das Renaturierungsgesetz stark machte sich schließlich SPÖ-Vizeklubchefin Julia Herr. "Es ist schon absurd, dass Parteien, die sich Heimat ganz groß obendrauf schreiben, nämlich ÖVP und FPÖ, diese in Wirklichkeit nicht schützen wollen", sagte sie. "Es geht um unsere Wiesen, Wälder, Flüsse und Bäche – und die gilt es zu schützen." In Richtung Kickl fragte sie: "Wo wollen Sie denn wandern gehen, wenn wir die österreichischen Berglandschaften nicht schützen?"

Seitens der Neos kritisierte der Abgeordnete Michael Bernhard schließlich die Uneinigkeit der Regierung: Wörtlich sprach er von einem "Armutszeugnis von beiden Seiten" und einer "Peinlichkeit für die Republik". Doch auch die FPÖ ließ er nicht aus der Verantwortung: "Sie bringen keine Lösung, und Sie stacheln auf."

Am Ende der Debatte wurde Donnerstag Abend schließlich über den von der FPÖ eingebrachten Misstrauensantrag gegen Gewessler abgestimmt. Die dringliche Anfrage war quasi die Basis für den Antrag, mit dem man Gewessler aus dem Amt jagen wollte. Der Antrag wurde allerdings mit großer Mehrheit abgelehnt, lediglich die Mandatarinnen und Mandatare der FPÖ stimmten dafür. Insgesamt standen 28 Ja-Stimmen 143 Nein-Stimmen gegenüber. (Sandra Schieder, 4.7.2024)