Der türkische Torschütze formt bei seinem Jubel den Wolfsgruß, der ein Symbol der rechtsextremen Grauen Wölfe ist.
Der von Merih Demiral bei seinem Torjubel geformte Wolfsgruß ist ein Symbol der rechtsextremen Grauen Wölfe.
IMAGO/Daniela Porcelli / SPP

Leipzig – Der türkische Nationalspieler Merih Demiral hat mit einer umstrittenen Jubelgeste beim 2:1 im EM-Achtelfinale gegen Österreich für Aufsehen gesorgt. Der 26-Jährige formte nach seinem zweiten Treffer am Dienstagabend im Leipziger Stadion mit beiden Händen den sogenannten Wolfsgruß, ein Handzeichen und Symbol der Grauen Wölfe. Und das am 2. Juli, dem Jahrestag eines tödlichen Brandanschlags von Sivas auf die alevitische Bevölkerung, bei dem dieser Gruß gezeigt worden war. Die Europäische Fußball-Union (Uefa) hat eine Untersuchung eingeleitet.

Die deutsche Innenministerin zeigte sich am Mittwoch empört über den Vorfall. "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen. Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen ist völlig inakzeptabel", teilte die SPD-Politikerin mit. Der Vorfall hat auch diplomatische Nachwirkungen. Wie eine türkische, diplomatische Quelle mitteilte, hat das türkische Außenministerium in Ankara den deutschen Botschafter einbestellt.

"Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun", sagte Demiral nach Mitternacht im Leipziger EM-Stadion. "Deswegen habe ich diese Geste gemacht. Ich habe Leute im Stadion gesehen, die diese Geste auch gemacht haben." Es stecke "keine versteckte Botschaft" dahinter.

Video: Türkei-Sieg von Wolfsgruß überschattet.
AFP

"Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste", sagte Demiral, der bei Al-Ahli in Saudi-Arabien unter Vertrag steht. "Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin." Es werde hoffentlich noch mehr Gelegenheiten geben, diese Geste zu zeigen.

Via X verbreitete Demiral noch vor der Pressekonferenz ein Foto des Wolfsgruß-Jubels und schrieb dazu: "Glücklich derjenige, der sich als Türke bezeichnet" – ein berühmtes Zitat des Begründers der Republik Türkei, Kemal Atatürk. "Das zeigt, dass er ein politisches Statement setzen will und den Fußball dafür missbraucht", sagte der Autor Burak Yilmaz der ARD-Sportschau.

Vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet

Als Graue Wölfe werden die Anhänger der rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Weder die Organisation noch der Gruß sind in Deutschland verboten. In Österreich sind Zeichen und Gruß seit 2019 strafbar.

Demiral traf in Leipzig bereits nach 57 Sekunden zum schnellsten Tor in der K.-o.-Runde einer EM sowie in der 59. Minute. Nach der Partie wurde er von der Uefa zum Spieler des Spiels ausgezeichnet. Um den Einzug ins Halbfinale der EM spielt die Türkei am Samstag in Berlin gegen die Niederlande.

Die Uefa begründet die Ermittlungen gegen Demiral mit dem "mutmaßlich unangemessenen Verhalten" des 26-Jährigen. Weitere Informationen wird die Uefa "zu gegebener Zeit" veröffentlichen.

Gregoritsch warnt vor rechtem Gedankengut

Mit eindringlichen Worten gegen rechtes Gedankengut hat sich Stürmer Michael Gregoritsch von der EM verabschiedet. Die Botschaft an Österreich und ganz Europa sei, "dass man sich nicht extrem auseinandersetzen sollte mit Differenzierung und rechten Gedanken", sagte der 30-Jährige bei Servus TV. Man solle sich "vielleicht ein bisschen zusammenreißen und sehen, dass man wie im Fußball vereint, auf jeden einzelnen Menschen stolz und glücklich sein kann", sagte Gregoritsch: "Wir sollten uns ganz weit entfernen von rechtem Gedankengut und wissen, wie wichtig es ist, dass wir alle gleich sind, dass wir alle für unser Land da sind und für eine Sache so brennen können."

Zuvor hatte Teamchef Ralf Rangnick vor dem Erstarken des Rechtsextremismus in Europa gewarnt. Bei der EM selbst ist es wiederholt zu rechtsextremen und nationalistischen Vorfällen durch Anhänger verschiedener Teams gekommen. Im Gruppenspiel gegen Polen (3:1) in Berlin war im österreichischen Block zudem ein Banner mit der Aufschrift "Defend Europe" zu sehen gewesen. Dies ist ein Slogan der rechtsextremen Identitären Bewegung.

Demiral erzielte zwei Treffer im Achtelfinale gegen Österreich.
IMAGO

Innenministerin fordert Sanktionen gegen Demiral

Im Vorfeld des Achtelfinales hatte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Deutschland die Uefa aufgefordert, den Wolfsgruß in den Stadien nicht zu tolerieren. "Ein Teil der Türkei-Fans" habe diesen bei den vergangenen EM-Spielen gezeigt. "Dies geschah wiederholt und wurde live im Fernsehen übertragen", sagte GfbV-Nahostreferent Kamal Sido. "Die Uefa sollte sich klar gegen das Zeigen rechtsextremer Symbole positionieren und das Zeigen des Wolfsgrußes mit einem Stadionverbot belegen."

Es sei "verständlich und begrüßenswert, dass die Fans der türkischen Nationalmannschaft die Erfolge ihrer Mannschaft feiern", sagte Sido weiter. Das Zeigen des Wolfsgrußes habe "mit friedlichem und berechtigtem Feiern aber nichts zu tun und schadet vor allem der Mehrheit der friedlichen Fans".

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser twitterte am Mittwoch: "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen. Die Fußballeuropameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen ist völlig inakzeptabel." Sie erwarte, dass die Uefa "den Fall untersucht und Sanktionen prüft".

Berîvan Aslan, Abgeordnete für die Grünen im Wiener Gemeinderat, bezeichnete Demiral in einem Posting in den sozialen Medien als "klaren Verlierer", der durch einen rechtsextremistischen Wolfsgruß negativ auffiel.

Rassistischer Text für "L'amour toujours" 

Indes haben auch österreichische Fans in Leipzig vor Spielbeginn für einen Eklat gesorgt. Während einer Übertragung des Schweizer Fernsehens SRF war am Dienstag vor dem Spiel zu sehen, wie Anhänger der ÖFB-Auswahl in der Stadt zur Melodie des Lieds L'amour toujours die Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" singen. Die Leipziger Polizei geht dem Anfangsverdacht nach.

Deutschlandweit bekannt geworden war die rassistische Parole durch ein Video von der Insel Sylt. Darin hatten zahlreiche junge Menschen bei einer Feier "Ausländer raus" und "Deutschland den Deutschen" zu dem Lied von Gigi D'Agostino gegrölt. Mittlerweile sind zahlreiche weitere Vorfälle bekannt. Auf einigen Volksfesten soll das Lied daher nicht gespielt werden, auch bei der Fußball-EM ist es nicht zugelassen.

Das eigentlich sehr friedliche Lied L'amour toujours gehört normalerweise zu den Songs, die im Umfeld der österreichischen Nationalmannschaft gespielt werden. Der Verband hatte auch einen Antrag gestellt, dass das Lied nach siegreichen EM-Spielen in den Stadien in Deutschland gespielt wird – nach den Vorfällen mit der rassistischen Parolen nahmen aber der ÖFB und die Europäische Fußball-Union davon Abstand. Der italienische DJ D'Agostino hatte klargestellt, dass es in seinem Lied ausschließlich um Liebe gehe. (APA, luza, sid, 3.7.2024)