Stehen nebeneinander.
Michael Gregoritsch (links) und Alexander Prass betrauern das EM-Aus.
AP/Andreea Alexandru

Das Genussprojekt ist vorbei. Österreichs Fußballnationalmannschaft, die bei der EM bisher zu begeistern vermochte, wurde im Achtelfinale am Dienstagabend in Leipzig jäh gestoppt. Von der eiskalten Türkei, die 2:1 gewann. Verteidiger Merih Demiral traf bereits nach 57 Sekunden und in der 59. Minute noch einmal. Joker Michael Gregoritsch konnte nur mehr verkürzen (66.). Der Geheimfavorit muss also nach Hause fahren. Fliegen statt Siegen, das ist Tatsache, kein Geheimnis mehr.

Video: Die zerstörte Hoffnung der Österreich Fans
APA/kha

Es hatte nur rund 15 Grad in Leipzig, die Stimmung von Marko Arnautovic und Co erreichte letztendlich und kurz vor 23 Uhr sogar den Gefrierpunkt. Es flossen Tränen. Zu viele Chancen waren in den 90 Minuten plus Nachspielzeit davor vergeben worden, Dauerdruck reichte nicht. Eine bittere Serie wurde fortgesetzt. Noch nie konnte Österreich ein K.-o.-Spiel bei einer EM, es war allerdings erst das zweite, gewinnen. Bei vier Teilnahmen. Die Türkei darf in Deutschland bleiben, trifft am Samstag im Viertelfinale im Berliner Olympiastadion auf die Niederlande. Und Teamchef Ralf Rangnick muss mit der Aufarbeitung beginnen.

Gregoritsch hält am Fünfer den Fuß hin.
Michael Gregoritschs (links oben) Anschlusstreffer war letztlich zu wenig.
AP/Ebrahim Noroozi

Rangnick hatte als Devise ausgegeben: "Wir brauchen heiße Herzen auf dem Platz, aber in jeder Situation auch einen kühlen Kopf." Und er sagte, was er immer sagt: "Es liegt an uns." Sein türkischer Kollege, der Italiener Vincenzo Montella, hatte mit einer "feurigen Atmosphäre" gerechnet, beugte aber nicht vor, als er Österreich respektvoll "die vielleicht beste Einheit" nannte. Seiner nicht ganz so guten Einheit fehlte der gelbgesperrte Taktgeber Hakan Calhanoglu. "Aber im Ballbesitz sind wir großartig." Österreich allerdings war bisher großartig auch ohne Ball, im Pressing.

Rangnick folgte bei der Aufstellung der Empfehlung des STANDARD zu 90,9 Prozent, als linken Außenverteidiger nominierte er halt Phillipp Mwene und nicht wie vorgeschlagen Alexander Prass. Es sei ihm verziehen. Bei den anderen zehn Spielern herrschte hundertprozentige Übereinstimmung, zum Beispiel Kevin Danso und Philipp Lienhart im Abwehrzentrum oder Kapitän Marko Arnautovic als Solospitze. Marcel Sabitzer überraschte mit neuer Frisur – Cornrows.

Trauriger Sabitzer.
Marcel Sabitzer nach dem EM-Aus.
REUTERS/Lisi Niesner

Schon nach 19 Sekunden passte Christoph Baumgartner in die Tiefe, etwas zu steil für Sabitzer. Der Gegenangriff führte zum Schock. Corner Türkei, Stefan Posch und Baumgartner behindern einander, Goalie Patrick Pentz reagiert in extremis, Demiral staubt trotzdem zum 0:1 ab. Erst 57 Sekunden waren um. Es handelte sich um den schnellsten Treffer in einem K.-o.-Spiel der EM-Geschichte, die 1960 begonnen hat.

Die Reaktion der Österreicher war vorbildlich, keine Starre, sondern Dauerdruck. Baumgartner kam dem Ausgleich sehr nahe (5.). Die Türken, die durchaus feine Kicker in ihren Reihen haben (Arda Güler von Real Madrid!), zogen sich zurück und eine Mauer auf. Der im Rückstand befindliche Favorit fand nicht die Mittel, diese zu durchbrechen, er ließ sogar zwei Konter zu. Halbzeitfazit: Absolut keine schlechte Leistung, einige Aktionen gerieten allerdings zu unpräzise, zu schlampig.

Rangnick reagierte, brachte zur Pause statt Mwene und Schmid Alexander Prass und Michael Gregoritsch. 51.: Posch schummelt den Ball genial in den Strafraum, Arnautovic hat allein vor dem Tor alle Zeit der Welt – und bringt den Ball nicht an Goalie Mert Günok vorbei. Lienhart holte sich für ein taktisches, wichtiges Foul Gelb ab (52.). Laimer überdribbelte drei Mann, rutschte beim Schuss aber aus (53.). Posch schoss im Vollsprint mit dem Schienbein (54.).

Gregoritsch-Anschlusstreffer

Die Konter der Türken waren mäßig gefährlich, doch die Eckbälle kompensierten das. Wieder trat Güler den Corner von rechts, diesmal machte es Demiral per Kopf. Mitten in einem Lienhart-Danso-Sandwich sprang er am höchsten und ließ Pentz keine Chance (59.).

Demiral am Fünfer im Fallen.
Merih Demiral traf nach 57 Sekunden zum 1:0.
AP/Ebrahim Noroozi

Rangnick warf Florian Grillitsch und Maximilian Wöber rein und nahm Laimer und Lienhart raus (65.). Und siehe da, die 66. Minute: Posch verlängert Sabitzers Eckball zur zweiten Stange, Gregoritsch hält den Goldfuß hin, 1:2! Nur mehr ein Tor fehlte zur Verlängerung. Mit dem Rücken zum Tor wollte Gregoritsch per Kopf nachlegen, Günok verhinderte das (69.).

Österreich spielte in die Einbahnstraße. Grillitsch schoss zu zentral (75.), die Türken wurden den Ball im Eiltempo wieder los, Arnautovic verpasste den tödlichen Pass auf Gregoritsch (75.). Die Türkei verteidigte mit Mann und Maus, Österreich blieb variabel, kombinierte auf engstem Raum, kam aber kaum zu Abschlüssen. Günok flog an einer Posch-Flanke vorbei, Baumgartner brachte den Ball nicht aufs Tor (84.) und köpfelte auch nach dem nächsten Corner drüber (86.). Yilmaz vergeigte einen Konter (89.).

Kopfball am Fünfer.
Merih Demiral erhöhte auf 2:0.
IMAGO/Matthias Koch

Auch die Flanken-Brechstange brachte keinen Erfolg mehr, Pentz verhinderte gegen Yilmaz das 1:3. In letzter Sekunde köpfelte Baumgartner beinahe noch den Ausgleich, Günok parierte mit einem unglaublichen Reflex. (Christian Hackl aus Leipzig, 2.7.2024)

Fußball-EM – Achtelfinale:
Österreich – Türkei Endstand 1:2 (0:1)
Stadion Leipzig, 40.000, SR Soares Dias (POR)

Tore:
0:1 ( 1.) Demiral
0:2 (59.) Demiral
1:2 (66.) Gregoritsch

Österreich: Pentz – Posch, Danso, Lienhart (65. Wöber), Mwene (46. Prass) – Seiwald, Laimer (65. Grillitsch) – Schmid (46. Gregoritsch), Baumgartner, Sabitzer – Arnautovic

Türkei: Günok – Müldür, Bardakci, Demiral, Kadioglu – Yüksek (58. Özcan), Ayhan – Yilmaz, Kökcü (83. Kahveci), Yildiz (78. Aktürkoglu) – Güler (78. Yokuslu)

Gelbe Karten: Lienhart, Schmid bzw. Yüksek, Kökcü

Parade
Torhüter Mert Günok parierte Christoph Baumgartners Kopfball in der Nachspielzeit.
REUTERS/Lisi Niesner