Seit einem Jahr und vier Monaten arbeitet Violetta Loevskaya im Kohlebergwerk von Pokrowsk. Ein Ort, der keiner für Frauen sei, so das Vorurteil, mit dem sie aufgewachsen ist. "Am liebsten wäre den Leuten, wenn ich mich nur mit Maniküre beschäftigen würde", sagt die 21-Jährige. Daraus, dass sie sich auch gerne mit ihren Nägeln und Kosmetik beschäftigt, macht sie kein Geheimnis. Selbst mehr als 500 Meter unter der Erde trägt sie dezentes Make-up und Lipgloss, an den Ohren baumeln Strass-besetzte Ohrringe. Sie verdreht die Augen, als sie sich an ihre Anfangszeit zurückerinnert. "Die Leute haben mich mehr oder weniger gefragt, was mit mir nicht stimme, und gemeint, dass ich mich doch um die Familie kümmern solle. Jetzt haben sich alle daran gewöhnt."

Im Bergwerk in Pokrowsk mangelt es wegen des russischen Angriffskriegs an männlichen Arbeitskräften.
Oleksandr Ratushniak

Mit eingeschalteter Stirnlampe läuft Loevskaya in Stiefeln und Schutzkleidung über den sandig-rutschigen Boden, folgt dem Lichtkegel und weicht dabei einigen Löchern aus. In der Luft hängt feiner Staub, der einen nach kurzer Zeit husten lässt. Der Job sei anstrengend, aber immerhin interessant und abwechslungsreich, sagt sie. "Am Anfang findet man sich hier natürlich schwer zurecht, man muss die Arbeitsabläufe verstehen und sich an die Dunkelheit gewöhnen." Neben ihr spuckt ein Förderband laut quietschend die männlichen Kumpels aus der dunklen Tiefe des Tunnels aus, wo die Kokskohle abgebaut wird. An einen der Männer tritt Loevskaya gemeinsam mit ihrer Kollegin Victoria Shytikova heran.

Verbote bis 2017

Mit fester Stimme befragen die beiden Frauen den Mann nach der Einhaltung der Sicherheitsstandards. Zu ihren Aufgaben gehört die Überprüfung der Sensoren, der Gaskonzentration, der Schutzvorrichtungen am Förderband und der Belüftung. "Es gibt Tätigkeiten im Bergwerk, die körperlich sehr schwer sind", sagt die 20-jährige Victoria Shytikova, etwa der Abbau der Kohle noch tiefer unter der Erde. "Aber dann gibt es Aufgaben, wie unsere, die Männer und Frauen gleich gut absolvieren können." Bis zum Jahr 2017 war Frauen der Eintritt in Berufe im Bergbau, in der Metallurgie, Elektro- und Chemieproduktion, im Lkw-Transport oder in der Feuerwehr in der Ukraine gesetzlich nicht erlaubt. Mindestens 450 Berufe galten als für Frauen verboten – ein gesetzliches Relikt aus der Sowjetzeit. Die Begründung damals: Die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau soll geschützt werden.

Im Bergwerk in Pokrowsk machten Frauen im Jahr 2021 bereits ein Viertel der Belegschaft aus. Nach mehr als zwei Jahren der Invasion ist ein Drittel der 7000 Mitarbeitenden weiblich. "Ich unterstütze keinen Feminismus, aber gleichzeitig finde ich nicht, dass eine Frau nur daheimsitzen und Borschtsch kochen soll", sagt Loevskaya mit lauter Stimme, um die Zugluft zu übertönen. Victoria Shytikova nickt zustimmend und sagt: "Für uns bedeutet die Arbeit hier auch eine gute Pension." Irgendwann wolle sie sich ein Auto leisten und eine Wohnung kaufen, sollten es die Umstände zulassen.

Im Bergwerk in Pokrowsk machten Frauen im Jahr 2021 bereits ein Viertel der Belegschaft aus. Nach mehr als zwei Jahren der Invasion ist ein Drittel der 7000 Mitarbeitenden weiblich.
Oleksandr Ratushniak

"Mein größter Traum ist, dass dieser Krieg vorbei ist", sagt Shytikova. "Ich will, dass endlich Ruhe einkehrt und wir nicht jeden Tag aufs Neue froh sein müssen, dass wir in der Nacht nicht getötet wurden." Auch auf der Anlage des Bergwerks gab es im vergangenen Jahr einen Einschlag, dabei ist mindestens eine Mitarbeiterin ums Leben gekommen. "Natürlich spüren wir, dass der Krieg näher kommt", sagt Loevskaya. "Aber wir alle hier verstehen, dass die Arbeit unter der Erde sicher ist, wenn man sie mit den Jobs oben vergleicht." Pokrowsk wird nicht nur regelmäßig zum Ziel russischer Angriffe mit Raketen und Drohnen, sondern liegt nur noch 30 Kilometer Luftlinie von der Front entfernt.

Die Front rückt näher

Mittlerweile ist das Bergwerk laut dem Betreiber Metinvest das einzige im ganzen Land, das noch immer Kokskohle fördert, die unter anderem für die Stahlerzeugung verwendet wird – und damit auch für die Verteidigungsindustrie wichtig ist. Selbst in Kriegszeiten wirkt der Arbeitsalltag auf den ersten Blick wie aus dem Kriegskontext ausgeklammert. Im administrativen Bau der Anlage stöckeln Frauen durch die Eingangshalle, vorbei an Schildern, die vor den Gefahren im Arbeitsalltag warnen – die alten in russischer Sprache, die neuen, die teilweise noch verpackt in den Büroräumen liegen, auf Ukrainisch. Im Innenhof stehen die männlichen Arbeiter bei Vogelgezwitscher und dem Plätschern des Brunnens vor ihrer Schicht beisammen und rauchen über den leisen Geruch von Lack hinweg, der in der Luft hängt.

Die Sitzbänke und Mülleimer haben rechtzeitig zum Sommerbeginn so wie jedes Jahr eine frische Farbschicht in Rot und Schwarz erhalten. An einer Wand prangt das Foto eines Mitarbeiters, im Mugshot-Style, als Warnung an die Belegschaft. Am 2. Mai 2024 kam der Mitarbeiter betrunken zur Arbeit. "Mit 0,7 Promille", steht darauf geschrieben, "was in unserem Unternehmen nicht akzeptiert wird." In der Kantine werden noch immer Speisen zum Preis von neun Grywna angeboten, umgerechnet 0,2 Euro, während auf den Bildschirmen eine Mischung aus Metinvest-Eigenwerbung und Nachrichten aus dem ganzen Land läuft.

"Das Bergwerk hält alles zusammen", sagt Violetta Loevskaya. Es bestimmt den Rhythmus, den Wohlstand der Menschen und hat zuletzt auch dazu geführt, dass sie ihren Ehemann kennengelernt hat: vor drei Jahren am "Tag des Bergmanns", an einem für die Bergbauregion Donbass besonders wichtigen Feiertag Ende August, der auf die Sowjetunion zurückgeht und noch immer mit Konzerten und Festen gefeiert wird. "Ich hatte weiße Turnschuhe an, und er ist mir auf den Fuß getreten, ohne es zu merken", erzählt Loevskaya, die sich damals noch in ihrer Ausbildung befand. "'Pass auf', habe ich zu ihm gesagt. So fing alles an." Ihr sechs Jahre älterer Ehemann arbeitete schon damals als Mechaniker im Werk. Heute lebt das Paar gemeinsam mit einem Hund in einer Wohnung in Pokrowsk und denkt über Kinder nach – sobald der Krieg vorbei ist. "Ich möchte nicht, dass meine Kinder so etwas sehen und erleben."

Personalmangel

Neben den Angriffen wächst der Druck auf das Unternehmen auch aufgrund der Mobilisierung, erklärt Andrij Akulitsch, der Generaldirektor der Metinvest Pokrowsk Coal. Mindestens 1200 Mitarbeiter wurden bisher einberufen, die Zahl wird wohl weiter steigen. Doch bereits jetzt liege der Personalmangel bei 15 Prozent. "Wir dachten, dass der Punkt, an dem wir unsere Produktion nicht fortsetzen können, bereits überschritten wurde. Aber es gibt keine klare rote Linie, nach der wir die Mine schließen würden. Wir machen einfach weiter", sagt Akulitsch. In den ersten Tagen des Krieges habe das Unternehmen mehrere Tausend Menschen aus Mariupol evakuiert, sagt Akulitsch. Noch im April 2022 kündigte der Konzern, der dem reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, gehört, an, niemals unter russischer Besatzung zu arbeiten.

Die Bedingungen unter Tage sindim Bergwerk von Pokrowsk für Männer und Frauen gleich, besondere Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind nicht vorgesehen.
Oleksandr Ratushniak

Aufgrund des Mangels an männlichen Arbeitskräften könnte der Anteil von Frauen im Bergwerk wachsen. Doch das ändere noch lange nicht den Umstand, dass die allermeisten Führungspositionen von Männern besetzt würden, erklärt Wlada Nedak, Geschäftsführerin der Frauenorganisation Kesher. "Wir wissen, dass die meisten Frauen, die Kinder haben, nur begrenzte Möglichkeiten haben, Karriere zu machen, vor allem in den Regionen nahe der Frontlinie", sagt Nedak. "Das Bildungssystem arbeitet hauptsächlich online. Das bedeutet, dass sich Frauen um die Kinder kümmern sollen und entscheiden müssen, ob sie überhaupt ins Büro fahren können." Besondere Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien im Bergwerk von Pokrowsk nicht vorgesehen, sagt Akulitsch dazu und erklärt: "Die Bedingungen unter Tage sind für Männer und Frauen gleich." Man verstehe aber, dass man den neuen Mitarbeiterinnen bei der Einarbeitung zur Seite stehen müsse.

Unterstützung bei Verteidigungslinien

Trotz der vielen Herausforderungen ist laut Akulitsch jede Art von Stress im Grunde eine Chance für Weiterentwicklung. "Wenn man auf all diese Militärexperten hören würde, würde man verrückt werden", sagt er. "Wir hören ja selbst abends den Beschuss." Seit einigen Monaten unterstützt Metinvest die ukrainische Armee und hat laut Akulitsch mehr als 100 Millionen Griwna in Befestigungsanlagen in der Region investiert. "Wir müssen in die Sicherheit dieser Region investieren", sagt er. "Wir haben spezielle Transportbagger und die Möglichkeit, Materialien wie Holz und Materialien für die Befestigungen zu kaufen."

Nach den vielen Stunden mit Schutzhelm auf dem Kopf tragen Victoria Shytikova und Violetta Loevskaya ihre Haare offen. Eigentlich würden die beiden Frauen gerne reisen, ins Ausland, in andere Landesteile. "Ich traue mich nicht, irgendwo anders hinzufahren", sagt Loevskaya. "Wenn hier zu Hause etwas passiert, kenne ich zumindest Leute und weiß, wo ich hingehen kann." Dass dieser Krieg weiter andauere, könne sie noch immer nicht fassen, sagt Shytikova. Viele ihrer Freunde haben Pokrowsk längst verlassen. Ausgehen, feiern, tanzen ist aufgrund der Ausgangssperre nicht möglich. In ihrer Freizeit gehen die beiden spazieren, in Kosmetikstudios oder einkaufen. "Zuerst hatten wir schon Fernunterricht wegen der Corona-Pandemie, dann kam der Krieg", sagt die 21-jährige Loevskaya. Und noch immer könne ihr in ihrem jungen Leben niemand sagen, wie es morgen weitergehe, in einer Woche, in einem Monat. (Text: Daniela Prugger, Mitarbeit: Dzvinka Pinchuk, 4.7.2024)