Eines der monumentalen Magnetmodule, die den künftigen Reaktorraum umgeben werden.
APA/AFP/NICOLAS TUCAT

Vom internationalen Fusionsreaktor Iter, der den Weg zu sauberer Kernenergie nach dem Vorbild der Sonne ebnen soll, kommen wieder einmal schlechte Nachrichten.

Diese Woche konnte die Iter-Kollaboration zwar einen sehnsüchtig erwarteten Meilenstein vermelden: Die Lieferung der überdimensionalen Magnetspulen, die künftig das heiße Gas einschließen sollen, wurde abgeschlossen.

Doch unmittelbar nach den Feierlichkeiten veröffentlichte man eine weitere Anpassung der Zeitpläne. Das Einschalten ist nun für das Jahr 2034 geplant, neun Jahre später als bisher geplant. Das verkündete Iter-Generaldirektor Pietro Barabaschi am 3. Juli. Dafür soll aber eine "komplettere Maschine" entstehen, sagt Barabaschi.

Sicherheitsbedenken

Auf dem Onlineportal des Wissenschaftsmagazins Science geben Beteiligte des Projekts Einblicke in einige der Gründe für die Verzögerungen. Zum Teil geht es um Sicherheitsbedenken. In Frankreich ist eine Behörde namens ASN für die Sicherheit von nuklearen Anlangen zuständig, und diese meldete Zweifel an.

2022 wurde der Bau dann überhaupt gestoppt. Die ASN sorgte sich um das Wohlergehen der künftigen Iter-Mitarbeiter, die vor der während der Fusionsreaktion entstehenden Neutronenstrahlung nicht ausreichend geschützt seien. Weitere Abschirmungen mussten angebracht werden, die wiederum das Betonfundament zu überlasten drohten.

Zudem verlangte die ASN Garantien zur Dichtheit des Reaktors. Einige elf Meter hohe, in Südkorea produzierte Komponenten erfüllten nicht die Genauigkeitsanforderungen. Das Iter-Projekt hat die Besonderheit, dass teilweise identische Komponenten in unterschiedlichen Teilen der Welt gefertigt werden, um den Austausch von Know-how zu forcieren. Der Zugang ist so unkonventionell wie fehleranfällig.

Das Iter-Gebäude im Jahr 2022.
APA/AFP/NICOLAS TUCAT

Bei Iter wollte man die Ungenauigkeiten im Zuge des Zusammenschweißens kompensieren, doch die ASN ließ sich nicht überzeugen. Sie befürchtete, radioaktives Tritium könnte austreten. Diese Variante des Wasserstoffs besitzt mehr Neutronen im Kern als konventioneller Wasserstoff und ist radioaktiv. Zwar zerfällt sie mit einer Halbwertszeit von etwa zwölf Jahren schnell und ist auch als Beta-Strahler weniger gefährlich als die Brennstoffe und Abfälle konventioneller Kernkraftwerke. Doch der Austritt radioaktiven Materials ist für die ASN nicht akzeptabel.

Nun werden die fehlerhaften Komponenten vor Ort nachbearbeitet. Diesen Monat soll die erste von ihnen fertiggestellt werden. Sofern die ASN dann zufrieden ist, kann mit der Installation fortgefahren werden.

Vorerst kein Tritium

Die Sicherheitsbedenken rund um das radioaktive Wasserstoffisotop Tritium bewirkten auch eine Änderung der Taktik nach dem Hochfahren. Zuerst soll kein Tritium verwendet werden, sondern nur das nicht radioaktive Deuterium, das ein Neutron weniger im Kern hat als Tritium. So lässt sich anfangs das Risiko minimieren, allerdings auf Kosten des wissenschaftlichen Werts. Später soll dann das eigentlich vorgesehene Deuterium-Tritium-Gemisch zum Einsatz kommen, mit dem auch eine echte Energieproduktion wie in einem späteren Kraftwerk möglich ist.

Das Video zeigt Plasma in einem Tokamak-Reaktor im englischen Culham. Die Anlage heißt Compass und ist deutlich kleiner als Iter.
Institute of Plasma Physics IPP

Sobald Tritium verwendet werden kann, wird der Reaktor kurze Energiepulse erzeugen, während derer dann ein Zehnfaches der zugeführten Energie erzeugt werden soll, erstmals mit einer kraftwerkstauglichen Technologie wie einem Tokamak.

Kompakte Konkurrenzprojekte

Derweil berichtet das staatliche chinesische Medium CGTN von einem "Durchbruch" in Form eines kompakten Forschungsreaktors nach demselben Prinzip wie Iter. Ein privates Unternehmen namens Energy Singularity hat ihn gebaut. Innovativ daran ist die Verwendung von moderneren Supraleitern für die Magnetspulen, die bei höheren Temperaturen funktionieren und dadurch geringere Kühlung benötigen. Es handelt sich um eine Verbindung aus Barium, Kupferoxid und einem Element aus den sogenannten seltenen Erden, etwa Lanthan oder Yttrium.

Gelobt werden auch seine kompakten Ausmaße, die eine billigere Produktion versprechen und laut Unternehmensgründer Go Houyang "in der Zukunft wirtschaftlich rentablere Fusionsreaktoren" ermöglichen sollen.

Kleinere Fusionsreaktoren gibt es allerdings seit vielen Jahrzehnten, auch in Europa. Mit solchen Reaktoren ist es bislang nicht gelungen, eine Energieausbeute zu erreichen, die eine Kraftwerksnutzung in greifbare Nähe rücken lässt. Darin liegen auch die monumentalen Ausmaße von Iter begründet.

Die Nachricht aus China reiht sich in eine Liste von Ankündigungen der letzten Jahrzehnte ein, die in Zukunft kraftwerkstaugliche Fusionstechnologie versprechen. Energie Singularity will das bis 2030 erreichen. Sofern es nicht zu Verschiebungen kommt. (Reinhard Kleindl, 4.7.2024)