Starchoreografin in der Kritik: Anne Teresa De Keersmaeker.
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Schnell ist in Belgien die Berichterstattung über Kritik an der Art, wie die belgische Starchoreografin Anne Teresa De Keersmaeker ihre Kompaniemitglieder behandelte, aus den Fugen geraten. Am 29. Juni hieß es in einem Kommentar der Brüsseler Tageszeitung De Standaard über die Begegnung des Autors mit De Keersmaeker: "Mein erster Eindruck war: Diese Frau kann mit ihren Augen kotzen. Ihre Augen haben nicht gesprochen, sie haben erbrochen."

Diese subjektive Einschätzung des Schriftstellers Christophe Vekeman ist nicht illegitim, aber sie schrammt wohl sehr knapp am Genre der Hassrede vorbei. Trotzdem müssen die dahinterliegenden Beschwerden definitiv ernst genommen werden. De Keersmaeker (64) wird ein "toxischer Führungsstil" vorgeworfen. Sie verhalte sich gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, besonders auch Tänzerinnen und Tänzern, "unvorhersehbar", "autoritär" und "passiv-aggressiv". Beklagt wird ein von ihr verbreitetes "Klima der Angst" und der Demütigung.

Außerdem habe sich die Choreografin während der Pandemie als Corona-Leugnerin erwiesen, sie soll eine "Verschwörung der Pharma-Industrie" gewittert, Tests und Schutzmaßnahmen umgangen haben. Die Kritik an der Künstlerin wurde vor rund einer Woche publik, und sie schlägt hohe Wellen in Belgien, wo De Keersmaeker, die regelmäßig und auch beim (kommende Woche startenden) Impulstanz-Festival zu Gast in Österreich ist, zu den identitätsstiftenden Kulturgrößen zählt.

"Bedenken" wegen "Wohlbefindens"

Auf der Website von De Keersmaekers Kompanie Rosas findet sich nun ein Statement, in dem es heißt, man nehme diese Angelegenheit sehr ernst. Es sei wahr, dass "in der Vergangenheit Bedenken hinsichtlich des Wohlbefindens" von Mitarbeitenden "an die Geschäftsleitung" der Kompanie und "an den Vorstand gemeldet wurden".

Rosas wird von der flämischen Regierung mit 1,7 Millionen Euro mitfinanziert, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung in der Causa schreibt. Die Corona-Krise mit all den Absagen von internationalen Auftritten stieß die Kompanie in veritable Schwierigkeiten: 2022 fuhr sie angeblich ein Defizit von beinahe 400.000 Euro ein, daraufhin wurde das Management umstrukturiert.

Zu dieser Zeit kursierte bereits ein Papier mit Beschwerden, eine externe Mediatorin wurde gerufen. Es gab personelle Abgänge sowohl auf der administrativen als auch auf der künstlerischen Ebene. Im Jahr 2023 wurden einige Tänzerinnen und Tänzer arbeitslos gemeldet, weil die Kompanie zu wenige Vorstellungen hatte, um sie zu beschäftigen.

Kein Kommentar

Noch dazu beendete Anne Teresa De Keersmaeker laut einem Bericht des Webzines Dance Context ihre Zusammenarbeit mit ihrem Mäzen und Berater Kees Eijrond, der Rosas seit den 1980er-Jahren unterstützt hatte. Nähere Informationen zu diesem vermutlich folgenreichen Zerwürfnis sind noch ausständig.

Die Choreografin selbst wollte die Situation nicht kommentieren. In einer Recherche von De Standaard, die eine Woche vor dem eingangs zitierten Kommentar publiziert wurde, betonten die Beschwerdeführenden, sie seien der Kompanie dankbar und wollten nur, dass De Keersmaekers "problematisches Verhalten ein Ende findet". (Helmut Ploebst, 1.7.2024)