Egon Schieles hockender männlicher Akt, ein Selbstporträt mit blauem Strumpf (1912).
Privatbesitz

Wer an die Kunst Egon Schieles denkt, hat häufig vor allem eines vor Augen: nackte Körper, die manchmal verrenkte, fast immer unvorhersehbare Positionen einnehmen. Was gut erforscht und reichlich gezeigt wirkt, wird vom Egon-Schiele-Museum in dessen Geburtsstadt Tulln in einer kleinen Schau neu aufgerollt: In Egon Schiele. Nackt! sind elf Zeichnungen, Gouache-Arbeiten und Aquarelle zu sehen, die aus einer anonymen Privatsammlung stammen und nur selten öffentlich zugänglich sind.

Die Reduktion auf elf Werke in einem einzigen kleinen Raum birgt vor allem einen Vorteil: Die Entwicklung, die Schieles Aktdarstellungen in seiner kurzen, aber unfassbar produktiven Schaffensperiode zwischen 1910 und 1918 durchgemacht haben, lässt sich kaum besser nachvollziehen. Da ist der männliche Körper anhand eines Selbstporträts mit kantigen Linien und in kauernder Körperhaltung. Da ist eine Mutter, deren Kind an ihrer Brust trinkt, oder eine alte Frau. Und, wie häufig in Schieles früheren Arbeiten, sind da junge Mädchen – ein Umstand, der einer zeitgemäßen Einordnung bedarf, wie der Begleittext der Ausstellung verrät: Dass hinsichtlich sozialer Ungleichheiten höchstwahrscheinlich Grenzen überschritten wurden, davon sei heute auszugehen.

Gefährtin Wally

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Zeit zwischen 1910 und 1912, die Schiele unter anderem in Krumau – heute Český Krumlov – und im niederösterreichischen Neulengbach verbringt. Zusammen mit der damaligen Gefährtin Wally Neuzil, die in der Periode wiederholt als Aktmodell in seinen Bildern auftritt, verbringt er dort eine Zeit, die nachträglich als seine produktivste, aber auch umstrittenste in die Kunstgeschichte eingeht.

Die Ausstellung legt nahe, dass Schieles expressionistische Nacktdarstellung ihren Ausgang weder im Frauenakt noch in der Selbstdarstellung gefunden hat – es soll der Künstlerfreund Erwin Osen gewesen sein, der 1910 als Modell für einen männlichen Rückenakt gedient hat. Ein Querschnitt durch Osens Werk ist aktuell im Museum zu sehen: Nacktheit spielt in den gezeigten Bildern nur eine untergeordnete Rolle – dessen exzentrische Lebensart, die in seinen Arbeiten deutlich wird, soll Schiele aber wiederholt als Vorbild zum neuerlichen Tabubruch gedient haben. (Caroline Schluge, 3.7.2024)