Künftig im Steuerrecht verankert wird ein 60-Euro-Bonus für Beschäftigte mit niedrigem Einkommen.
Getty Images

Für den angekratzten Staatshaushalt wäre es besser gewesen, die Regierung hätte sich gar nicht geeinigt. Die kalte Progression ist bekanntlich abgeschafft, die Mehreinnahmen des Finanzministers aus den schleichenden Steuererhöhungen werden seit 2023 rückverteilt. Wobei das bei zwei Dritteln des Betrags automatisch geschieht und es beim letzten Drittel eine politische Einigung braucht, ansonsten verbleibt das Geld beim Staat. Angesichts einer Neuverschuldung von über drei Prozent und eines drohenden EU-Verfahrens eine Gelegenheit also, das Budget ein Stück weit zu sanieren.

Aber die Rückverteilung ist nun einmal gesetzlich vorgeschrieben (wobei bei Untätigkeit nichts passiert wäre), und ein Wahljahr ist obendrein auch. Also hat sich die türkis-grüne Regierung natürlich geeinigt, was mit dem letzten Drittel geschehen soll. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Grünen-Chef Werner Kogler (Grüne) haben die Details dazu am Donnerstag vorgestellt.

Österreichs Regierung senkt Steuern: Wer profitiert
Die Steuerstufen werden für nächstes Jahr um knapp vier Prozent angehoben. Darauf hat sich die Regierung im Zusammenhang mit der Abschaffung der Kalten Progression geeinigt. Zudem steigt etwa das Kilometergeld, es wird für Pkw, Motorräder und Fahrräder einheitlich mit 50 Cent pro Kilometer festgesetzt. Die Einigung zeige, wie "handlungsfähig" die Regierung sei, betonte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Donnerstag.
DER STANDARD

Aus Verhandlerkreisen hatte DER STANDARD davor bereits zu erfahren, wer vom Geld profitieren soll. Insgesamt werden über die Rückerstattung der kalten Progression im kommenden Jahr rund 1,9 Milliarden Euro vom Staat rückverteilt. Laut Progressionsbericht des Forschungsinstituts IHS stehen damit für das letzte Drittel, um das es hier geht, 651 Millionen Euro zur Verfügung.

Der Abgeltungsmechanismus sieht vor, dass die Inflationsrate zwischen Juni und Juli als Basis für die Berechnung herangezogen wird. Sie beträgt 4,9 Prozent. Um den Wert, der zwei Dritteln davon entspricht, werden die Tarifstufen im kommenden Jahr automatisch angehoben, was also einer Erhöhung von etwa 3,3 Prozent entspricht.

60-Euro-Dauerbonus

Ein Teil der Einigung sieht wie berichtet vor, dass mit dem letzten Drittel aus der kalten Progression die Anhebung der Tarifstufen etwas höher ausfallen wird, nämlich 3,8 Prozent. Kostenpunkt: 170 Millionen Euro. Davon profitieren alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, reich wie arm. Nur für den Einkommensanteil über eine Million gibt es keine Anhebung. Ebenfalls fix ist die gesonderte Erhöhung diverser steuerlicher Absetzbeträge. Kostenpunkt: 115 Millionen Euro.

Die aktuellen Grenzwerte für die Höhe der Einkommenssteuer. Die Grenzwerte (links) sind es, die ab 2025 wieder angehoben werden.

Und: Die Einkommensgrenze, ab der Kleinunternehmer keine Umsatzsteuer zahlen müssen, steigt von aktuell 42.000 auf 55.000 Euro an.

Herzstück des Pakets ist aber eine Neuregelung eines steuerlichen Zuschusses für Familien mit geringem Erwerbseinkommen: Diesen Zuschuss wird es ab 2025 für Familien geben, bei denen das Einkommen im Jahr unter 24.500 Euro liegt, was einem Bruttoverdienst von etwa 1750 Euro im Monat entspricht. Im Wesentlichen werden es Alleinverdiener und Alleinerzieherinnen sein, die profitieren. Der Zuschuss beträgt 60 Euro pro Kind und Monat, die Auszahlung erfolgt antragslos.

Ganz neu ist das alles nicht: Bereits im Frühjahr 2023 wurde wegen der gestiegenen Inflation ein 60-Euro-Scheck gegen Kinderarmut eingeführt. Allerdings galt diese Maßnahme nur befristet bis Ende 2024. Nun wird der Zuschuss dauerhaft ins Steuerrecht übernommen. Kostenpunkt: 180 Millionen Euro im Jahr.

Die Neuregelung zeigt die unterschiedlichen Zugänge der Koalitionspartner in der Sache. Die ÖVP gibt Familien als Wählergruppe gern etwas dazu. Sie zielt dabei auf die Mittelschicht ab, es geht ihr nicht um Umverteilung. Die Grünen dagegen drängten bei den Verhandlungen darauf, mit diesem Familienzuschuss auch soziale Absicherung zu betreiben. Herausgekommen ist ein Mix: Das Geld gibt es künftig für Menschen am unteren Einkommensrand. Nicht mehr profitieren werden allerdings ab 2025 von Langzeitarbeitslosigkeit betroffene Menschen und jene, die Mindestsicherung beziehen – diese Gruppen erhielten bisher die 60 Euro.

50 Cent pro Kilometer

Die Neuregelung sieht aber dem Vernehmen nach vor, dass 30-Tage-Beschäftigung im Jahr ausreichen soll, um die 60 Euro zu erhalten, womit der Bezieherinnenkreis auch eine sehr hohe Zahl an Arbeitslosen miterfassen wird. Bei den Mindestsicherungsbeziehern wird auf grüner Seite argumentiert, dass die soziale Absicherung valorisiert sei, also mit der Inflation mitsteige (was in der Tat der Fall ist). Viele Langzeitarbeitslose stocken ihr Einkommen auf die Mindesthöhe der Mindestsicherung auf, auch ihr Bezug ist damit valorisiert.

Eine weitere Neuerung bringt die Rückverteilung der Mittel noch: Das Kilometergeld, das seit 14 Jahren nicht angehoben wurde, wird erhöht, und zwar von 42 auf 50 Cent. Gefordert hatten das lautstark Österreichischer Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer.

Davon profitieren einerseits Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer, die sich Fahrten mit dem privaten Pkw vom Arbeitgeber steuerfrei abgelten lassen. Andererseits aber Selbständige, die den privaten Pkw dienstlich mitnutzen und gefahrene Kilometer von der Steuer absetzen. Eine kleine ökologische Komponente wird hier auch eingeführt: Künftig kann auch jemand Kilometergeld unter bestimmten Voraussetzungen beziehen, der öffentliche Verkehrsmittel oder das Rad nutzt. Das soll einen Anreiz schaffen, nicht bloß das Auto zu nehmen. Dabei gibt es ein degressives Modell: Je weiter die Fahrten mit dem Zug gehen, umso weniger lässt sich steuerlich geltend machen. Bisher ließen sich hier nur tatsächlich getätigte Ausgaben für den öffentlichen Verkehr steuerlich geltend machen.

Unterschiedliche Reaktionen

"Für uns ist es essenziell, dass bei der Abgeltung des variablen Drittels der kalten Progression Leistungsträger belohnt und Unternehmer bei der Bürokratie entlastet werden", teilte der Wirtschaftsbund als erste Reaktion auf die Verwendung des dritten Drittels mit. Von besonderer Bedeutung sei jedenfalls die Erhöhung der Kleinunternehmergrenze auf 55.000 Euro, was einen erheblichen Bürokratieabbau bedeute. AK und ÖGB freuten sich in einer Reaktion darüber, "dass das Kilometergeld endlich angehoben wurde". Das war ja eine langjährige Forderung der Interessenvertreter. Auch der Zuschuss für Familien mit geringem Einkommen und die stärkere Anhebung der Tarifstufen und Absetzbeträge wird positiv gesehen.

Kritik kam hingegen von den Neos. "Mit viel Pomp und Trara verteilt die Regierung jetzt nach einem jährlichen Polit-Bazar das letzte Drittel an die eigene Klientel, statt die kalte Progression einfach, wie von uns gefordert, endgültig für alle automatisch und zu 100 Prozent abzuschaffen", teilte Neos Wirtschafts- und Sozialsprecher Gerald Loacker mit. Immerhin würden heuer die Tarifgrenzen bei allen Steuerstufen angepasst, sagt Loacker: "Bisher wurden ja über eine selektive Anpassung der unteren Tarifstufen bloß bestehende Teilzeitanreize verstärkt, und der Mittelstand hat durch die Finger geschaut." Als "zynische Mogelpackung" titulierte FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl die präsentierten Steuermaßnahmen. "ÖVP und Grüne haben in 'politischer Tateinheit' mit der rot-pinken Scheinopposition durch völlig falsche Entscheidung die Teuerungslawine erst verursacht, beharrlich von uns Freiheitlichen geforderte echte Entlastungen für die Bürger verweigert, sondern nur Almosen verteilt und damit den ÖVP-Finanzminister mit Rekordsteuereinnahmen zu einem der 'Hauptkrisenprofiteure' gemacht." (András Szigetvari, 4.7.2024)