Vielen Menschen beginnt zu schwanen, dass in Europa und den USA Jahre rechtslastiger, wenn nicht rechtsextremer Politik bevorstehen – es sei denn, mit Gegenwehr und entsprechendem Zusammenhalten der demokratischen Kräfte. Darauf ließ in Europa zuletzt das Ergebnis des ersten französischen Wahldurchgangs schließen, aus dem der Rassemblement National als stimmenstärkste Partei hervorging. Sowie in den USA der Verlauf des Präsidentschaftswahlkampfs zwischen Joe Biden und Donald Trump.

Ex-Botschafter Weiss war Montagabend zu Gast bei Armin Wolf in der
Ex-Botschafter Weiss war Montagabend zu Gast bei Armin Wolf in der "ZiB 2".
Screenshot: ORF On

Martin Weiss jedoch, Ex-Botschafter Österreichs in den USA und nunmehriger Präsident des Salzburg Global Seminar, begegnete den diesbezüglichen transatlantischen Entwicklungen im ZiB 2-Interview mit betontem Understatement. In den USA laufe "momentan alles gut für Trump", bilanzierte er im Gespräch mit Armin Wolf mehrmals nüchtern.

"Stolz, ein Amerikaner zu sein"

Konkret seien nach dem missglückten Auftritt Bidens beim TV-Duell, bei dem der amtierende Präsident heiser und gebrechlich wirkte, "Trumps Chancen deutlich gestiegen", erläuterte er. Und was das Votum des Supreme Court betrifft, laut dem ein US-Präsident für eine offizielle Amtshandlung nicht mehr vor Gericht zitiert werden kann: "Trump hat sich über dieses Urteil riesig gefreut. Er sagte, er sei stolz, ein Amerikaner zu sein", erläuterte der Diplomat.

Aber habe der Supreme Court mit seinem Spruch von Montag nicht allen US-Präsidenten – und damit auch Trump – Rechte verliehen, die sie weit über alle anderen US-Bürgerinnen und -Bürger stellten, "so wie einen König"?, fragte Wolf. "So ist das nicht", berief sich Weiss auf die Erklärung des Supreme Court: "Nicht alles, was ein Präsident tut, ist offiziell." Die Sache sei nunmehr aber entschieden: "Es war eine Mehrheit. Sechs zu drei Höchstrichter", sagte Weiss.

"ZiB 2": Ex-Botschafter in den USA zum Trump-Urteil.
ORF

Mär von der gestohlenen Wahl

Nun ist aufgrund besagten Höchstrichterspruchs ein Prozess gegen Trump wegen seiner Verwicklung in den Kapitol-Sturm am 6. Jänner 2021 noch vor den Novemberwahlen höchst unwahrscheinlich geworden: ein Gerichtsgang, der wohl einiges zur Klärung der Verhältnisse beitragen würde – hat Trump damals doch zu den Ausschreitungen aufgerufen, weil er völlig faktenwidrig behauptete (und es bis heute weiter tut), die Wiederwahl sei ihm gestohlen worden.

Habe die höchstrichterliche Mehrheitsmeinungsbildung nicht auch damit zu tun, dass drei der Richterinnen und Richter als extrem Konservative von Trump nominiert wurden, was die rechtslastige Mehrheit von sechs zu drei Senatsmitgliedern erst festschrieb? – entgegnete Wolf, der in diesem Gespräch als Fragensteller in die Rolle des Kritikers geriet.

"Wenn Sie die sechs konservativen Richter fragen würden, ob sie derlei Entscheidungen treffen, um Donald Trump einen Gefallen zu tun, würden sie das von sich weisen", antwortete Weiss. Doch natürlich sei auch ein Richter – oder eine Richterin – nur ein Mensch. Weiss' Vertrauen in die Haltbarkeit der US-amerikanischen Demokratie ist offensichtlich stark, was derzeit wahrlich nicht alle so sehen. (Irene Brickner, 2.7.2024)