Die Spittelau ist eine spezielle Gegend. Großbauten, breite Straßen, Gleisanlagen. Viel Beton, wenig Grün, dazwischen ein Bahnhof und eine Fußgängerbrücke. Gegenüber der Hundertwasser'schen Müllverbrennungsanlage und dem retrofuturistischen Bundeskriminalamt erhebt sich das Universitätszentrum Althanstraße, dessen größten Teil die alte WU ausmacht. Geht es nach der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), der Stadt Wien und der ÖBB, wird die alte Wirtschaftsuniversität (WU) neuen Universitätsgebäuden und einer Schule weichen. "Was jetzt noch ein aus der Zeit gefallenes, schwer zugängliches und breit versiegeltes Areal ist, wird künftig zu einem hochmodernen und einladenden Uni-Campus für tausende Studierende", so Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ).

Gebäude der Wirtschaftsuniversität
Das frühere Gebäude der Wirtschaftsuniversität Wien im 9. Bezirk soll 2027 abgerissen werden.
Foto: Georg Scherer

Ein Großbau der frühen 1980er

Die alte war einmal die neue WU und das vor noch gar nicht so langer Zeit. Als die Universität nach langer Bauzeit 1982 in die Augasse übersiedelte, trafen Personal und Studierende auf ein damals topmodernes Gebäude. "Es ist als Zeichen seiner Zeit ein interessantes Stück Zeit- und Nutzungsgeschichte und Baukultur", erläutert Martin Hess vom Architekturbüro Atelierhess. Geplant wurde das Gebäude vom Wiener Architekten Kurt Hlaweniczka, der auch am Wohnpark Alterlaa mitarbeitete und etliche große Bürohäuser entwarf. Die Nutzung als Wirtschaftsuniversität währte nur 31 Jahre. Nach immer deutlicher werdenden Schwächen und dem stetig steigenden Platzbedarf wanderte die WU 2013 weiter auf den heutigen Standort beim Prater. Zurück blieb ein riesiges Gebäude, das in der Folge als Ausweichquartier für verschiedene Universitäten diente.

Die alte WU
Foto: Georg Scherer

Bausünde? Denkmal?

Wer beruflich nicht irgendwie mit Architektur zu tun hat, steht bei Gebäuden wie der alten WU leicht vor einem übergroßen Fragezeichen. Sie ist von gewohnten historischen Formen denkbar weit entfernt. Ihre Architektur spricht eine andere Sprache. Sie stellt alles nach außen: die Lüftungsrohre ragen neben dem wuchtigen Eingangsportal hervor, Kabel und Leitungen liegen offen auf Kanälen, Beton prägt weite Flächen. Die Technik selbst wird zum hart vorgetragenen Ornament.

Was sagt uns das? Ist die Architektur der alten WU erhaltenswert?, frage ich Lukas Vejnik. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Frankfurt University of Applied Sciences und forscht zur Nachkriegsarchitektur. Mir hat er sich einmal vorgestellt als jemand, der sich für Gebäude interessiert, "die andere Leute hässlich finden." Passt wie die Faust aufs Aug. Von den Abrissplänen hält Vejnik nichts. Angesprochen auf die Ästhetik weist er darauf hin, dass Nutzerinnen und Nutzer "hässlicher" Gebäude oftmals sehr zufrieden mit ihren Häusern seien. Bei Architektur müsse man unbedingt auch hinter die Fassade schauen.

Die Architektur der alten WU hat ihre Modernität nicht eingebüßt.
Foto: Georg Scherer

Könnte die alte WU relevant für den Denkmalschutz sein? Darauf antwortet Markus Swittalek, Architekt und Experte für historische Gebäude: "Der Komplex der WU in Wien ist erst einige Jahrzehnte alt. Der geringe zeitliche Abstand erschwert daher eine solide Einschätzung, ob die WU Qualitäten eines Baudenkmals aufweist. Generell werden Bauten aus dieser Zeit aus heutiger Sicht oftmals nur als alt, aber nicht als historisch wertvoll verstanden."

Mit den Abrissplänen und der fehlenden Diskussion über das Umbaupotenzial werden Ähnlichkeiten zum Heumarkt deutlich, wo das Hotel Intercontinental zugunsten eines noch größeren Baus abgerissen werden soll. In beiden Fällen lässt sich vielleicht argumentieren: Die Gebäude sind zwar nicht im klassischen Sinne "schön", aber doch für ihre Zeit repräsentativ. Zugleich sind sie nichts, das heute in einer solchen Weise wieder gebaut werden sollte. Aber auch nichts, das alleine deswegen einen Abriss verdient hat. Denn bei Gebäuden zählt mehr als nur die Optik.

Hotel Intercontinental und Alte WU: Wie gehen wir mit den alternden Gebäuden der Zweiten Republik um?
Foto: Georg Scherer

Schwächen im Inneren

Wer die WU über den Haupteingang betritt, findet sich in einer weiten Aula wieder. Ein heller Raum, ehedem voller Studierender, heute unter anderen für Ausstellungen genutzt. Der freundliche Eindruck darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bau Schwächen hat, die nicht wegzudiskutieren sind. In den Jahren vor dem Auszug der WU war die Haustechnik schon merklich veraltet. Manche Räume waren im Sommer zu kalt, andere wiederum so heiß, dass sie unbenutzbar waren. In der Aula fingen Kübel eingesickertes Regenwasser auf. Ist die Haustechnik der Untergang des Uni-Dampfers? Nein, sagt Martin Hess, der sich im Verein Allianz für Substanz für den Bestandsschutz engagiert. Das sei vielmehr eine Ausrede, denn "jedes Gebäude benötigt Wartung und Instandhaltung, sowie Erneuerung und Anpassung von Komponenten und Systemen".

Lukas Vejnik nennt als Schwächen des Baus die zahlreichen fensterlosen Räume. Das sei aber noch kein Grund für einen Abriss. Die Schwächen könnten vielmehr den Erfindungsgeist von Planerinnen und Planern wecken, die sich an einen Umbau machen, wie es etwa beim Hauptgebäude der Universität Klagenfurt geschehen ist.

Hess sieht in der Bauweise der alten WU auch Vorzüge. Das Gebäude "hat räumliche Qualitäten, die bei neuen Bauten selten anzutreffen sind – großzügige Erschließungs- und Gemeinschaftsflächen, Durchblicke über die Geschoße, Lichthöfe". Er warnt vor immer wiederkehrenden Argumenten gegen den Erhalt, die einer fachlichen Einschätzung nicht standhielten – darunter angebliche Probleme mit Brandschutz, energetischer Ineffizienz und zu hoher Sanierungskosten.

Was aber, wenn in einem Gebäude gesundheitsgefährdender Asbest steckt? Dann muss er meist ohnehin entfernt werden – gleich ob Sanierung oder Abriss. Im Falle der alten WU ist Asbest kein übermäßiges Problem, wie im Magazin der Bundesimmobiliengesellschaft zu lesen ist, denn derzeit sei "der Asbest gut isoliert und daher völlig unbedenklich". Asbest beschränke sich auf Brandschutztüren und Teile der Fassade.

Aula der alten WU.
Foto: Georg Scherer

Ressourcen erhalten statt verschwenden

Abriss und Neubau war lange der unangefochtene Standard. Neuer, besser, größer ist oft heute noch die Devise. Die alte WU wäre einer der größten Abrisse eines öffentlichen Gebäudes der letzten Jahre. Auch dem ehemaligen Biologiezentrum der Uni Wien, das direkt neben der alten WU liegt, soll es an den Kragen gehen. Wie schon bei der Diskussion um ein Gebäude der Arbeiterkammer im vierten Wiener Gemeindebezirk, dreht sich auch bei der alten WU alles um die Ressourcenfrage. "So wird das nichts mit der Vorreiterrolle für eine nachhaltige und klimabewusste Planungskultur", kritisiert das Architekturmagazin GAT. "So wird es nichts mit dem Abschied vom CO2-Verschleudertrauma, das Österreichs Städte und Gemeinden schon länger mit sich herumschleppen."

Mit jedem Abriss gehen in Gebäuden verbaute Ressourcen verloren. Die Fachwelt spricht von "grauer Energie", die untrennbar mit dem CO2-Ausstoß verbunden ist. Sie umfasst auch die für den Abbau der Rohstoffe und den Bau des Gebäudes benötigte Energie. Daher sollten – dem Architekturhistoriker Barnabas Calder folgend – die CO2-Kosten für Abriss und Neubau gegen die möglichen Energieeinsparungen abgewogen werden, die sich durch die Modernisierung des bestehenden Gebäudes erreichen lassen. Vereinfacht gesagt: moderne Dämmung, neue Fenster und Haustechnik, neue Raumanordnung und eventuell eine Aufstockung auf der einen Seite – alles abreißen und alles neu bauen auf der anderen Seite. Was spart mehr Ressourcen, ist also nachhaltiger?

"Klimafreundliches Bauen" als Greenwashing?

Ab 2027 soll die alte WU abgerissen werden. Erhalten bleiben sollen Teile der darunterliegenden Konstruktion. Die angekündigten Neubauten sollen alle Stückchen spielen. Nach dem Abriss soll mit dem Campus Althangrund ein "Leuchtturmprojekt für klimafreundliches Bauen" entstehen. Dabei gehe es um "Klimareparatur". Beim Bau des neuen Uni-Campus würden "Bestandsnachnutzung, Kreislauffähigkeit und ressourcenschonender Einsatz von Baumaterialien" im Mittelpunkt stehen, ebenso Recycling. Der Abbruch von Gebäuden sei aus technischen Gründen nötig. Mindestens eine Milliarde Euro werde investiert.

Das ausgefeilte Marketing verdeckt den mit diesen Plänen verbundenen Verbrauch beziehungsweise die Verschwendung von Rohstoffen und den als "Teilrückbau" verschleierten Abriss. Was sind eigentlich genau die behaupteten technischen Gründe, die einen Umbau unmöglich machten?

Das Gelände soll künftig als Standort für die Universität für Bodenkultur, die Universität Wien und für eine Bundesschule dienen. Dass mit der Boku eine Institution an Bord ist, die eine Vorreiterrolle bei Umwelt, Klima und Ressourcen einnimmt, verwundert Martin Hess: "Wie kann ausgerechnet die Universität für Bodenkultur eine Übersiedlung in ein Abriss-Neubau-Projekt in Betracht ziehen, bei dem alleine die Errichtung zehntausende Tonnen CO2 unwiederbringlich in die Atmosphäre emittieren wird? Dabei ist der Aufwand des Abbruchs und der Deponierung und der Niedergang wertvoller grauer Energie gar nicht berücksichtigt."

Die alte WU wird abgerissen, nur Teile der "Platte" darunter bleiben erhalten.
Foto: Georg Scherer

Was sich umbauen lässt

Anstatt neu zu bauen, lassen sich bestehende Gebäude auch adaptieren und erweitern. Mit Adaptive-Reuse-Konzepten werde auch an alte Zeiten angeknüpft, so Vejnik, denn Umbau war jahrhundertelang der Normalfall. Noch heute finden sich uralte Gebäudereste in Bauwerken, die zum größten Teil in viel späteren Epochen errichtet wurden. Wer sich aufmerksam in alten europäischen Städten umsieht, wird an manchen Gebäuden zuweilen auffällige Unregelmäßigkeiten erkennen: nachträglich eingebaute oder zugemauerte Fenster, aufgesetzte Stockwerke, inkonsistenter Fassadendekor. Das sind die sichtbaren Zeichen der Umbauten vergangener Zeiten.

Umbau und Sanierung heißt keineswegs, dass alles so bleibt, wie es ist, schildert Hess: "Bestand darf auch tiefgreifend verändert werden. Wir müssen lernen, die räumlichen und organisatorischen und technischen Ressourcen zu erkennen und mutig und kreativ sein, so viele Teile wie möglich zu erhalten." Es brauche zudem technische und rechtliche Regelungen, die Umbau und Sanierung von Bestandsgebäuden erleichtern. Nur so könnten, so Hess, die in Zukunft so wichtigen Nutzungsänderungen und Transformationen des Baubestandes gelingen.

Wie ein Umbau aussehen kann, lässt sich am Franz-Josefs-Bahnhof beobachten, gleich neben der alten WU. Das Bürohaus über dem Bahnhof wird umgebaut, die grundlegende Konstruktion bleibt zum Teil erhalten.

Das Gebäude über dem Franz-Josefs-Bahnhof wird umgebaut.
Foto: Georg Scherer

Der Wert des Bestands

Auch ein Vergleich mit dem Alten AKH drängt sich auf. Das ehemalige Spital im 9. Bezirk wird seit 1998 als Unicampus genutzt. Vorangegangen waren eine Sanierung und einige Neubauten. Ohne Denkmalschutz wäre es dazu wohl nie gekommen. Ein typischer Einwand hätte sein können: Warum soll man niedrige, schlichte und alte Bauten in einer so zentralen Lage erhalten? Warum nicht alles wegreißen und größer neu bauen? Genau das ist jetzt für die alte WU geplant. Da es analog zum Denkmalschutz keinen Bausubstanz-Schutz gibt, fehlt das konservierende Gegengewicht.

Alles schon fix?

Im März dieses Jahres wurde das Neubauprojekt am Althangrund vorgestellt. Das kam ziemlich plötzlich. Wenn im Sommer schon der städtebauliche Wettbewerb startet und nächstes Jahr ein neuer Flächenwidmungsplan im Gemeinderat beschlossen wird, ist eine breite Diskussion ganz offensichtlich nicht erwünscht. Damit berauben sich die Projektbetreiber – allesamt öffentliche beziehungsweise im Staatsbesitz stehende Akteure – der Option, ein ergebnisoffenes Verfahren an den Start zu setzen. Eines, das auch Erhalt, Umbau und Ausbau als Möglichkeit vorsieht.

Für Gebäudekomplexe wie die alte WU schlägt Markus Swittalek, der auch Vorsitzender des interdisziplinären Ausschusses Historische Gebäude in der Ziviltechnikerkammer ist, ein Wettbewerbsverfahren vor. Es müsse darum gehen, optimale Lösungen zu finden, wie die bestehende Konstruktion für die künftige Nutzung angepasst werden könnte: "Die Potenziale eines Bestandsgebäudes sind sorgfältig zu untersuchen und zu bewerten. Faktoren wie Konstruktion, Grundrissgestaltung, baulicher Zustand, graue Energie – je länger die Lebensdauer, desto günstiger – oder Nachhaltigkeit spielen dabei eine zentrale Rolle."

Bei der alten WU geht es immerhin um zehntausende Tonnen Stahl und Beton. Sollte der Staat nicht in Bezug auf Sanierung und Klimaschutz eine Vorbildfunktion gegenüber privaten Immo-Entwicklern einnehmen? Die grundlegende Schwierigkeit des Areals wird sich ohnehin weder mit einem Umbau noch mit einem Neubau beheben lassen: Die alte WU steht auf Gleisen der ÖBB und einer Garage. Der Bahnhof wird nicht verschwinden. Die aufgeständerte Bauweise erschwert eine umfassende Entsiegelung. Was an Begrünung möglich ist, kann auch im Neubau nur durch Aufschüttung von Erdreich und viel künstliche Bewässerung erkämpft werden.

Nutzung: Der eigentliche Faktor

Aktuell ist die alte WU alles andere als leer. Büros, Ateliers und Studios sind in der ehemaligen Universität untergebracht, ebenso eine Volkshochschule und Institute der Akademie der bildenden Künste. Die räumliche Großzügigkeit, bauliche Robustheit und Flexibilität des Gebäudes lassen Carina Sacher, Mit-Initiatorin der Allianz für Substanz, weiterdenken. Sie schlägt vor, die alte WU dauerhaft für flexible Nutzungen zu öffnen und mit den geplanten Universitäten zu vereinen: "Die Stadt Wien wird in den nächsten Jahrzehnten hauptsächlich umbauen und benötigt dafür Raumschwämme, die Nutzungen mit großem Raumbedarf immer wieder aufnehmen können." Dass die alte WU nie länger leer stand, sieht Vejnik als positive Voraussetzung für ein Weiterbauen. Als Vorbild nennt er das Haus der Statistik in Berlin. Das Hochhaus aus den 1960ern wird während laufender Zwischennutzung in Etappen saniert.

Die alte WU wird derzeit zwischengenutzt – unter anderem vom Institut für Konservierung-Restaurierung der Akademie der bildenden Künste.
Foto: Georg Scherer

Wie viel Fläche muss sein?

Der neue Campus Althangrund soll 150.000 Quadratmeter Nutzfläche umfassen. Viel mehr als die alte WU. Warum braucht es plötzlich so viel zusätzliche Fläche? Was passiert mit den Flächen, die durch die Übersiedlung anderswo frei werden? Wird es dort künftig zu Abrissen kommen?

Entscheidend ist, dass der tatsächliche Flächenbedarf genau geprüft wird. Gebäude können auch von mehreren Institutionen gleichzeitig genutzt werden. Vielleicht wird doch weniger Fläche benötigt, wodurch Ressourcen und Kosten gespart werden können? Könnte mit dem Erhalt, Umbau und der Erweiterung der alten WU doch noch "ein Pilotprojekt für Transformation und Bestandsnutzung mit EU-weiter Strahlkraft entstehen", wie es Sacher vorschwebt? (Georg Scherer, 4.7.2024)