ORF-Beitrag und ORF-Gremien, öffentliche Werbebuchungen und Medienförderungen, Desinformation und Fake News: Welche medienpolitischen Maßnahmen müssen zwingend ins nächste Regierungsprogramm mit Ihrer Partei?

Diese Frage stellte DER STANDARD den Mediensprecherinnen und Mediensprechern der Parlamentsparteien – und noch viele mehr, in einem großen Fragebogen zur Medienpolitik nach der Wahl am 29. September 2024. Die Antworten bringt DER STANDARD in den nächsten Tagen komplett und nach Themen sortiert, in dieser Serie über Medienpolitik zur Wahl. Wir starten mit der Grundsatzfrage: Was muss ins Regierungsprogramm, damit Ihre Partei an Bord ist? In den medienpolitischen Grundsatzbekenntnissen stimmen viele überein, bei einigen Punkten liegen sie sehr weit auseinander.

Unabhängigere ORF-Gremien, Kampf gegen Desinformation

Die FPÖ will "jedenfalls" den ORF-Beitrag abschaffen, Medien von der "Inseratenabhängigkeit befreien", plattformunabhängige Medienförderungen. Sie warnt aber im Fragebogen etwa auch vor Missbrauch von Maßnahmen gegen Hassrede zur "Zensur". Die SPÖ will unabhängigere ORF-Gremien, transparentere öffentliche Inseratenvergabe und höhere Medienförderungen. Die Neos verlangen eine Obergrenze für öffentliche Inserate und eine Neukonzeption der Medienförderungen, eine "Entpolitisierung" des ORF, Maßnahmen gegen Desinformation und zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten. Die Grünen, derzeit in Koalition mit der ÖVP, würden die ORF-Gremien gern "ernsthaft" unabhängiger von Parteipolitik machen und Medienförderungen "mit weiteren objektivierbaren Qualitätskriterien harmonisieren". Die ÖVP formuliert ihre medienpolitischen Bedingungen für eine nächste Koalition sehr allgemein als Stärkung des Medienstandorts Österreich und "Kampf gegen Desinformation und Fake News".

Illustration mit Logos von ORF, Google, Tiktok und Co
Vor der Nationalratswahl: STANDARD-Fragebogen zu den medienpolitischen Plänen und Positionen der Parlamentsparteien.
STANDARD-Grafik Michaela Köck

Die Frage nach medienpolitischen Koalitionsbedingungen war die letzte in einem mit 27 Punkten recht ausführlichen Fragebogen, dessen Beantwortung ein Teilnehmer als "Masterarbeit" zur Medienpolitik bezeichnete. Da kann sich im Finale schon eine kleine Erschöpfung bemerkbar machen.

ÖVP und Grüne haben in der aktuellen Koalition unüblich viele medienpolitische Maßnahmen gesetzt – und dafür nicht wenig Kritik geerntet.

Medienpolitik als Koalitionsbedingung

Welche medienpolitische Maßnahme muss aus Ihrer Sicht zwingend in ein Regierungsprogramm mit Ihrer Partei? Mit dieser letzten Frage im STANDARD-Fragebogen an die aktuellen Mediensprecherinnen und Mediensprecher der Parlamentsparteien starten wir die Serie Medienpolitik zur Wahl. Die Antworten darauf im Volltext:

"Parteipolitische Unabhängigkeit" für ORF

Partelogo Grüne
Was die aktuelle Mediensprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, als medienpolitische Bedingungen für eine nächste Koalition formuliert:
Grüne
"Eine ernst gemeinte und umfassende Reform der ORF-Gremien, die die parteipolitische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stärkt, und eine Zurückdrängung des Einflusses der Landeshauptleute in den Landesstudios. Darüber hinaus eine Harmonisierung der Fördergesetze mit weiteren objektivierbaren Qualitätskriterien, wie wir das schon in der Qualitätsjournalismus-Förderung erstmals verankert haben."

Der Verfassungsgerichtshof hob die Besetzung eines Teils der ORF-Gremien Stiftungsrat und Publikumsrat als zu regierungsnah auf. Er verlangt bis Ende März 2025 eine Reparatur. Die aktuelle Koalition schaffte keine Novelle mehr. Das dürfte auch daran liegen, dass die ÖVP derzeit allein eine Mehrheit im obersten Entscheidungsgremium ORF-Stiftungsrat hat. Solange keine Novelle zustande kommt, können laut Gutachten für das Bundeskanzleramt die bisherigen Stiftungsräte ihre Mandate behalten und weiter ausüben.

Die von Blimlinger angesprochenen Landeshauptleute haben laut ORF-Gesetz ein Recht auf Vorabinformation des ORF-Generals oder der Generalin, wen dieser dem Stiftungsrat für die Funktion der ORF-Landesdirektorin oder des Landesdirektors vorschlägt. Die Länder haben derzeit neun Stimmen unter 35 im Stiftungsrat; ihre Zustimmung kann auch für die Bestellung von ORF-Generälen entscheidend sein.

Die grüne Abgeordnete verweist hier etwa auf Kriterien für Bonuszahlungen der neuen Journalismusförderung wie Redaktionsstatute, Frauenförderung, Qualitätsmanagement, zudem haben die Grünen in der Koalition mit der ÖVP Ausschlusskriterien für Förderungen, etwa bei Gewaltaufrufen von Medien, reklamiert.

Blimlinger steht bei der Nationalratswahl auf der Wiener Liste der Grünen erst auf Platz neun.

"Deckel für öffentliche Inserate"

Parteilogo Neos
Was Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter als medienpolitische Koalitionsbedingungen nennt.
Neos

Als "drängendstes medienpolitisches" und zugleich "zutiefst gesellschaftspolitisches Thema" nennt Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter im Fragebogen: "Die Freiheit der Medien muss sichergestellt und ausgebaut werden. Jeder Angriff auf eine/n Journalist:in oder auf ein ganzes Medium ist zugleich ein Angriff auf unsere Demokratie und den Rechtsstaat selbst. Österreich hat hier spätestens seit Türkis-Blau den falschen Weg eingeschlagen – nämlich weg von der Freiheit, hin in Richtung eines Viktor Orbán, der Ungarns Medienlandschaft politisch kontrolliert und öffentlich zur Jagd auf die letzten unabhängigen Medien bläst."

"Abschaffung der Zwangsgebühren"

FPÖ-Parteilogo
Freiheitliche Koalitionsbedingungen – der STANDARD-Fragebogen ging an FPÖ-Mediensprecher und -Generalsekretär Christian Hafenecker.
FPÖ
"Aus freiheitlicher Sicht braucht es jedenfalls eine ORF-Reform mit Abschaffung der Zwangsgebühren. Außerdem müssen die Medien aus der Inseratenabhängigkeit befreit werden und die diversen Förderschienen zu einer plattformunabhängige Medienförderung entwickelt werden, die nach klaren Kriterien vergeben wird und nicht am Konsumverhalten und Informationsbedürfnis der Bürger vorbei fördert. Das sind freiheitliche Grundforderungen. Darüber hinaus sind wir insbesondere betreffend Maßnahmen zur Absicherung des heimischen Medienstandorts im internationalen Wettbewerb gesprächsbereit."

Die FPÖ verlangt eine Finanzierung des ORF aus dem allgemeinen Staatsbudget bei gekürzten Mitteln. Sie spricht von einem "Grundfunk".

Im STANDARD-Fragebogen vermisst die FPÖ etwa "eine Anerkennung der freien und alternativen Medienszene, die in Österreich mittlerweile über enorme Reichweiten, Leserschaften und Einfluss verfügt, aber von den offiziellen Medienförderungen und Regierungsstellen weder wahrgenommen noch beachtet wird".

"Transparente Inseratenvergabe"

Parteilogo SPÖ
Koalitionsbedingungen aus der SPÖ. DER STANDARD adressierte den Fragebogen an Muna Duzdar, seit 2023 Mediensprecherin, aber für die anstehende Wahl auf einem sehr schwierigen Listenplatz.
SPÖ

"Kampf gegen Desinformation"

Parteilogo ÖVP
Was ÖVP-Mediensprecher Kurt Egger als Koalitionsbedingungen formuliert:
ÖVP

Um die medienpolitischen Vorstellungen der Parlamentsparteien zu Themen wie ORF und ORF-Beitrag, ORF-Gremien und Politeinfluss, Medienförderungen, Konkurrenz und Bedrohung durch internationale Tech-Konzerne, Künstliche Intelligenz, Datenschutz, Informationsfreiheit und Zitierverbote, parteiische und Parteimedien und die Bedeutung von Medien und direkter Kommunikation für die Parteien, Schutz und Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten und die Aufgabe und Rolle des Journalismus geht es in den nächsten Folgen dieser Serie Medienpolitik zur Wahl in den kommenden Tagen. (Harald Fidler, 5.7.2024)