E-Autos und Schweinefleisch: Daran entzündet sich gerade der Konflikt zwischen der EU und China neu. Bereits am 4. Juli könnte die EU-Kommission provisorisch bis in den Herbst Strafzölle auf E-Autos aus China in Kraft setzen. Im Schnitt fallen dann 21 Prozent zusätzlich an Zöllen für Fahrzeuge an. Im Gegenzug droht China mit Vergeltung und lässt Schweinefleischimporte aus Europa prüfen. Was wollen Europäer, Chinesen und auch Amerikaner, die selbst mitmischen bei den Konflikten, erreichen? Ein Gespräch mit der Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik.

Standard: Was wollen die Chinesen mit ihren E-Autos in Europa: Geld verdienen oder ist das Ziel, die europäischen Autobauer und damit unsere Wirtschaft zu schwächen?

Weigelin-Schwiedrzik: Die ursprüngliche Intention der Chinesen war nicht, etwas kaputtzumachen. Es lässt sich sehr häufig in China beobachten, dass dort viel genauer untersucht wird, wo es Lücken und Potenziale am Markt gibt: Wo entsteht eine Nachfrage in fünf oder zehn Jahren? So hat es schon beim Kommunikationsunternehmen Huawei funktioniert: Das Unternehmen hat früh in die 5-G-Technologie investiert und ist damit zum Technologieführer geworden. Die Chinesen haben ebenso früh identifiziert, dass die Europäer ihre Gesellschaft und ihre Wirtschaft auf Grün umstellen wollen, dafür aber wenig tun. Die europäischen Autobauer hielten lange am Verbrenner fest. Die Chinesen dagegen haben begonnen, früh zu investieren und die Batterietechnologie zu beforschen. Aus chinesischer Sicht stellt sich der Konflikt daher so dar: Wir haben die große Nachfrage nach grünen Technologien im Westen gesehen und dafür alles entwickelt. Jetzt, wo wir das bedienen können, sagt ihr, unsere Handelspraktiken sind unfair. Dabei sind wir nicht unfair, sondern ihr habt geschlafen.

Standard: In der EU wird argumentiert, China fördere seine E-Auto-Bauer mit Milliarden und verzerre den Wettbewerb.

Weigelin-Schwiedrzik: Sicher gibt es Subventionen. Die gibt es nicht nur in einer Staatswirtschaft wie in China, auch Amerikaner und Europäer subventionieren ihre Industrie. Ich finde, die Argumentation der Chinesen ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Einer der großen Vorteile der chinesischen Industrie? Die vielen Ingenieure, die an den Produkten, wie in diesem Fall einem E-Bike, tüfteln.
EPA/ALEX PLAVEVSKI

Standard: Es gibt in China angeblich rund 100 Unternehmen, die Elektroautos bauen. Ist das alles staatlich orchestriert?

Weigelin-Schwiedrzik: Soweit ich es aus China kenne, läuft es so ab: Der Staat sagt, Elektromobilität wird ein toller Markt. Dann hilft er Firmen, staatlichen und privaten, sich gut aufzustellen, etwa über Kredite. Der Staat subventioniert das zwar, garantiert aber den Erfolg dieser Unternehmen keinesfalls, viele dieser Firmen werden aus dem Markt wieder ausscheiden. Eine entscheidende Rolle spielen die Thinktanks, die um die Ministerien herum angesiedelt sind und eine Vielzahl an strategischen Analysen erstellen. Die Privatunternehmer in China orientieren sie sich an deren Analysen. Deshalb haben wir oft das Gefühl, in China ist alles langfristig geplant. Der zweite Erfolgsfaktor ist die gewaltige Menge an Ingenieuren, die in China Jahr für Jahr ausgebildet werden. Ihre Zahl ist viel größer als in Europa oder den USA. Diese Ingenieure erfinden nicht was ganz Großes, optimieren aber laufend Prozesse.

Standard: Nun haben Sie vorhergesagt, die ursprüngliche Strategie der Chinesen sei nicht gewesen, Europas Autobauer kaputtzumachen. Hat sich das nun verändert?

Weigelin-Schwiedrzik: Mit der Zunahme der geopolitischen Spannungen kann man jetzt schon beobachten, dass in China Überlegungen dazu in den Vordergrund treten, wie sie ihren Gegner schwächen können. Also geht es nicht mehr nur darum, komplementäre Produkte anzubieten und Nischen zu finden, sondern auch explizit darum, dem Gegenüber zu schaden. Interessanterweise ist das für beide Seiten, China wie den Westen, ein Weg, um einen möglichen Krieg zu vermeiden. So verlagert sich der Konflikt zusehends in die ökonomische Sphäre.

Standard: Das müssen Sie erklären.

Weigelin-Schwiedrzik: Die wichtigste Strategie der USA, um einen militärischen Konflikt zu vermeiden, ist es, im Pazifik aufzurüsten, um ein Abschreckungspotenzial gegenüber China aufrechtzuerhalten. Damit diese Abschreckung funktioniert, ist es aus Sicht der USA auch wichtig, die ökonomische Kapazität zur militärischen Aufrüstung in China zu schwächen. Deshalb werden Zölle gegen Produkte aus China eingehoben, und deshalb gibt es Ausfuhrverbote für viele Hightech-Produkte. Die chinesische Seite hat die Strategie verstanden und sagt: Gut, wenn das der Plan der Amerikaner ist, müssen wir selbst alles unternehmen, um die Amerikaner zu schwächen, damit der militärische Abstand nicht größer wird zu uns. Und damit wird die Wirtschaft zu einem Kampffeld. Das Ganze ist eine Art Schachspiel, in dem sich beide Seiten gegenseitig belauern.

Standard: Das zeigt sich auch bei den Autozöllen?

Weigelin-Schwiedrzik: Es hat zwischenzeitlich eine Phase der Entspannung gegeben, in der sich sowohl Amerikaner als auch Chinesen zurückgehalten haben. Nach der Präsidentschaftswahl in Taiwan im Jänner (die der Unabhängigkeitsbefürworter Lai Ching-te gewonnen hat) waren zunächst beide Seiten bemüht, kein Öl ins Feuer zu gießen. Die USA hatten sich mit den Chinesen im November 2023 während des Besuchs des Staatspräsidenten Xi Jinping in San Francisco darauf verständigt, die Konflikte nicht zu eskalieren. Aber inzwischen steigen die Spannungen wieder. Im Hintergrund verkaufen die Chinesen ihre Dollarbestände und US-amerikanische Staatsanleihen, was die US-Wirtschaft unter Druck setzt und die Inflation dort steigen lassen kann. Im Gegenzug haben wir gesehen, dass sowohl die USA als auch die Europäer Zölle auf chinesische E-Autos einheben wollen. Das trifft China stark, weil die Exportwirtschaft das Einzige ist, was die chinesische Wirtschaft am Laufen hält.

Weigelin-Schwiedrzik: Ein globales Schachspiel mit hohem Einsatz.
IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Standard: Werden diese wirtschaftlichen Konflikte weiter eskalieren?

Weigelin-Schwiedrzik: Da der wirtschaftliche Konflikt dazu dient, einen militärischen zu ersetzen, würde ich damit rechnen, dass jede Seite immer wieder auf dem Feld der Ökonomie nachlegt. Das heißt aber auch, dass man das Pulver nicht auf einmal verschießen darf. So ist gut vorstellbar, dass Zölle gegen chinesische E-Autos in Europa angedroht werden, dann aber im Wege von Verhandlungen, wie sie nun stattfinden, wieder entschärft werden. In so einem Schachspiel ist es auch wichtig, für den Gegner unberechenbar zu bleiben.

Standard: Es gibt Diskussionen, ob chinesische E-Autos kleine Spionagefahrzeuge sind, die in Echtzeit Daten an Peking übertragen. Das ist alles möglich, aber ohne konkrete Belege wirkt das etwas paranoid. Wie ordnen Sie das ein?

Weigelin-Schwiedrzik: Die USA sind politisch tief gespalten, besonders jetzt im Wahlkampf. In Europa hat die Spaltung der Gesellschaft auch zugenommen. In einer Welt in großer Unordnung hilft es uns, klare Feinde identifizieren zu können. Eines der wenigen Dinge, auf die sich Amerikaner beider Lager, Demokraten wie Republikaner, einigen können, ist ja die Rivalität zu China. Was eine große Rolle dabei spielt, ist, dass wir uns so schlecht vorstellen können, was in den Köpfen der Entscheidungsträger auf der anderen Seite, in dem Fall in China, vorgeht. Wir verstehen sie nicht. Und weil das so ist, haben wir Imaginationen aller Art. In Zeiten, wo wir China gegenüber positiv eingestellt sind, waren das positive Dinge, Vorstellungen dazu, was die Chinesen alles so Tolles in ihrer Geschichte hervorgebracht haben. Und in Zeiten, wo wir die Chinesen nicht leiden können, stellen wir uns die schlimmsten Dinge vor. Dabei ist das eigentlich ein Zeichen dafür, dass wir nicht wirklich begreifen, wie das Gegenüber tickt. (András Szigetvari, 4.7.2024)