Wien/Linz – Klare Worte zu den Bilanzierungsunregelmäßigkeiten bei der Voestalpine fand in der Hauptversammlung am Mittwoch der Aufsichtsratspräsident, Wolfgang Eder: "Mit rund 8,3 Millionen Euro pro Jahr stehen die über zwölf Jahre erfolgten Fehlbuchungen in keiner Relation zur Aufregung, die in der letzten Zeit verbreitet wurde", sagte der langjährige Vorstandschef, in dessen Zeit die "Verschönerung" von Umsätzen und Erträgen eines deutschen Ablegers der Metal Forming Division vor zwölf Jahren begonnen hatte. Der erwirtschaftete Konzernumsatz belaufe sich nach den Berichtigungen auf 7,5 Milliarden Euro statt auf 7,6 Milliarden Euro, betonte Eder. Über die Dauer der Unregelmäßigkeiten seien operativ 20 Milliarden Euro an Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen erwirtschaftet worden, suchte der Aufsichtsratsvorsitzende die Relationen zurechtzurücken.

Der blaue Turm auf dem Voestalpine-Gelände in Linz beherbergt den Vorstand des Stahl- und Verarbeitungskonzerns.
Die Causa beschäftigt den Voestalpine-Konzern seit Monaten: Mitarbeiter einer Voestalpine-Tochter in Deutschland hatten jahrelang die Zahlen ihres Bereichs positiver verbucht, als sie es tatsächlich waren. Über zehn Jahre wurden um die hundert Millionen Euro zu viel verbucht.
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Zudem seien keine Mittel abgeflossen, sondern lediglich Rechnungslegungsvorschriften in einer einzigen von mehr als 300 Konzerngesellschaften weltweit verletzt worden. Es bestehe darüber hinaus kein Anlass für grundsätzliche Zweifel an den internen Kontrollsystemen des Voestalpine-Konzerns. Das Unternehmen erbringe Höchstleistungen, während andere Branchenschwergewichte strauchelten, betonte Eder, dessen Aufsichtsratsmandat in der Aktionärsversammlung um drei Jahre verlängert wurde. Die verkürzte Laufzeit begründete er so: "Ich halte mich nicht für unersetzbar. Ich bin in drei Jahren 75, und ich finde, 50 Jahre in der Voestalpine sind dann genug", sagte Eder in Anspielung auf seinen Eintritt in den damaligen Voestalpine-Konzern Ende der 1980er-Jahre.

Zu viel an Steuern bezahlt

Zuvor hatte Konzern-Chef Herbert Eibensteiner im Umgang mit den Unregelmäßigkeiten in den Geschäftsberichten Fehler in der Kommunikation eingeräumt. "Dass man im Nachhinein immer klüger ist, gilt auch hier: Könnten wir die Zeit um vier Wochen zurückdrehen, hätten wir sicher im Rahmen der Bilanzpressekonferenz aktiver über die Fehlbuchungen informiert", sagte Eibensteiner in der Hauptversammlung. Ein konkreter finanzieller Schaden, der sich aus heutiger Sicht vor allem aus "zu viel bezahlten Steuern" ableite, sei aktuell noch Gegenstand der laufenden Untersuchungen, berichtete der Vorstandsvorsitzende. Es sei davon auszugehen, dass "ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag zu viel bezahlt wurde", dessen Rückforderung von den Finanzbehörden "nicht mehr möglich" sei. Dazu kämen noch die Kosten für die Aufarbeitung der Causa. Die umfassende Untersuchung des "sehr komplexen Sachverhalts" wird den Angaben zufolge noch mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Die dabei anfallenden Rechtskosten werden auf 1,5 Millionen Euro taxiert. Aktuell seien rund 800.000 Euro aufgelaufen. "Die gesamten Fehlbuchungen wurden mit Ende des Geschäftsjahres 2023/24 richtiggestellt, und es handelt sich um einen Einzelfall", betonte Eibensteiner. "Und diesen haben wir selbst identifiziert und umgehend mit der Aufarbeitung gestartet."

Ad-hoc-Meldungen, mittels derer börsennotierte Unternehmen ihre Aktionäre in der Regel umgehend informieren müssen, seien aus rechtlicher Sicht nicht angezeigt gewesen. Eibensteiner versicherte darüber hinaus, dass Vorstand und Führungskräfte allfällige Boni zurückzahlen würden, sollte sich herausstellen, dass zu viel an erfolgsabhängigen Gehaltsbestandteilen ausgezahlt worden seien.

Wachstum im Ausland

Für die im Linzer Design-Center versammelten Aktionärsvertreter seien die Bilanzberichtigungen – der Umsatz war über zehn Jahre um in Summe hundert Millionen Euro zu hoch ausgewiesen – dann nicht das erwartete beherrschende Thema mehr gewesen, schilderten Teilnehmer der Hauptversammlung 2024 die Stimmung. Viel mehr Interesse bestand an der Strategie 2030+, in der der Stahl- und Verarbeitungskonzern seine Pläne für die Dekarbonisierung der Stahlerzeugung darlegte. Wachstum ist demnach insbesondere im Ausland zu erwarten und geplant. Europa hingegen zeige deutliche Schwächen. Für allfällige Unternehmenskäufe ließ sich der Vorstand ein neues genehmigtes Kapital im Ausmaß von 20 Prozent des Grundkapitals gegen Bareinlagen unter Wahrung des gesetzlichen Bezugsrechts genehmigen. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit geschaffen, genehmigtes Kapital im Ausmaß von zehn Prozent des Grundkapitals an Beschäftigte, leitende Angestellte und Mitglieder des Vorstands oder eines mit der Gesellschaft verbundenen Unternehmens auszugeben.

Weitere Fragen drehten sich um den ewigen Verlustbringer Cartersville in den USA, wo die Voestalpine Autoteile für BMW und Mercedes produziert. Aktuell war die US-Fertigungsstätte mit einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag unter Wasser. Ein Ende ist nicht in Sicht, allerdings ist das eine Frage der Zeit, denn Cartersville ist so gut wie abgeschrieben.

Aufgeflogen war die Causa rund um die Unregelmäßigkeiten im Zuge der Bilanzerstellung für das abgelaufene Geschäftsjahr 2023/24 (per 31. März). Nicht nur der Interessenverband für Anleger (IVA) hatte insbesondere die Kommunikation des Unternehmens zu dem Vorfall kritisiert. Diese lasse "am Transparenzwillen zweifeln", kritisierte IVA-Vorstand Florian Beckermann den Linzer Konzern. Aktionäre würden dadurch "zu Recht sehr skeptisch". Die Prüfung des Vorfalls obliegt nun der Finanzmarktaufsicht (FMA), die Aufarbeitung dürfte einige Monate dauern. (Luise Ungerboeck, 3.7.2024)