Was sich dieser Tage in der Wirtschaftskammer ereignet, erinnert stark an Geschehnisse innerhalb der ÖVP Anfang April. Da zeigte sich Verfassungsministerin Karoline Edtstadler offen für einen Vorschlag der Industrie, die Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden zu erhöhen. Kurz darauf wurde sie von Kanzler Karl Nehammer zurückgepfiffen. War es lediglich unkoordinierte Kommunikation? Oder ein Testballon? Man weiß es nicht.

Nun macht die Salzburger Wirtschaftskammer mit einem Vorschlag von sich reden, dass Arbeitnehmer für den ersten Tag ihres Krankenstandes selbst bezahlen sollen. Die Wiener Zentrale jedoch lässt kurz darauf wissen, dass sie den Vorstoß nicht mitträgt.

Kalkulierte Uneinigkeit?

Der Hintergrund sind die vielen Krankenstandstage in Österreich. Sie liegen mit durchschnittlich 15,4 Tagen auf einem historischen Höchststand seit den 1970er-Jahren. Zweifellos stellt das für Unternehmen eine Belastung dar. Die Kosten pro Krankenstandstag betragen für sie rund 250 Euro. In den ersten Wochen des Krankenstands muss nämlich der Arbeitgeber den Lohn weiterzahlen – erst danach übernimmt die Sozialversicherung in Form des Krankengeldes. Zusätzlich fehlt dem Arbeitgeber die Arbeitskraft an den Tagen, die seine kranken Mitarbeiter zu Hause verbringen.

kranker Mitarbeiter
Krank in die Arbeit? Das wäre die logische Folge, wenn die Arbeitnehmer ihren Krankenstand teils selbst zahlen müssten.
Thomas Koehler/photothek.net via

Aber soll man deshalb wirklich darüber nachdenken, den ersten Tag dem Arbeitnehmer umzuhängen? Keinesfalls. Die Folgen liegen auf der Hand. Gerade geringverdienende Menschen würden arbeiten gehen, obwohl sie krank sind – weil sie sich Kranksein schlicht nicht leisten können. Bis weit hinein in die Mittelschicht wäre es ein Problem, bis zu hunderte Euro für den ersten Tag aufzuwenden. Die Leute würden sich also massenweise in die Arbeit schleppen und ihre Kolleginnen und Kollegen anstecken. Die Zufriedenheit mit der Arbeit würde infolgedessen sinken, Frust und Druck steigen. Es überrascht, dass ein derartiger Vorstoß von einer Interessenvertretung der Wirtschaft kommt – seine Folgen wären nicht nur arbeitnehmerfeindlich, sondern auch schlecht für die Unternehmen.

Was hingegen wirklich geschehen müsste, damit die Anzahl der Krankenstandstage sinkt, führen Experten immer wieder ins Treffen. Das Gesundheitssystem könnte etwa psychische Erkrankungen stärker berücksichtigen, die häufig junge Menschen treffen, die dann besonders lange ausfallen. Auch auf die Förderung eines gesunden Lebensstils am Arbeitsplatz und in der Freizeit, wie sie das Wifo einmahnt, sollte mehr Augenmerk gelegt werden – das steigert die Widerstandskraft. Den Testballon, den die Wirtschaftskammer gerade ausgeschickt hat, gilt es hingegen schleunigst wieder einzuholen. (Joseph Gepp, 3.7.2024)