Esther Strauß' Skulptur vor der Beschädigung.
Mariendom Linz / Ulrich Kehrer

Anfang der Woche wurde im Linzer Mariendom die Statue einer gebärenden Maria geköpft. Die Ermittlungen laufen. Die Künstlerin Esther Strauß erhält seither Medienanfragen aus aller Welt.

STANDARD: Es wurde gemeldet, sie sei geköpft worden – was genau ist Ihrer Skulptur passiert?

Strauß: Mich beschäftigt im Moment, dass sich da jemand entschieden hat, auf eine sehr brutale Art und Weise mit dieser Skulptur umzugehen. Darüber denke ich nach, und ich glaube, es ist kein Zufall, dass das einer Skulptur passiert, die eine Frau darstellt. Sie hat ja einen Heiligenschein getragen, und es wäre durchaus eine Möglichkeit gewesen, als Intervention diesen Heiligenschein zu entfernen. Jemand hat aber eine Säge in den Dom mitgebracht und Maria enthauptet, den Kopf mit- und ihr auf diese Art das Gesicht genommen. Auf einer symbolischen Ebene ist das für mich ein Ausdruck einer hohen patriarchalen Gewaltbereitschaft, von der wir ja wissen, dass es sie gibt. Dafür spricht auch die hohe Femizidrate in Österreich. Dieser Aspekt ist in der medialen Berichterstattung nicht so präsent, wie er es meiner Meinung nach sein sollte.

STANDARD: Der Konnex dieser Tat zu Femiziden?

Strauß: Wenn man ein Kunstwerk attackiert, gibt es verschiedene Möglichkeiten, das zu tun. Wie die Skulptur selbst hat auch ein Angriff auf sie eine Symbolsprache. Wer die Bilder, die Frauen zeigen, kontrollieren will, will meiner Erfahrung nach auch Frauen selbst kontrollieren.

"Es wäre durchaus eine Möglichkeit gewesen, als Intervention den Heiligenschein zu entfernen", sagt Esther Strauß.
Mariendom Linz / Ulrich Kehrer

STANDARD: Wie kam es zu dieser Arbeit?

Strauß: Die Arbeit ist im Rahmen des Projekts Donnastage der Diözese zu 100 Jahre Mariendom entstanden. Die Turmkapelle West wurde zum Ausstellungsraum umgewidmet und mehrere Künstlerinnen eingeladen, sich kritisch und durchaus aus einer feministischen Perspektive mit dem Thema Heilige Familie auseinanderzusetzen. Bei der Begehung des Doms im Winter wurde uns auch die acht Meter lange Domkrippe in der Krypta von Sebastian Osterrieder gezeigt. Da gibt es zwei Marienfiguren: die Maria, die zu Weihnachten aufgestellt wird, neben ihrem Kind kniend, und die Maria, die zu Dreikönig in die Krippe einzieht, mit ihrem Kind auf dem Schoß. Ich habe mich mit diesen zwei Marien zu beschäftigen begonnen, und so kam ich zur Frage, wieso man, wenn man von der Geburt Christi spricht, nur an das Kind in der Krippe denkt, aber nicht an die Frau, die dieses Kind zur Welt bringt.

STANDAD: Und dann haben Sie eine dritte Maria geschnitzt?

Strauß: Meine Skulptur ist für mich eine Schwester der beiden Marien in der Domkrippe, sie trägt das gleiche Kleid und hat den gleichen Umhang hinter sich geworfen, ist in etwa gleich groß und auch aus Lindenholz geschnitzt. Nachdem die Idee zu meiner Arbeit da war, habe ich zu recherchieren begonnen, ob es Darstellungen der gebärenden Maria gibt, und mir ist bislang nur eine zeitgenössische Arbeit der Fotografin Natalie Lennard, The Creation of Man, bekannt, die Maria bei der Geburt zeigt, allerdings ist hier der Geburtsprozess durch Marias Umhang verdeckt. Mir war es aber wichtig, eine Skulptur zu entwickeln, die mit der Körperlichkeit von Geburt arbeitet.

Esther Strauß überlegt, wie sie den Angriff auf die Skulptur künstlerisch aufgreifen kann. Das beschädigte Werk ist einstweilen hinter versperrten Türen.
Mariendom Linz / Ulrich Kehrer

STANDARD: Ein sonst unterbelichteter Realismus. Man kennt die schönen Madonnen, stillenden Madonnen – was vielleicht daran liegt, dass diese historischen Werke von Männern geschaffen wurden. Haben Sie sich auch mit Geburtsdarstellungen außerhalb des religiösen Kontexts beschäftigt? Wie verbreitet ist das Thema in der zeitgenössischen Kunst?

Strauß: Aktuell gibt es immer mehr Frauen, die sich entscheiden, ihre Geburt von Geburtsfotografinnen oder Geburtsfotografen begleiten zu lassen. Es scheint also bei manchen Frauen der Wunsch da zu sein, diese Momente für sich einzufangen oder auch mit anderen Menschen zu teilen. Diese Geburtsfotografie wird teilweise auch im Internet gezeigt. In der feministischen Kunstgeschichte gibt es spätestens seit den 1970ern einige Werke zu dem Thema, die aber lange zu wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten haben. Diese Arbeiten sind ganz ein wichtiger Referenzraum für mich. Wenn man als Performancekünstlerin selbst nackt performt oder Fotografien vom eigenen nackten Körper zeigt, geht es auch darum, Bilder zu entwickeln, die sich gegen einen patriarchal und frauenfeindlich geprägten Voyeurismus zur Wehr setzen können. Das war auch bei der Entwicklung der Skulptur ein wichtiger Orientierungspunkt für mich. Außerdem hat mich die Frage beschäftigt, wie man zeigen kann, dass in einer Geburt viel Kraft liegen kann, sofern sich eine Frau freiwillig für sie entschieden hat, sie aber ebenso sehr mit Aussetzung verbunden ist.

Künstlerin Esther Strauß mit ihrer Skulptur im Mariendom.

STANDARD: Wenn man so feministisch arbeitet, wird man dann immer wieder Opfer von Anfeindungen und Aufregung?

Strauß: Mich persönlich und auch die Diözese erreichen im Moment viele E-Mails und Anrufe, darunter sind viel Zuspruch, aber auch verschiedenste Arten von Kritik. Ich widme mich in meinen Arbeiten oft Leerstellen und Wunden. Ich glaube, dass Arbeiten, die versuchen, in Wunden hineinzugehen, bei Menschen vieles in Bewegung bringen können. Ich habe verschiedene Performances zu Sterben und Tod entwickelt, mich in den letzten fünf Jahren intensiv mit NS-Täterschaft befasst und dem Umgang oder eben Nichtumgang, den es damit in Österreich gibt. Diese Themen haben eine existenzielle Ebene und betreffen viele Menschen. Und wir alle brauchen eben auch einen Menschen, der uns auf die Welt bringt.

STANDARD: Was ist der aktuelle Ermittlungsstand? War es ein empörter Katholik oder jemand, der misogyn ist?

Strauß: Der Angriff wurde bei der Polizei zur Anzeige gebracht, und es gibt Vermutungen, wer die Skulptur attackiert haben könnte. Mehr weiß ich aktuell nicht.

STANDARD: Wie geht es mit Ihrer gebärenden Maria jetzt weiter?

Strauß: Sie bleibt im Dom, obwohl sich manche Menschen wünschen, dass sie entfernt wird. Gleichzeitig bleiben die Türen zum Ausstellungsraum geschlossen, weil ich nicht bereit bin, der Gewalt, mit der Maria begegnet worden ist, ein Forum zu geben. Es gibt auch schon eine Idee, wie ich dem, was passiert ist, künstlerisch antworten möchte. Das Bild der verletzten Maria wird nicht das letzte sein, das von ihr zu sehen ist. (Michael Wurmitzer, 4.7.2024)