Die Forderungen könnten unterschiedlicher kaum sein. Gewerkschaft, Arbeiterkammer und SPÖ sehen eine Verkürzung der Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich als längst überfällig an. Industriellenvereinigung und ÖVP kontern mit einer 41-Stunden-Woche, "Vollzeitbonus" und steuerfreien Überstunden, um die maue Konjunktur zu beleben und den Arbeitskräftemangel zu lindern.

Andernorts ist man vom Debattieren ins Tun übergegangen, in Griechenland besteht seit kurzem die Möglichkeit einer Sechs-Tage-Woche. Just in jenem Land, in dem die Beschäftigten ohnehin die meisten Wochenstunden leisten. Es gibt also unterschiedliche Ansätze, mit den Herausforderungen umzugehen. Was soll Österreich tun? Interessanten Input liefert der aktuelle "Arbeitszeitreport" des gewerkschaftsnahen Momentum-Instituts, der dem STANDARD exklusiv vorliegt.

Bildercollage mit großer Uhr in der Mitte.
Der Trend zur Teilzeit hält weiter an – die Gründe dafür sind vielfältig.
Der Standard/Friesenbichler

Auf Basis der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria und verfügbaren Lohndaten wertete Arbeitsmarktökonom Jakob Sturn Veränderungen in der Arbeitszeit seit 2014 aus. Die Ergebnisse: Besserverdiener reduzierten ihr Stundenausmaß am stärksten, und Frauen zieht es wegen Care-Arbeit in Teilzeit, während Väter dafür tendenziell sogar mehr arbeiten als ihre kinderlosen Kollegen.

Viel Teilzeit, hohe Beschäftigung?

Aber der Reihe nach: Seit Jahren steigt die Teilzeitquote in Österreich, vergangenes Jahr lag sie bei 30,9 Prozent. Einzig in den Niederlanden wird EU-weit noch mehr im reduzierten Stundenausmaß gearbeitet. Im Unionsschnitt geht der Trend seit 2013 stattdessen in die entgegengesetzte Richtung und lag zuletzt bei 17 Prozent, zeigen Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat.

Österreich und die Niederlande sind damit auch die Schlusslichter bei den tatsächlich geleisteten Wochenarbeitsstunden. Gerade einmal 33,6 Stunden pro Woche arbeiten die Beschäftigten hierzulande.

Zugleich weisen die Niederlande aber die höchste Erwerbsbeteiligung aller EU-Länder auf. Es gehen also viele Menschen einer Beschäftigung nach, arbeiten dafür aber im Schnitt etwas weniger. Österreich liegt hier nur an neunter Stelle der 27 Mitgliedsstaaten. Es läuft also nicht alles rund.

Jung und faul?

Doch wer reduziert seine Arbeitszeit eigentlich? Stimmt das Klischee von den faulen Jungen? In der Momentum-Analyse findet sich kein Beleg dafür. Denn eine Abnahme der normalen wöchentlichen Arbeitszeit (inklusive Teilzeit und Überstunden) gab es zwischen 2014 und 2022 mit Ausnahme der 60- bis 65-Jährigen in allen Altersgruppen. Momentum-Ökonom Sturn führt das auf das steigende Pensionsantrittsalter der Frauen zurück. Die Gründe dafür sind höchst unterschiedlich.

So ist bei den 15- bis 29-Jährigen eine Ausbildung der häufigste Grund für Teilzeitarbeit, bei den 30- bis 49-Jährigen die Betreuung von Jung und Alt. Bei jenen ab 50 Jahren ist es dann eine freiwillige Stundenreduktion.

Unterschiede im Hang zu weniger Wochenstunden gab es im Beobachtungszeitraum aber auch in Bezug auf das Einkommen. So konnte Momentum-Experte Sturn feststellen, dass das reichste Einkommenszehntel – gemessen am Bruttostundenlohn – den stärksten Rückgang aller Gruppen verzeichnete. Um 6,8 Prozent bzw. um 2,7 Wochenstunden ging das Arbeitsausmaß in den Jahren 2014 bis 2022 zurück.

Warum? "Personen am oberen Ende der Einkommensverteilung haben mehr Verhandlungsmacht, weil sie oft höhere Positionen innehaben und am Arbeitsmarkt gefragt sind", erklärt Sturn. Je weniger man verdiene, umso schlechter sei im Regelfall auch die Verhandlungsposition – und umso geringer auch der finanzielle Spielraum.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass die einkommensstärksten zehn Prozent auch jene sind, die das höchste Stundenausmaß aufweisen. Selbst nach der Reduktion arbeiten sie mit 37,3 Stunden deutlich mehr als der österreichweite Schnitt.

Verdoppelung der Teilzeitquote

Prinzipiell steigt mit sinkendem Stundenlohn die Teilzeitquote, doch besonders bei Besserverdienern war zuletzt ein verstärkter Trend zur Teilzeit zu beobachten. Im einkommensstärksten Fünftel verdoppelte sich die Quote bei den Männern auf zehn Prozent, bei den Frauen kletterte sie von 38 auf 47 Prozent.

Diese Dynamik spiegelt sich auch in der gewünschten Arbeitszeit wider. Während die finanzstärkeren 60 Prozent weniger arbeiten möchten, besteht bei den einkommensschwächeren 40 Prozent der Wunsch nach einer Aufstockung.

Das hat auch Implikationen für arbeitspolitische Maßnahmen wie den diskutierten Bonus für Vollzeitbeschäftigte, heißt es im Momentum-Bericht. Konkret: Dort, wo finanzielle Anreize die potenziell größte Wirkung hätten, besteht ohnehin der Wunsch nach mehr Stunden. Und bei jenen, die ohnehin gut verdienen, werde ein Vollzeitbonus wenig bewirken. Zudem wären finanzielle Anreize nur dort effektiv, wo eine Stundenerhöhung auch frei wähl- und umsetzbar ist.

Mütter bleiben daheim, Väter arbeiten

Insbesondere mit Blick auf Betreuungs- und Hausarbeit ist das aber allzu oft nicht der Fall. 40 Prozent der Teilzeit arbeitenden Frauen führen Care-Arbeit als Grund dafür an; bei Müttern liegt die Teilzeitquote mit 73,4 Prozent weitaus höher als bei kinderlosen Frauen (41,2 Prozent). Väter hingegen arbeiten sogar tendenziell mehr als ihre kinderlosen Kollegen und befinden sich weniger oft in Teilzeitbeschäftigungen.

Anzusetzen gelte es also an anderer Stelle, so das Fazit von Studienautor Sturn, der sogleich altbekannte Forderungen auf den Tisch legt. Statt veralteter Rollenbilder und konservativer Familienstrukturen brauche es mehr Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen sowie eine bessere Aufteilung der Elternkarenzzeiten, etwa durch verpflichtende Väterkarenzen.

Doch selbst damit wird sich die Debatte nicht in Luft auflösen. Denn mehr als zwei Drittel der Mütter bleiben nicht etwa daheim, weil es kein Betreuungsangebot gibt. Der Grund liegt vielmehr in dem Wunsch an einer aktiven Rolle in der Kindererziehung. Und daran wird wohl weder ein Vollzeitbonus noch Betreuungseinrichtungen etwas ändern.

Letztlich gilt es also spezifisch und treffsicher zu agieren. Anhaltspunkte dafür gibt es – nicht erst jetzt – zur Genüge. (Nicolas Dworak, 3.7.2024)