Den ersten Jahrestag der Einstellung der republikseigenen Wiener Zeitung als gedruckter Zeitung nimmt der Verein der Freunde der Wiener Zeitung zum Anlass für Kritik an der Maßnahme der Regierungsmehrheit von ÖVP und Grünen sowie Kritik am digitalen Nachfolgemedium WZ.at, das von der Republik mit 7,5 Millionen Euro finanziert wird. Schauspieler Cornelius Obonya ist Vizepräsident des Vereins, er protestierte Montag in einer Aussendung gegen "diverse digitale Produkte, die sich zum Teil mit angenommener Jugendsprache an ein junges Publikum anbiedern". Wörtlich ist dort von "Schmalspurkost statt Qualitätsmedium" die Rede.

Protestiert gegen Einstellung der "Wiener Zeitung" vor einem Jahr: Cornelius Obonya, hier bei einer Kundgebung der Jüdischen österreichischen Hochschüler.
APA Georg Hochmuth

"Eingestampft"

"Jugendliche lesen eigentlich gerne Zeitung – wenn man ihnen eine gute in die Hand gibt. Daraus, unter anderem, entwickeln sie die Sprache des späteren Lebens", wird Schauspieler Cornelius Obonya in der Aussendung des Vereins zitiert. Die damals älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt sei kurz vor ihrem 320. Geburtstag "würdelos auf Beschluss der Bundesregierung eingestampft" worden, erinnert der Verein. Auch der alte Webauftritt unter wienerzeitung.at sei in der bisherigen Form verschwunden, zwei Drittel der Journalistinnen und Journalisten habe die Wiener Zeitung GmbH "vor die Türe gesetzt". "Eine für den Eigentümervertreter, das Bundeskanzleramt, unbequeme Redaktion wurde zerschlagen", schreibt der Verein. Präsidentin des Vereins ist die frühere Concordia-Geschäftsführerin und ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Wiener Zeitung GmbH, Astrid Zimmermann.

Die jüngsten Aussagen von Wiener-Zeitung-Geschäftsführer Martin Fleischhacker, auf dessen Konzepten die Einstellung in alter Form und der digitale Neustart mit insgesamt 16,5 Millionen Euro Finanzierung aus dem Bundesbudget für WZ.at, für ein Media-Hub unter anderem für Journalismusausbildung sowie für eine Verlautbarungsplattform des Bundes basieren, erzürnen den Verein. Fleischhacker sprach von einer "klar positiven Bilanz" nach einem Jahr. Die alte Wiener Zeitung finanzierte sich größtenteils aus Pflichtinseraten etwa von börsennotierten Unternehmen.

Der Verein wirft Fleischhacker vor, die Nutzungszahlen von WZ.at zu "schönen". Wienerzeitung.at und Wiener Zeitung in alter Form hätten "höhere Leserzahlen" gehabt, schreibt der Verein. Die Daten lassen sich von außen schwer nachvollziehen. Die gedruckte Wiener Zeitung beteiligte sich weder an der branchenüblichen Reichweitenstudie Media-Analyse noch an der Österreichischen Auflagenkontrolle. WZ.at findet sich nicht in der branchenüblichen Nutzungserhebung Österreichische Web-Analyse, ähnlich verhielt es sich mit Wienerzeitung.at.

Die Argumentation von ÖVP und Grünen mit Verweis auf Nutzungszahlen von WZ.at lässt Obonya in der Aussendung nicht gelten, es gehe nicht um "Gefallsucht per Mausklick", sondern um Qualitätsjournalismus. WZ.at veröffentlichte seit dem Start mehrere vielfach zitierte Recherchen etwa über Umwidmungen von Bürgermeistern und öffentliche Werbebuchungen.

Rückkehr und Ende des "politischen Würgegriffs"

Obonya und die "Freunde der Wiener Zeitung", darunter Josef Hader und Robert Menasse, setzen sich für die "Rückkehr eines Qualitätsmediums mit entsprechendem Onlineauftritt" ein. "Wir brauchen in Zeiten von gezielter Desinformation ein öffentlich-rechtliches Medium als Gegengewicht und keine journalistische Schmalspurkost auf Tiktok", wird Obonya zitiert.

Zuletzt sprach auch SPÖ-Chef Andreas Babler von seinem Vorhaben, in Regierungsverantwortung die Wiener Zeitung wiederzubeleben.

Als weiteres zentrales Anliegen nennt der Verein, die Wiener Zeitung "aus dem politischen Würgegriff zu befreien". "Das Medium steht im Eigentum der Republik, gehört somit allen Bürgerinnen und Bürgern und nicht der ÖVP", lässt Obonya verlauten. Geschäftsführer und alle Aufsichtsräte bis auf die Belegschaftsvertreter der Wiener Zeitung GmbH seien "von der ÖVP nominiert".

Der Job des Geschäftsführers der republikseigenen, dem Bundeskanzleramt zugeordneten Wiener Zeitung GmbH steht zur Verlängerung an, die Ausschreibung klingt nach Verlängerung von Martin Fleischhacker in der Funktion. Ausgeschrieben ist der Job für fünf Jahre von 1. September 2024 bis 31. August 2029. (fid, 1.7.2024)