Kate Darling forscht am Media Lab des Massachusetts Institute of Technology zu Technologieethik und sozialer Robotik.
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Nach dem Hype um Künstliche Intelligenz ist vor dem Hype um Robotik. Tesla ist kein Autobauer mehr, sondern ein Roboterunternehmen, sagt dessen Chef. Bald schon sollen humanoide Roboter an den Fertigungslinien des Unternehmens stehen und Robotertaxis herstellen. Klingt wie eine durchgeknallte Idee, wie sie von Elon Musk öfter zu hören ist. Doch das ist ein Irrtum: Kyle Vogt, der Gründer und Ex-CEO von Cruise, hat ein Start-up namens Bot Company gegründet und möchte kommerziell verfügbare humanoide Haushaltsroboter entwickeln, die bald die herkömmlichen Staubsaugerroboter ablösen sollen.

Selbst der Mickey-Maus-Konzern Disney ist jüngst eine Kooperation mit Nvidia eingegangen. Deren Foundation-Model namens "gr00t" soll die Roboter des größten Unterhaltungskonzerns der Welt antreiben. Die ganze Tech-Welt scheint auf einmal verrückt nach Robotern zu sein.

Nicht nur die Tech-Branche, sondern nahezu alle Menschen flippen aus, wenn sie einen Roboter sehen, meint Kate Darling, Forscherin am MIT Media Lab und Expertin für Technologieethik. Als Beispiel nennt Darling den Roboterhund Spot von Boston Dynamics: In den sozialen Medien kursiert eine Vielzahl von Videos, die Menschen zeigen, sobald sie einem solchen Roboter begegnen. Die meisten der Reaktionen fallen überschwänglich positiv aus.

Darling wundert das nicht: "Menschliches Verhalten ist, Roboter wie Lebewesen zu behandeln." Doch muss das für immer so bleiben? "Könnte es nicht ein Generationending sein? Wir sind schließlich mit Star Wars aufgewachsen", spielt Darling auf C3PO und R2D2 an. "Viele von uns entschuldigen sich, wenn sie über den Putzroboter stolpern." Ein Verhalten, das man eher nicht zeigt, wenn einem das Smartphone aus der Hand fällt. Die Frage ist vielmehr: Wenn humanoide Roboter auf den Straßen einmal zum Alltagsbild gehören, werden wir sie vielleicht nur mehr als Devices wahrnehmen, eben wie besagtes Smartphone? Darling glaubt das nicht, Menschen werden immer zum Anthropomorphisieren neigen, ganz so wie sie es heute mit KI auch tun. "Es ist ganz normal, menschliche Regungen auf Maschinen zu projizieren."

Trauer um den Robo-Beamten

Eine aktuelle Geschichte aus Südkorea bestätigt Darlings These. Dort herrscht gerade Trauer um einen Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung, der nach einem Treppensturz ums Leben gekommen ist. Bei dem Unglück handelt es sich aber nicht um einen bedauernswerten Unfall, bei dem ein Mensch ums Leben kam. Nein, die Tatsache, dass ein Roboter bei einem Unfall zerstört wurde, machte weltweite Schlagzeilen. Wie AFP berichtete, sahen Beamte der Stadtverwaltung den Roboterbeamten "an einer Stelle kreisen, als ob etwas dort wäre", später wurde der Roboter "tot" aufgefunden.

Schnell war die Erzählung geboren, der Roboter hätte Suizid begangen. "Warum hat der fleißige Beamte das getan?" oder "War die Arbeit zu hart für den Roboter?", fragten die Lokalmedien. Der im August 2023 ernannte Roboter war einer der ersten, der in der Stadt auf diese Weise eingesetzt wurde. Der von Bear Robotics, einem kalifornischen Start-up-Unternehmen für Roboterkellner, hergestellte Roboter arbeitete von neun bis 18 Uhr und hatte seinen eigenen Beamtenausweis. Im Gegensatz zu anderen Robotern, die in der Regel nur eine Etage benutzen können, konnte der Roboter der Stadtverwaltung einen Aufzug rufen und selbständig die Etagen wechseln. Sein Job war es, Dokumente und Werbematerial an die richtigen Adressaten zu bringen. "Er war offiziell ein Teil des Rathauses, einer von uns", sagte ein Beamter. "Er hat fleißig gearbeitet."

Ähnliche Szenen beschreibt auch Darling: Seitdem Roboter wie Spot bei der US-Armee eingesetzt wurden, sind die Maschinen Mitglieder des Teams, und die Soldaten geben Robotern nicht nur Namen, sondern auch Dienstränge und Orden. "Es gibt sogar Salutschüsse, wenn sie zerstört werden", so Darling. In Japan turnen humanoide Roboter in der Früh vor Arbeitsbeginn mit ihren menschlichen Kollegen, obwohl ein Roboter nicht auf Turn- und Dehnungsübungen angewiesen ist.

Alles für Meryl Sweep

Dieser Drang, Maschinen zu vermenschlichen, ändert sich auch nicht, wenn man den Menschen genau erklärt, wie so ein Roboter funktioniert. Als Beispiel nennt Darling einen Dinosaurierroboter für Kinder. Die kleine Urzeitechse kann gehen, sich umsehen, und zieht man sie am Schwanz, beginnt sie zu zappeln und zu schreien. Zweifelsohne ein süßes Spielzeug, aber eben nicht mehr. Das wissen auch Menschen, die sich mit Robotik ein wenig auskennen. Als Darling den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines Workshops über soziale Robotik aber schließlich eine Axt aushändigte und sie dazu aufforderte, den Dinosaurier damit zu köpfen, war niemand dazu in der Lage.

"Nehmen Sie einen Staubsaugerroboter. Der ist im Grunde nur eine Scheibe, und trotzdem geben die Leute ihm Namen. Und wenn sie ihn zur Reparatur einschicken, dann wollen sie kein Ersatzgerät, sondern 'ihren' Roboter zurück, weil 'Hey, es ist unsere Meryl Sweep'", so Darling bei der Cybersicherheitskonferenz Sphere 24 in Helsinki, der auch DER STANDARD beiwohnte. So sei es auch nicht weiter überraschend, dass ein Google Entwickler meinte, ein Chatbot des Unternehmens hätte ein Bewusstsein entwickelt. "Der wurde in der Presse lächerlich gemacht, das wird aber noch viel häufiger passieren." Diese Neigung könnte ausgenutzt werden, etwa in Form eine Sexroboters, der für zusätzliche Funktionen etwa Mikrotransaktionen verlangt, ganz so, wie man es heute schon aus anderen Branchen kennt, so Darling.

Dass Menschen Robotern gegenüber offenbar sehr aufgeschlossen sind, kann man sich auch zunutze machen, etwa wenn ein Robbenroboter im Altersheim als Therapiegerät eingesetzt wird, weil die Menschen den Roboter gerne streicheln und ihn einfach gerne um sich haben, so Darling.

Aber wird es wirklich so sein, dass sich Roboter um alte Menschen kümmern müssen? Wo bleibt da die menschliche Wärme? "Das ist zum Teil kulturell bedingt. Denken Sie an Japan, dort gibt es eine massiv überalterte Bevölkerung und gleichzeitig sehr strenge Einwanderungsgesetze. Dort gäbe es wahrscheinlich Widerstände wenn etwa Ausländer ältere Menschen pflegen und in solchen Kulturen könnte es schon sein, dass Roboter bevorzugt werden. Das wird aber nicht in allen Kulturen so sein", so Darling im Gespräch mit dem STANDARD.

Noch ein weiter Weg zum humanoiden Roboter

Dass allerdings humanoide Roboter schon bald Autos fertigen oder im Haushalt wirklich sinnvolle Tätigkeiten übernehmen könne, glaubt Darling nicht. So sind die KI-Systeme noch nicht so weit, weil das Trainingsmaterial fehlt. "Wir haben eine ganze Menge Daten für Sprachmodelle, aber wir haben nicht allzu viele Daten darüber, wie Roboter bestimmte Aufgaben bewältigen". Bis ein ausreichend großer Datenpool zur Verfügung steht, werde noch einige Zeit vergehen. "Es stimmt schon, es gibt derzeit einen Hype um Roboter, aber wird sind noch weit von humanoiden Robotern entfernt, in dem Sinne, dass sie genau das können, was ein Mensch auch kann und der noch dazu sicher genug ist um ihn im Haushalt einzusetzen. Wir werden eine Menge Fortschritte sehen, aber wir sind immer noch sehr, sehr weit weg von wirklich praktischen Robotern im gemeinsamen Umfeld mit den Menschen", erklärt Darling. Aber: "Wir werden vielleicht schneller dort sein, als ich früher dachte, aber sicher nicht so schnell, wie Elon Musk behauptet."

Manche Entscheidungen, Menschen etwa in Fabriken durch Roboter zu ersetzen, seien übereilt, meint Darling. Stichwort Tesla: "Roboter sind kein schneller Ersatz für Menschen. Da geht dann vieles schief. Wenn ein Unternehmen glaubt, es könne Geld sparen, indem es Menschen mit Robotern ersetzt, werden sie irgendwann draufkommen, dass der Roboter vielleicht nicht die eine Schraube aufheben kann, die da auf den Boden gefallen ist, und plötzlich wird man wieder Menschen einstellen müssen."

Utopia muss noch warten

Aber wäre es nicht schön, in einer Utopie ähnlich wie in Star Trek zu leben? Künstliche Intelligenz errechnet den perfekten Weg zum Wohlstand für alle, steuert Produktion und Wirtschaft und Roboter führen die nötigen Arbeiten anschließend aus? Diese Science-Fiction-Träume werden sich nicht erfüllen, meint Darling. "Wenn Sie sich die Geschichte der Automatisierung anschauen, dann ist das noch nie passiert. Es gab immer das Narrativ, dass mit neuer Technologie die Menschen weniger arbeiten müssen. Was ist aber wirklich passiert? Die Produktivitätsziele und Standards wurden erhöht, und neue Industrien sind entstanden, von denen wir nicht ahnten, dass es sie geben wird", erklärt Darling. "Ohne soziale Änderungen oder Änderungen in unserem größeren politischen oder ökonomischen System wird es wohl nicht so sein, dass KI und Roboter dafür sorgen, dass wir den ganzen Tag am Strand herumhängen können." (Peter Zellinger, 4.7.2024)