Viktor Orbán und Wolodymyr Selenskyj sitzen einander an einem runden Tisch gegenüber.
Viktor Orbán (links) und Wolodymyr Selenskyj stehen einander in vielen Dingen nicht sehr nahe. Erstmals sprechen die beiden auf ukrainischem Boden miteinander.
AP/Zoltan Fischer

Wenn Staats- oder Regierungschefs europäischer Länder in den vergangenen Monaten Kiew besuchten, dann meist mit einer Sache im Gepäck: Zusagen zu Militärhilfen. Viktor Orbán hat derlei nicht dabei. Beim ersten Besuch in Kiew seit dem russischen Überfall schlug der ungarische Premierminister in eine ganz andere Kerbe: Er rief den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj dazu auf, sich für eine Waffenruhe mit Russland einzusetzen. Nur das könne Friedensgespräche beschleunigen, gab Orbán am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Kiew an.

Video: Orbán drängt Selenskyj zu Waffenruhe mit Russland
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Ungarn hatte am Montag turnusmäßig die europäische Ratspräsidentschaft übernommen. Die Einstandsreise nach Kiew war für den EU-Skeptiker wohl mehr lästige Pflicht als Überzeugungstat. Ganz anders geht es dabei vielen Kollegen und Kolleginnen in Brüssel, die immer wieder Zeit in ihrem Terminkalender für einen Besuch in dem kriegsgebeutelten Land finden: Zuletzt etwa fuhr EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Februar nach Kiew – bereits zum siebenten Mal. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz eilte gleich wenige Monate nach dem russischen Überfall nach Kiew, wo er gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Italien und Frankreich militärische Unterstützung gelobte. Seine Außenministerin Annalena Baerbock war im Mai zum wiederholten Mal in Kiew, genauso wie hochrangige Regierungsmitglieder fast aller EU-Staaten.

Vehementer Kritiker von EU-Militärhilfen

Doch der ungarische Premier hält nicht viel von der europäischen Ukraine-Politik. Der Rechtspopulist ist ein vehementer Kritiker der EU-Militärhilfen und hat diese zumindest zeitweise immer wieder blockiert, genauso wie diverse Sanktionspakete.

Dass der 61-Jährige am Dienstag also nach Kiew reiste, ist an sich schon eine kleine Sensation. Orbán, der seit 14 Jahren Ungarn regiert, pflegt selbst enge Kontakte nach Moskau. Zuletzt war er 2015 in der Ukraine, also kurz nach der Annexion der Krim. Er habe sich ja nie gegen Russland wenden wollen, hat er im vergangenen Jahr zu Wladimir Putin gesagt.

Wegen eines Rechtsstaatlichkeitsverfahrens liegt Orbán wiederum seit Jahren im Clinch mit Brüssel. Millionen Euro an EU-Beihilfen sind dort deshalb auf Eis gelegt. Die Ukraine ist für Orbán somit auch EU-interne Verhandlungsmasse. Vor wenigen Tagen hat Ungarn eine gemeinsame Erklärung der EU-Staaten gegen die von Moskau verhängte Blockade vieler europäischer Medien verhindert. Ebenfalls "nicht einverstanden" zeigte sich Orbán mit den am Dienstag offiziell gestarteten EU-Beitrittsgesprächen, auch wenn Budapest diese nicht blockiert hat. Ähnliches geschah Anfang dieser Woche in Bezug auf ein neues Sanktionspaket. Die Entscheidung habe man bloß deshalb nicht blockiert, weil das ungarische Atomkraftwerk Paks von den Maßnahmen ausgenommen sei.

Bei seinem Treffen mit Selenskyj in Kiew war somit weder von Militärhilfen noch von Sanktionen irgendeine Rede. Orbán betonte stattdessen, dass sich Ungarn an der Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft beteiligen werde. Und dass man Fortschritte beim Schutz der ungarischen Minderheit in der Ukraine gemacht habe. (Anna Sawerthal, 2.7.2024)