Illustration eines urzeitlichen Menschen mit geschultertem Beil, der an einem verschneiten Höhleneingang vorbeigeht.
Auf dem tibetanischen Plateau lebten Denisova-Menschen schon vor 160.000 Jahren.
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Drei Ahnen sind es, die ihre Spuren im Erbgut heute lebender Menschen hinterlassen haben: Den Großteil macht der moderne Homo sapiens aus, aber auch Neandertaler und Denisova-Menschen sind bei vielen mit ein paar Prozent DNA vertreten. Von diesen dreien sind die Denisovanerinnen und Denisovaner die mysteriöseste Gruppe: Von ihnen gibt es bisher nur wenige Knochenfunde, ihre Existenz rekonstruierte Nobelpreisträger Svante Pääbo mit seinem Team aus genetischen Informationen eines Fingerknöchelchens, das in der russischen Denisova-Höhle entdeckt wurde.

Flache Landschaft mit Flüssen und Siedlungen am Rande einer Bergkette.
Am Rande des Ganjia-Beckens befindet sich die Karsthöhle Baishiya. Die Region bot neben Gebirge und Graslandschaften wohl auch teils Wald.
Forschungsgruppe Dongju Zhang, Universität Lanzhou

Nun ist ein neuer, wichtiger Fund auf dem tibetanischen Plateau gelungen: Eine Forschungsgruppe um Fahu Chen von der chinesischen Akademie der Wissenschaften und Frido Welker von der Universität Kopenhagen in Dänemark spürte zwischen zahllosen Tierknochen dank Proteinanalysen die Rippe eines Denisova-Menschen auf. Sie befand sich in der Baishiya-Höhle, die in China zum autonomen Bezirk Gannan der Tibeter zählt. Dort wurde vor fünf Jahren bereits ein Denisova-Unterkieferknochen aufgespürt, das erste Fossil des ausgestorbenen Menschentypus außerhalb der berühmten russischen Höhle.

Lange beliebte Steinzeithöhle

Bemerkenswert ist, dass der damalige Kieferfund 160.000 Jahre alt ist und demonstriert, dass es schon damals Denisovaner in Ostasien gab. Kurz danach konnte man aber auch jüngere DNA-Spuren aus den Sedimentschichten gewinnen. Sie zeigten, dass diese Menschengruppe auch später noch, zuletzt vor 45.000 Jahren, in der Baishiya-Höhle lebte. Der neue Rippenknochen wurde auf ein Alter von 48.000 bis 32.000 Jahren datiert. Denisovaner könnten also noch im Jungpaläolithikum auf dem tibetanischen Hochplateau gelebt haben, wie das Forschungsteam im Fachjournal Nature schreibt.

Blassrose Knochenstück mit Maßstab, gut fünf Zentimeter lang.
So sieht der aufgefundene menschliche Rippenknochen aus.
Forschungsgruppe Dongju Zhang, Universität Lanzhou

Schon aus früheren Erbgutproben schlossen Wissenschafterinnen und Wissenschafter, dass die Menschengruppe auf dem Hochplateau speziell an die sauerstoffarme Umgebung angepasst war. Trotz der Höhe dürften sie dort gut durch mindestens zwei Kaltzeiten gekommen sein, wozu relativ stabile Bedingungen in der Region beitrugen.

Foto der Höhle in einem steilen Berg, heute kommt man über Brücken und Stiegen in die Nähe des Eingangs, an dem ein kleines Häuschen steht.
In der Baishiya-Höhle fanden die Menschen Schutz vor Witterung.
Forschungsgruppe Dongju Zhang, Universität Lanzhou

Von Blauschaf bis Wolf

Wie die mehr als 2500 Tierknochen in der Höhle beweisen, nutzten die Denisovaner mehrere Tierarten für Nahrung und Kleidung. Die meisten Knochen stammen vom sogenannten Blauschaf oder Bharal. Diese eher wie eine Ziege aussehende Spezies ist noch heute in der Himalayaregion verbreitet, das teils bläulich schimmernde graue Fell verlieh dem Blauschaf seinen Namen. Unter der Vielzahl an Knochen wurden außerdem Wölfe, Tüpfelhyänen und Schneeleoparden, Steinadler und Fasane sowie Yaks, Pferde, das ausgestorbene Wollnashorn, Rothirsche und sogar Flughörnchen nachgewiesen. Letztere sprechen dafür, dass es zumindest kleine Wälder in der Region gab.

Blauschaf mit grauem Fell und kurzen Hörnern geht über eine Anhöhe, deren Horizont eine diagonale Linie durch das Foto bildet, dahinter ist der blaue Himmel zu sehen.
Bei den Blauschafen tragen sowohl Männchen als auch Weibchen die gebogenen Hörner.
AP/Mukhtar Khan

Schnittspuren an den Knochen sind Indizien dafür, dass die Menschen die Tiere töteten und verarbeiteten, um an ihr Fleisch, ihr Knochenmark und die Tierhäute zu kommen und um die Knochen selbst zur Herstellung von Werkzeugen zu nutzen. Abgeschlagene Splitter deuten darauf hin, dass Werkzeuge etwa aus Pferdezähnen und den Knochen von Ziegen, Hirschen oder Gazellen produziert wurden. "Diese Artenvielfalt beantwortet zum Teil die Frage, warum die Denisovaner in der Baishiya-Karsthöhle und im umliegenden Ganjia-Becken lebten und wie sie dort Hunderttausende von Jahren überlebten", sagt eine der Erstautorinnen, die Archäologin Dongju Zhang von der Universität Lanzhou und der chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Braunschwarzer Wirbelknochen mit vergrößertem Ausschnitt, der eine mehrere Millimeter lange Schnittspur zeigt.
Dieser Wirbel einer Hyäne zeigt Schnittspuren, die zeigen, dass Menschen versuchten, an Fleisch und Fell der Tiere zu kommen.
Forschungsgruppe Dongju Zhang, Universität Lanzhou

Intime Begegnungen mit Neandertalern

Wie neuere Studien zeigten, dürfte sich das Ausbreitungsgebiet der Denisovaner und Neandertaler im Laufe der letzten 400.000 Jahre mehrmals überlappt haben. Bei Begegnungen kam es auch zu gemeinsamem Nachwuchs. Denisova-DNA findet sich heute aber in größtem Ausmaß bei Personen, die aus Melanesien stammen, die also auf den Inseln nordöstlich von Australien leben. Neandertaler-DNA besitzen alle Menschen, deren Herkunft nicht auf den afrikanischen Kontinent beschränkt ist.

Zwei Forschende bei der Ausgrabung in der Höhle in der Ansicht von oben, man sieht mit Hut und Mütze bedeckte Köpfe, sie suchen mit kleinen Kellen und Pinseln nach Fundstücken.
Ab 2019 wurde die Baishiya-Höhle durch Funde des Denisova-Menschen international bekannt.
Forschungsgruppe Dongju Zhang, Universität Lanzhou

"Da wir die Denisovaner nur von einigen wenigen Fossilien weltweit kennen, sind sie immer noch ein kleines Rätsel", sagt Zandra Fagernäs von der Uni Kopenhagen, die ebenfalls zu den Erstautorinnen gehört. "Jedes neue Individuum, das wir entdecken, liefert daher ein wichtiges Teil des Puzzles, wer die Denisovaner waren, wo sie lebten und wann!" Ungeklärt bleibt, wann und warum sie ausgestorben sind. (Julia Sica, 3.7.2024)