"La morte di Abele", einbarockes Vokalwerk, läuft beimFestival Retz erstmals als szenische Darstellung.
Barbara Palffy

Während das Reizthema Zuwanderung polarisiert, bleibt das Festival Retz seinem offenherzigen Motto treu: Auch heuer wirbt die Programmreihe im nördlichen Weinviertel, wenige Autominuten von Tschechien entfernt, mit den Worten "Offene Grenzen" – und bittet das Publikum unter anderem zu einem Tanz auf einer Grenzbrücke (21. Juli) mit Live-Musikbeschallung oder zu einer Orgeltour durch einige Kirchen zwischen Retz und Znojmo (20. Juli).

Im Festival-Fokus steht allerdings auch heuer ein Oratorium. Nach Felix Mendelssohn Bartholdys Elias im Vorjahr beherbergt die Stadtpfarrkirche St. Stephan nun eine Rarität: Das barocke Vokalwerk La morte di Abele – der Text stammt vom Dichterfürsten Pietro Metastasio, die Musik vom italienischen Zeitgenossen Leonardo Leo – arbeitet sich am ersten Mord der (biblischen) Menschheitsgeschichte ab. In Retz gelangt das alttestamentarische Oratorium erstmals zu einer szenischen Darstellung, weshalb auf der Festival-Homepage das Wort "Welturaufführung" prangt: Der Münchner Regisseur Sebastian Hirn und die Berner Animationsfilmerin Nicole Aebersold wollen der Geschichte vom Gottesliebling Abel und seinem eifersüchtigen Bruder einen multimedialen Look verleihen.

Musikalische Hommage

Um eine Gräueltat kreist auch das Eröffnungskonzert: Ein Mord, den jeder begeht heißt der erste große Roman des österreichischen Jahrhundertautors Heimito von Doderer. Dieser wiederum zählt zu den Lieblingsschreibern des heimischen Komponisten und Trompeters Franz Koglmann. Der Grenzgänger zwischen Klassik und Jazz gestaltet exklusiv für Retz einen literarisch-musikalischen Abend (4. Juli) und heftet sich dabei 90 Minuten lang an die Fersen der charakterarmen Romanfigur Conrad Castiletz. Als Wegbegleiter mit dabei: der Saxofonist Sandro Miori, der Posaunist Bertl Mütter und der Kontrabassist Peter Herbert. Ob auch bei dieser musikalischen Hommage auf Schloss Gatterburg ein Mörder überführt wird? Man wird sehen. (Christoph Irrgeher, 3.7.2024)