Der Popstar mit der Stachelfrisur (hier ein Foto vom Konzert im Juni in Kopenhagen) versprach, bis zum EM-Spiel der österreichischen Nationalmannschaft fertig zu sein.
EPA/Torben Christensen

Für Menschen, die perspektivisch in Richtung Rente und horizontale Renaturierung streben, ist Rod Stewart natürlich ein Heilsbringer. Der Brite hat zwei Krebserkrankungen und noch mehr Trennungen überstanden und singt Songs mit richtigen Melodien. Sollen doch die Jungen den pseudostraßenkriegerischen Sprechgesang der toxischen Männer toll finden oder das hysterische Gezappel und Gesäusel auffrisierter Frauenschaften. Der spätmittelalte Mensch fühlt sich bei Rod Stewart wohler.

So auch am Dienstagabend um 7 bei seinem "One Last Time"-Gig in der Wiener Stadthalle. Das Publikum – Generation Forever Young – jubelt schon nach ein paar Akkorden der Band, und Rod Stewart macht klar, worum es hier geht: Having a Party! Die dauerblondierte Stromschlagfrisur sitzt, das Sakko mit dem Leopardenprint auch. Der Künstler vertraut augenscheinlich dem gleichen Herrenausstatter wie Thomas Gottschalk: Gold, Glitzer, grelle Farben und heftige Muster schmücken altgediente Showpferde erstklassig.

Konkurrenzprogramm zur EM

Der Bühnenprofi verspricht, mit der Show fertig zu sein, wenn das EM-Spiel der österreichischen Nationalmannschaft beginnt. Das schafft er punktgenau. Ein Bild der Rangnick-Elf lässt der Celtic-Fan später zu You're in My Heart einblenden – zum Jubel des eh schon komplett euphorisierten Publikums. Gut, dass die Achtelfinalniederlage da noch Zukunftsmusik ist.

Nach den ersten Temponummern eine kurze Bestandsaufnahme. Hüftwackeln: geht noch. Bewegungsfreude: hoch. Mit seinen 79 Lenzen tigert Stewart nicht ganz so aufgedreht und hochenergetisch herum wie sein um ein Jahr älterer Kollege Mick Jagger, er bevorzugt eher das lässige Tänzeln und Herumscharwenzeln. Dabei ereilt ihn auf der Bühne niemals jemals das Peter-Kraus-Schicksal: Nichts wirkt peinlich pseudojugendlich, alles ist Leichtigkeit und Herzenswärme.

Macht ihm die Sache Spaß? Und wie! Nötig hätte Rod Stewart die schweißtreibende Anstrengung ja nicht mehr. Anfang des Jahres soll Sir Rod die Rechte an seinen Songs laut Wall Street Journal für eine kolportierte Summe von knapp 100 Millionen Dollar verkauft haben. Damit sind wohl auch seine acht Kinder und Gattin Penny versorgt. Wie singt er in der Stadthalle so schön: Some Guys Have All the Luck.

Rod Stewart - Some Guys Have All the Luck
Rod Stewart

Aus dem Kreis seiner Mitmusizierenden sticht neben ein paar Oberkellnern mit weißen Smokingsakkos auch eine Gruppe talentierter Multiinstrumentalistinnen ins Auge. Ob mit Geige oder Gitarre, Keyboard oder Trommel, Harfe (!) oder Schellenkranz: Die Riege lebenslustiger junger Frauen – Blondinen bevorzugt! – unterstützt den Altmeister musikalisch und animiert ihn in superkurzen, körperbetonten Glitzerkleidchen zu Höchstleistungen.

Politisches Programm

Und wenn es auch auf den ersten Blick nicht danach ausschaut: Die Band kann was! Und zwar Rock, Blues und Soul, und das so richtig. Und auch die Schmuseballaden, die ja Rod Stewarts Stadthallenfüllerqualitäten begründeten. Ein bemitleidenswertes Hartei, wer bei The First Cut Is the Deepest und I Don't Want to Talk About It nicht ein wenig Rührung empfindet. Etwas Fahrt nimmt der Nostalgiebummelzug bei Young Turks und Downtown Train auf, um bei Have I Told You Lately dann wieder etwas abzubremsen. Ist Stewarts samtig-raue Stimme eigentlich als Therapeutikum zugelassen?

Gegen Ende wird's politisch. Stewart erscheint mit gelbem Sakko und blauem Hemd und widmet seinen Song Rhythm of My Heart der Ukraine. Als nach Bildern von Kriegsschäden auch eine riesige Fotoprojektion von Wolodymyr Selenskyj zu sehen ist, sind in der Halle D lautstarke Pfiffe zu hören, die aber nach ein paar Sekunden vom allgemeinen Beifall überdeckt werden. Die Parole "Fuck Putin", die Stewart bei seinem Konzert in Leipzig viele Buhs beschert hat, wird in Wien von einem Mann aus dem Publikum gerufen.

Am Ende der zwei Stunden herrscht beim kollektiven Chor-Act I Am Sailing wieder pure Harmonie. Menschen singen, Tränen rinnen. Die Kapitänsmütze hätte vielleicht nicht sein müssen, aber egal. Es war sehr schön, es hat uns sehr gefreut. Bye-bye and don't fall. (Stefan Ender, 3.7.2024)