Manchen wird es gar nicht aufgefallen sein, doch seit dem vergangenen Jänner fallen die Nettolöhne in Österreich wieder etwas höher aus. Bei einem monatlichen Bruttoverdienst von 2700 Euro bleiben Beschäftigten rund 45 Euro mehr im Geldbörsel seit Jahresbeginn. Wer knapp 4000 Euro verdient, darf sich über etwa 60 Euro plus im Monat freuen. Die Entlastung ist die Folge eines der weitreichendsten türkis-grünen Regierungsprojekte: der Abschaffung der kalten Progression.

Wie viel Geld bleibt 2025 von der Lohnerhöhung im Geldbörsel? Diese Woche will die Regierung Details vorstellen
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Diese schleichenden Steuererhöhungen haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Steuerlast auf das real verfügbare Einkommen in Österreich stetig angestiegen ist. Das lag daran, dass nach jeder Lohnerhöhung, die in Österreich meist über Kollektivverträge erfolgt, ein größerer Teil des eigenen Einkommens in eine höhere Steuerstufe gerutscht ist. Steigt die Steuerlast auf jenen Betrag, der nur den Kaufkraftverlust ausgleichen soll, ist von der kalten Progression die Rede. Den Finanzministern brachte das Phänomen stets ein nettes Körberlgeld ein.

Mit den schleichenden Erhöhungen ist seit 2023 Schluss: Seither gibt es einen eigenen Kompensationsmechanismus. So funktioniert es: Maßgeblich für die Abgeltung ist die Inflationsrate im Zeitraum Juli bis Juni. Seit Dienstag liegen die Zahlen vor. Die Inflation lag in dieser Zeit im Schnitt bei 4,96 Prozent. Zwei Drittel der Anpassung erfolgt automatisch. Das bedeutet: Anfang 2025 werden die Tarifstufen in der Einkommenssteuer im Ausmaß von zwei Dritteln des Inflationswerts erhöht. Über das letzte Drittel braucht es eine politische Einigung im Ministerrat.

Die Vereinbarung dürfte es noch diese Woche geben, ist aus den Reihen der Koalition zu hören. Dabei geht es um viel Geld. Die Forschungsinstitute Wifo und IHS erarbeiten noch eine genaue Berechnung, aber dem Vernehmen nach beläuft sich der gesamte Betrag, der ausgeschüttet werden kann, auf 1,8 bis zwei Milliarden Euro. Das letzte Drittel, das im kommenden Jahr rückverteilt wird, beläuft sich auf 620 bis 680 Millionen Euro.

Entwicklung der Lohn- und Einkommenssteuer 2012 bis 2024
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Ein Teil dieses Geldes wird wie schon in den vergangenen Jahren dazu verwendet werden, um bei den ersten Tarifstufen die komplette Inflation abzugelten (und nicht nur zwei Drittel). Dazu kommt eine Extraerhöhung diverser Absetzbeträge. Diese Beträge können in voller Höhe von der Steuer abgezogen werden. Eine Reihe von Absetzbeträgen werden automatisch zu zwei Dritteln Jahr für Jahr valorisiert. So etwa der Verkehrsabsetzbetrag (aktuell 463 Euro im Jahr) oder der Pensionistenabsetzbetrag oder der Absetzbetrag für Alleinerziehende. Davon werden auch Geringverdiener profitieren, die kaum oder wenig Steuern zahlen. Fix ist auch, dass die Grenzen, bis zu welchen Einzelunternehmen von der Umsatzsteuer befreit sind und normale Einkommenssteuer zahlen, steigen werden – aktuell liegen sie brutto bei 42.000 Euro.

Was es heuer nicht geben wird: ein Extrazuckerl für Überstunden. Die Grünen sollen einen Vorschlag der ÖVP in diese Richtung abgelehnt haben. Im vergangenen Jahr war das noch anders, damals wurde fixiert, die steuerfreien Beträge für Überstunden auf 200 Euro im Monat zu erhöhen, und zwar 2024 und 2025. Diese Maßnahme wirkt also noch fort, kostet allein im kommenden Jahr um die 200 Millionen Euro.

Noch verhandelt wird derweil dem Vernehmen nach über eine Erhöhung des Kilometergelds: Selbstständige, die einen privaten Pkw dienstlich nutzen, können für jeden gefahrenen Kilometer 42 Cent als Betriebsausgabe geltend machen. Dienstnehmer können Kilometergeld steuerfrei von ihrem Arbeitgeber bekommen. Das letzte Mal erhöht wurde das Kilometergeld vor 14 Jahren, weshalb aktuell auch ÖGB und Arbeiterkammer auf eine Erhöhung drängen. Nun könnte es so weit sein, in ÖVP-Verhandlerkreisen geht man von einer Einigung aus.

Egal wie das Paket aussieht: Bei der Präsentation der Zahlen gilt es auf ein paar Mythen zu achten, die im Zusammengang mit der Abschaffung der kalten Progression gern beschworen werden.

Mythos 1: Entlastet werden niedrige und mittlere Einkommen

Bereits im vergangenen Jahr hat die Regierung, als sie die Zahlen zum letzten Drittel der Entlastung präsentierte, davon gesprochen, "niedrige und mittlere" Einkommen besonders zu entlasten. Das Argument: Die Eingangssteuerstufen seien über den automatischen Mechanismus zusätzlich gesenkt worden, so wie das auch heuer geplant ist. Das ist grob irreführend. Tatsächlich werden hierbei alle Einkommen entlastet: niedrige, mittlere und hohe. Letztere in absoluten Zahlen sogar stärker.

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Das liegt nicht einmal am Unwillen der Regierung, sondern am progressiven Einkommenssteuersystem. In Österreich gilt der Grundsatz, wonach Besserverdiener für ihr (real) höheres Einkommen auch mehr Steuern zahlen sollen. In der Praxis funktioniert das mit Tarifstufen. Bei einem Jahreseinkommen von bis zu 12.816 Euro fällt heuer gar keine Steuer an. Für jeden Euro darüber gilt die Steuerstufe zwei, die bei 20 Prozent liegt, bis zu einem Betrag 20.818 Euro. Und so weiter. Wenn die ersten Tarifstufen nun angehoben werden, profitieren davon auch Topverdiener, und zwar mit jenem Teil ihres Einkommens, der in die unteren Stufen fällt.

Überhaupt gilt, dass die Abschaffung der kalten Progression keine Maßnahme zur Umverteilung ist. Rückverteilt wird vor allem an jene, die hohe Steuern zahlen. Der Budgetdienst des Parlaments hat im vergangenen Jahr errechnet, dass den 30 Prozent mit den höchsten Einkommen knapp 49 Prozent der Mittel aus der Abgeltung der Progression zufallen. Relativ zu den Einkommen gesehen ist die Entlastung in allen Gruppen ähnlich hoch.

Mythos 2: Der Staat entlastet nur so viel, wie er mehr eingenommen hat

Die Abschaffung der kalten Progression ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass Österreich wegen seines hohen Defizits Ungemach aus Brüssel droht. In den vergangenen Jahrzehnten sorgten die schleichenden Steuererhöhungen dafür, dass die Einnahmen des Staats laufend dynamisiert waren. Das fällt nun weg. Der Budgetdienst schätzt, dass die Abschaffung der kalten Progression dazu führt, dass dem Staat im Jahr 2027 satte 10,7 Milliarden Euro Einnahmen entgehen. Das entspricht fast den aktuellen Gesamtausgaben fürs Bildungssystem.

Zugleich gibt es auf Drängen der Grünen seit 2023 auch eine automatische Valorisierung diverser Sozialleistungen: So wird die Familienbeihilfe automatisch im vollen Umfang mit der Inflation angehoben, ebenso das Reha- oder Krankengeld und noch einige andere Leistungen (Sozialhilfe und Pflegegeld waren davor schon valorisiert). Diese Änderung führte dazu, dass die Ausgaben laufend dynamisch steigen.

Mythos 3: Der Staat gibt nun erstmals die Einnahmen zurück

ÖVP und Grüne haben mit der Abschaffung der schleichenden Steuererhöhungen tatsächlich das umgesetzt, worüber davor schon Jahrzehnte diskutiert wurde. Allerdings haben auch vergangene Regierungen das Körberlgeld, das sie erhalten haben, rückverteilt – immer zeitversetzt. Alle paar Jahre wurde besonders unter Rot-Schwarz von der Regierungdie "größte Steuerreform" aller Zeiten ausgerufen, die meist aus einer Steuersenkung bestand, mit der den Beschäftigten die kalte Progression abgegolten wurde.

Mythos 4: Für Unternehmen gibt es nichts?

In den Debatten rund um die kalte Progression wirkt es manchmal so, als würden Beschäftigte entlastet werden, während Unternehmerinnen und Unternehmer leer ausgehen. Tatsächlich gibt es die kalte Progression nur in der progressiven Einkommenssteuer. Da es für Unternehmen eine Flat Tax auf Gewinne gibt, existiert hier das Phänomen gar nicht. Die Koalition hat die Körperschaftssteuer dennoch abgesenkt, von 25 auf 23 Prozent, das war ein echtes Goodie für Betriebe und nicht bloß eine abgesagte Steuererhöhung. (András Szigetvari, 3.7.2024)