Biniam Girmay zeigt als Sieger des Massensprints in Turin das Trikot jenes Teams, das in weiser Voraussicht auf ihn gesetzt hat.
AP/Daniel Cole

Erfolg beflügelt, auch oder gerade im Radsport. Dennoch ging es Biniam Girmay am Dienstag auf dem Weg hinauf zum Col du Galibier, wie es Sprintern in den schwersten Anstiegen bei der Tour de France eben geht. Das zähe Ringen um den Verbleib im Peleton, ums Ankommen innerhalb der Karenzzeit der vierten Etappe, dürfte dem Eritreer aber am Tag nach seinem historischen Triumph in Turin deutlich leichter gefallen sein.

In der piemontesischen Metropole hatte der 24-Jährige vom Team Intermarché-Wanty als erster schwarzer Afrikaner eine Etappe der großen Schleife gewonnen. "Nun wird jeder glauben, dass afrikanische Fahrer alles erreichen können", sagte Girmay, der wie die großen Vorbilder seiner Jugend, der Slowake Peter Sagan und der Brite Mark Cavendish, dank der schnellsten Beine im Massensprint gesiegt hatte: "Es bedeutet mir sehr viel, vor allem für den Kontinent."

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Afrikanische Etappensieger bei der Tour der France hat es schon vor Girmay gegeben. Der Südafrikaner Robert Hunter war diesbezüglich 2007 der Vorreiter, dessen Landsmann Daryl Impey, ebenfalls aus der weißen Minderheit stammend, trug 2013 als erster Afrikaner das Gelbe Trikot des Gesamtführenden – zwei Tage lang.

Wie in Südafrika hat auch in Eritrea der Radsport Tradition - ebenfalls ein koloniales Erbe. Von 1890 bis 1936 bestand die italienische Kolonie Eritrea, die von 1936 bis 1941 zum faschistischen Italienisch-Ostafrika gehörte. Sie fiel mit dem Sieg der Briten bei Asmara. Und aus der Hauptstadt Eritreas stammt auch Girmay, der vom Vater die Liebe zum Radsport mitbekam.

Die Voraussetzungen waren prinzipiell güstig. Die Bedingungen in Eritrea, das im Parameter wie Gesundheit, Bildung und Einkommen berücksichtigenden "Human Development Index" unter 193 Staaten Rang 175 belegt, ähneln auffallend jenen in Kolumbien, dem größten "Exporteur" von Talenten für den Profiradsport. Girmay kann daheim bei mildem Wetter und in Höhenlagen ab 2300 Meter bestens trainieren. Gleiche Bedingungen finden sich in Äthiopien und Kenia, sie werden dort aber gegenwärtig vor allem zur Heranbildung läuferischer Eliten genützt.

WM in Ruanda

Aus Ost- und Zentralafrika heraus könnte der Kontinent den Radsport in den kommenden Jahren mitprägen. Allerdings finden sich unter den rund 520 Profis in den 18 Teams der World Tour aktuell nur fünf schwarze Afrikaner, vier davon aus Eritrea. Das Potenzial ist gewaltig, wie auch dem Weltverband UCI bewusst ist, der die Weltmeisterschaften 2025 an Kigali, Ruanda, vergab. Die 97. Auflage der Weltmeisterschaft ist erst die zwölfte, die nicht in Europa gegeben wird und selbstredend die erste auf dem afrikanischen Kontinent.

Ausgeschöpft werden dessen Möglichkeiten bisher nicht. "Es gibt viele Hindernisse", sagte Girmay, "es ist nicht einfach." Die UCI habe damit begonnen, afrikanische Talente in das Development-Team aufzunehmen. "Das muss fortgesetzt werden, damit sie an den europäischen Rennen teilnehmen können", sagte Girmay und appellierte an die Teams: "Der Radsport ist jetzt globaler. Die Teams müssen sich nach jungen Talenten außerhalb Europas umsehen."

Intermarché-Wanty ist ein Vorreiter. Girmay fährt seit 2021 für die belgische Equipe. Nach dem Sieg bei Gent-Wevelgem und einem Etappenerfolg beim Giro d’Italia (beide 2022) erntet die Mannschaft nun weitere Früchte. "Ich hoffe, dass es die Schleusen für mehr Fahrer aus Afrika öffnet", sagte Sportdirektor Aike Visbeek. "Jetzt kann die Welt sehen, was möglich ist, wenn man diesen Jungs eine Chance gibt." Einer, zu dem afrikanische Talente aufsehen können, ist nun Girmay selbst. Das hat auch dessen Vorbild Cavendish, der Sieger von bisher 34 Tour-Etappen, erkannt, der in Turin selbst nicht in den Sprint eingreifen konnte. "Er ist jetzt eine Legende", sagte die Legende. (sid, lü, 2.7.2024)