Ein verwittertes Fass weist den Weg zum Parkplatz – zu einer großen Halle, aus der Lärm dringt und ein zarter Duft nach frischem Brot. Backwaren jedoch werden hier keine produziert. Stattdessen Fässer, genauer: französische Eichenfässer, die mit ihrem gerösteten Holz – der Grund für besagte Duftnoten – Weinen in aller Welt zu Tiefe und Aroma verhelfen.

Eichenfass mit dem Logo von Millet
60 Fasshersteller gibt es in Frankreich, einer davon ist Millet bei Bordeaux.
Verona Carola Mayer

Über 60 Fasshersteller, auf Französisch heißen sie "tonneliers", gibt es im ganzen Land. Im Südwesten, rund um das Weinbaugebiet Bordeaux, ist die Dichte besonders hoch. Dort liegt auch die Manufaktur von Dominique Millet. Der 64-Jährige ist einer der wenigen unabhängigen Produzenten, denn der Markt wird heute von großen Konzernen dominiert. Mit 14 habe sein Vater den Beruf erlernt, erzählt Millet und zeigt auf die gerahmten Schwarz-Weiß-Fotos in seinem Büro: junge Burschen, die Fässer – als wären sie aus Pappe – stolz in die Höhe gestreckt. 1952 gründete der Vater den eigenen Betrieb, vor dreißig Jahren übernahm der Sohn.

Die Arbeit in der Manufaktur beginnt früh. Vor allem im Sommer gelte es, die kühlen Morgenstunden zu nutzen. Durch "la chauffe" steigen die Temperaturen in der Halle schnell auf über 30 Grad. "La chauffe", das Rösten des Holzes über offenem Feuer, ist eine der wichtigsten Etappen der Fassherstellung. Sie bestimmt, wie intensiv ein Wein nach Holz schmeckt, ob sanfte Vanillenoten dominieren oder die holzwürzigen Röstaromen, ob Anklänge von Schokolade, Karamell oder gerösteten Kaffeebohnen zu finden sind. Dementsprechend eng ist die Zusammenarbeit von Fasshersteller und Winzer. Was bei einem funktioniert, kann beim Wein des Nachbarn einen schalen Beigeschmack hinterlassen.

Ein Fass, das von einem Mann über offenes Feuer gehalten wird.
"La chauffe", das Rösten des Holzes über offenem Feuer, ist eine der wichtigsten Etappen der Fassherstellung.
Verona Carola Mayer

Je nach gewünschtem Röstgrad werden die Fässer bei bis zu 210 Grad gebrannt. Routiniert schwingt der Mitarbeiter das Fass über die im Boden eingelassene Feuerstelle. Die Hitze wird mithilfe eines Eisendeckels reguliert. Auf, zu, auf, zu. Immer wieder wirft er ein paar Hackschnitzel nach. "Das ist der Abfall, der beim Zuschnitt der Längshölzer, der Dauben, übrigbleibt", erklärt Millet.

Er beugt sich über eines der Fässer, inhaliert kräftig, schaut beglückt. Der Geruch sei mit das Schönste an der Arbeit. "Moyen plus", lautet sein Verdikt. Mittelstark bis kräftig ist dieses geröstet. Lange Zeit waren vor allem stark gebrannte Fässer gefragt, die dem Wein einen intensiven, holzigen Stempel aufdrücken. Seit einigen Jahren, erklärt Millet, gehe der Trend in die Gegenrichtung: Man will die Frucht schmecken. Natürliche, unverfälschte Weine, die "nicht so stark geschminkt sind", wie es der Sommelier beim abendlichen Aperitif im nahen Saint-Émilion ausdrückt.

Unterstützung für den Wein

Trends kommen und gehen, meint Millet. "Wie in der Mode". Was hält er vom Ausbau in Edelstahltanks oder, auch das so ein Trend der letzten Jahre, in Beton oder Amphoren? Er zuckt mit den Schultern, schweigt – doch sein Gesichtsausdruck spricht Bände. "Das Fass unterstützt den Wein, gibt ihm Komplexität." Dennoch: Weltweit wird nur ein Bruchteil der Weine im Fass ausgebaut. Es sind vor allem hochpreisige Weine, denn so ein Fass ist mit 800 Euro aufwärts nicht billig. Hinzu kommen die Reinigung und das Befüllen, das deutlich aufwendiger ist als bei großen Tanks.

Eingesetzt werden Fässer seit vielen Tausend Jahren. Ursprünglich dienten sie nur zum Transport: Sie waren leichter als die zuvor genutzten Steinamphoren und praktischer, da rollbar. Die Idee, Weine gezielt im Fass auszubauen, ist dem Export geschuldet. Der französische Wein war seit jeher im Ausland gefragt, und dort angekommen, schmeckte er plötzlich besonders gut. Zu den prominentesten zählen die im Barrique ausgebauten Weine. Barrique kommt von barrica, einem alten Dialektwort für Fass. Heute meint es in der Regel ein französisches Eichenfass.

Eine Männerhand steckt einen Eisenring auf die Hölzer, die er so zum Fass verbindet.
28 leicht bauchig zugeschnittene Hölzer braucht es für ein Fass und Eisenringe, die es zusammenhalten.
Verona Carola Mayer

Jene von Dominique Millet fassen – wie es rund um Bordeaux üblich ist – 225 Liter. Die Größe des Fasses spielt neben der Art der Röstung eine entscheidende Rolle für den Geschmack: Je größer das Fass, desto weniger Kontakt hat der Wein mit dem Holz. Aber, sagt Millet: "Schon der einzelne Baum hat einen Einfluss." In welchem Klima ist er gewachsen? Mit welcher Geschwindigkeit? "Je langsamer, desto dichter das Holz, desto weniger oxidiert der darin gelagerte Wein."

Romantische Eichenwälder

Das Holz stammt aus eigens angepflanzten Wäldern, in denen die Bäume stramm nebeneinander in die Höhe wachsen. Viele dieser Wälder gehen auf Jean-Baptiste Colbert zurück, der unter Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. diente und die heimische Schiffsindustrie – damals in einem desolaten Zustand – ankurbeln wollte. "Mit den romantischen Eichenwäldern, die viele Leute vor Augen haben, hat das nichts zu tun", meint Millet. "Es ist eine große Industrie."

Auf dem Vorplatz der Werkshalle lagert das Holz in hohen Türmen zum Trocknen. "Ich könnte einen 15-seitigen Artikel darüber schreiben, wie dieser Vorgang den Geschmack beeinflusst", scherzt Millet, begnügt sich dann aber mit der Kurzfassung, dass auch hier Tempo und Klima entscheidend sind. Im hinteren Teil der Halle werden die getrockneten Dauben zum Fass geformt. 28 der leicht bauchig zugeschnittenen Hölzer braucht es dafür. Zügig steckt der Mitarbeiter sie in den auf dem Boden liegenden Eisenring, bevor sie mit einem Eisendraht zusammengezurrt und einem zweiten Ring fixiert werden. Das gleiche Prozedere auf der anderen Seite und die hölzernen Tulpen werden zu bauchigen Fässern.

Ein Eichenfass, eine Hand öffnet den großen Stoppel am Fass
Um die 500.000 Fässer werden in Frankreich pro Jahr produziert, zwei Drittel für den Export.
Verona Carola Mayer

Nachdem der Kollege sie geröstet hat, werden sie geschliffen und auf ihre Dichte geprüft. Trotz punktueller maschineller Unterstützung bleibt die Arbeit ein Knochenjob. Allein viele Hundert lärmende Schläge braucht es, bis alle Ringe an der richtigen Stelle sitzen. 45 Kilogramm wiegt so ein Fass. Wie schwer das ist, merkt man beim Versuch, es ein paar Zentimeter in die Höhe zu lupfen. Die Männer aber schwingen sie umher, als wären es Gymnastikbälle. Frauen hat er keine im Betrieb, und auch in der Ausbildung sind es wenige. Millet unterrichtet an der nahegelegenen École de Tonnellerie. "Immer mehr meiner Schüler kommen mit Mitte 20, weil sie nach dem Studium merken, dass sie lieber was mit Handwerk machen wollen."

Ein und dasselbe Holz

Dennoch, sagt er: Der Nachwuchs fehlt. Die Nachfrage nach den französischen Fässern hingegen ist ungebrochen. Millet erzählt von einem Eichenwald in den Vogesen im Grenzgebiet von Frankreich und Deutschland. "Ein und dasselbe Holz." Aber: "Der Ursprung muss angegeben werden. Die Fässer aus französischem Holz bekomme ich viel leichter verkauft." Um die 500.000 Stück werden in Frankreich pro Jahr produziert, zwei Drittel für den Export. Auch Millet hat Kunden in aller Welt. Auf einer Karte im Aufenthaltsraum hat er alle markiert. Sie sitzen in Chile, Italien, Neuseeland, Japan. Auch in Österreich steckt ein rotes Fähnchen. Und, kaum zu glauben: auf Bali. Zwei Winzer gebe es dort. "Sie ernten zweimal im Jahr."

Drei Jahre will Dominique Miller noch machen, bevor er in Pension geht. Seine Fässer werden ihn überdauern. In der Weinproduktion ist ihr aromatisches Potenzial nach rund drei Jahren ausgeschöpft. In den Kellern von Spirituosenherstellern aber werden sie als Secondhandfässer teils viele Jahrzehnte eingesetzt. Und, wenn gar nichts mehr geht, in Gärten – als Blumenkübel oder Beistelltisch. (Verena Carola Mayer, 3.7.2024)