Ein Turm aus Burgern steht vor einem Mann mit Besteck in der Hand, sein Gesicht ist von dem Burgerturm verdeckt. Er trägt ein kariertes Hemd, der Hintergrund ist gelb.
Man spürt nicht, dass man eigentlich schon satt ist – das kennen viele übergewichtige Menschen. Jetzt wurde die Gehirnregion identifiziert, in der das satte Gefühl entsteht.
Getty Images/iStockphoto

Es geht um das Gefühl, satt zu sein. Genau das funktioniert nämlich oft nicht richtig bei Menschen, die zu Übergewicht oder auch Adipositas neigen. Der Körper sendet die Signale, dass es jetzt genug ist, nicht richtig, oder die Menschen können sie nicht wirklich wahrnehmen – erst das übervolle Gefühl nach dem Essen ist ein Hinweis darauf, dass es zu viel war. Wie dieser Signalweg prinzipiell funktioniert und warum er bei so manchen aus dem Takt gerät, können Sie hier und hier nachlesen.

Genau in diesen Kreislauf greifen Medikamente zu Gewichtsabnahme und Stoffwechselregulierung ein, wie Wegovy, Ozempic oder Saxenda. Jene, die sie einnehmen, fühlen sich oft schon recht satt, wenn sie sich zum Essen hinsetzen – obwohl sie noch keinen Bissen gegessen haben, das erzählen viele, die mit dem Mittel bereits Erfahrung haben. Das liegt an einer ganz bestimmten Gehirnregion, die Forschende nun identifiziert haben, berichtet das Magazin Nature. Die Studie ist soeben im Journal Science erschienen.

Satt ohne zu essen

Es gibt prinzipiell zwei Arten von Sättigung, sagt man: eine erwartete – essen macht einen nun einmal satt – und eine, die als Reaktion auf die zu sich genommenen Speisen entsteht. Das hängt etwa davon ab, wie viele Kalorien die Speise enthält oder wie hoch der Fettgehalt ist. Beide Arten von Sättigung scheinen in der gleichen Region des Hypothalamus verortet zu sein, das zeigt zumindest die Studie. Genau dort dürften auch Medikamente wie Ozempic oder Saxenda eingreifen. Und weil Hyung Jin Choi, Neurowissenschafter an der Seoul National University und Co-Autor der Studie, die Wirkung der Stoffwechselmedikamente am eigenen Leib erfahren hatte, wollte er sich mit dem Thema genauer auseinandersetzen.

"Wenn ich Essen gesehen oder gerochen habe, fühlte ich mich schon viel satter, obwohl ich noch gar nichts konsumiert hatte", beschreibt Choi die Wirkung des Stoffs Liraglutid, der bei seiner Behandlung eingesetzt wurde. In Österreich wird Liraglutid unter dem Markennahmen Saxenda vertrieben, in den Medikamenten Ozempic und Wegovy ist der Wirkstoff Semaglutid in unterschiedlicher Konzentration enthalten, der praktisch gleich wirkt. Beide kommen vom Pharmaunternehmen Novo Nordisk.

Um dieses Gefühl genauer zu erkunden, rekrutierten Choi und seine Kollegen übergewichtige Menschen und baten sie, ihr Sättigungsgefühl in drei Stufen anzugeben: vor dem Essen, bei Anblick eines Tellers voll mit koreanischem Hühnchen, aber noch bevor sie einen Bissen konsumiert hatten, und nach dem Essen. Die Ergebnisse zeigen, dass Choi nicht der Einzige ist, der sich mit dem Medikament bereits beim Anblick von Essen satter fühlt. Jene an der Studie Teilnehmenden, die Liraglutid einnahmen, hatten schon vor dem Essen ein eher sattes Gefühl, das sich weiter verstärkte, wenn ihnen Essen gezeigt wurde, und seinen Höhepunkt nach dem tatsächlichen Essen erreichte.

Bei jenen Teilnehmenden, die das Medikament nicht einnahmen, verhielt es sich umgekehrt. Ihr Sättigungsgefühl nahm sogar ab, wenn sie das frittierte Hühnchen erblickten, und stieg erst nach dem Essen wieder an.

Im Stammhirn

Nun ging es darum, jenen Bereich im Gehirn zu identifizieren, wo das passiert. Dafür experimentierten die Forschenden mit Mäusen. Die Spur führte zum dorsomedialen Hypothalamus, einem Bereich im Zwischenhirn, das wiederum zum Stammhirn gehört. Dort befinden sich Neuronen, die über GLP-1-Rezeptoren verfügen. GLP-1 ist jenes Hormon, das das Hungergefühl unterdrückt – und das die Wirkstoffe in den Medikamenten simulieren. Genau in diesem dorsomedialen Hypothalamus stimulierten die Forschenden Neuronen, während die Mäuse fraßen. Das Ergebnis: Die Mäuse hörten sofort auf zu fressen.

Die Neuronen teilten sich wiederum in zwei Unterarten auf: Eine war ab dem Zeitpunkt aktiv, zu dem die Mäuse mit der Nahrungssuche begannen, bis zu dem Moment, in dem es ans Fressen ging. Die andere Art war nur während des Fressens, da aber durchgehend, aktiv. Und hier stellten die Forschenden fest: War die erste Art der Neuronen dauerhaft aktiviert, fraßen die Mäuse insgesamt weniger. Waren diese dauerhaft gehemmt, fraßen sie mehr.

Das Spannende: Schon früher hatte man die Neuronen in diesem Bereich untersucht und konnte keine frühere Sättigung feststellen. Nun hat man festgestellt, dass es eben zwei Arten von Neuronen gibt, deren unterschiedliche Signale den entscheidenden Unterschied machen.

Unter Medikamenteneinfluss

Nun erhielten manche Mäuse Liraglutid, und es zeigte sich, dass die neuronale Aktivität in dieser Region vor und während der Mahlzeit höher war als bei jenen Tieren, die kein Medikament erhielten. Mäuse wiederum, bei denen die Rezeptoren der Neuronen gelöscht wurden, fraßen insgesamt mehr als jene, bei denen die GLP-1-Rezeptoren funktionierten.

Das Mausexperiment zeigt, dass die Beobachtungen beim Menschen, dass es zwei Arten von Sättigungsgefühl gibt, stimmt. "Die Studie zeigt ganz klar eine Übereinstimmung. Solche klinischen Beobachtungen sind eine wichtige Grundlage für die Forschung zu GLP-1-Medikamenten", sagt Amber Alhadeff, Neurowissenschaftlerin am Monell Chemical Senses Center in Philadelphia, Pennsylvania, dazu.

Was es jetzt zu klären gilt: Warum sind diese Rezeptoren bei manchen Menschen nicht von Haus aus aktiv? Und gäbe es eine Möglichkeit, diese auch ohne Medikamente zu stimulieren? Die Forschung zeigt außerdem einmal mehr, dass Übergewicht und Adipositas oft keine Folge von mangelnder Willenskraft sind. Sättigung entsteht im Gehirn, und diese neuronale Aktivität gilt es in weiteren Untersuchungen genauer zu erforschen. Möglicherweise ist das der Schlüssel zu individualisierten, noch passgenaueren Therapien. (kru, 3.7.2024)