Das große Mural erinnert an den berühmtesten Buben des Grätzls.
Lea Sonderegger

Argentinien hat Rosario. Aus der Industriestadt kommen die größten Kicker des Landes, Javier Mascherano, Angel di Maria oder Lionel Messi. Rosario gilt als Wiege des Weltfußballs.

Um ins Rosario Österreichs zu gelangen, braucht es lediglich 2,40 Euro für einen Öffi-Fahrschein - und etwas Geduld. Man nimmt die U2 Richtung Donaustadt, es geht in den Osten Wiens. Hier beginnt eine andere Welt. Die Gebäude werden niedriger, die Gehsteige breiter, ab dem Prater wird es immer grüner, das Stadtbild mutiert immer mehr zum Landschaftsbild, langsam beginnt der Speckgürtel. Es gibt weniger Getöse, weniger Menschen, kein Gedränge, bei den Trafiken sind die Inhaber ausgeschildert, weiter südlich kann man am Straßenrand bei einem Stand Erdbeeren kaufen. Die Ausnahme ist die U2-Station Donauspital. Der Name ist hier Programm, der mächtige Krankenhauskomplex wirkt wie eine Erinnerung: "Du bist hier nach wie vor in einer Millionenstadt!"

Wenn die Laternen angingen, war das das Zeichen, nach Hause zu gehen
Lea Sonderegger

Durch das Stadtbild Rosarios ziehen sich Graffiti und Murals, die Superstar Messi zeigen und an seine Erfolge und seine Verbundenheit mit der Stadt und deren Einwohnern und Einwohnerinnen erinnern. Auch im Rosario Wiens, in der Donaustadt, erinnert ein großes Mauerbild an den berühmtesten Sohn der Gegend und des Grätzels. Wir befinden uns in der Langobardenstraße 170, die Seite des gelben Gebäudes zeigt David Alaba im Österreich-Trikot vor dem Hintergrund des Ernst-Happel-Stadions.

Nicht der einzige Star der Gegend

Der Weg daran vorbei führt in den Siedlungskomplex, in dem Alaba mit seiner Familie gewohnt hat und aufgewachsen ist. Hier in der Siedlung kickte Österreichs Superstar die ersten Bälle. Bevor die große Karriere startete, bevor er mit den Bayern und mit Real Madrid die Champions League gewann, bevor er zum besten Fußballer Österreichs aller Zeiten wurde. Es ist kein Geheimnis, dass die Familie Alaba hier verwurzelt ist.

Auch Jasmin Eder wuchs in der Donaustadt auf.
APA/GEORG HOCHMUTH

Etwas weniger bekannt ist aber, dass neben dem 31-jährigen Real-Star noch mehr prominente Fußballer ihren Ursprung in den grauen, weitläufigen Siedlungen hat: Jasmin Eder, ehemalige ÖFB-Nationalteamspielerin, wuchs nur einen Freistoß von den Alabas auf, ging auf dieselbe Schule wie David. Auch an einem fast schon mystischen Ort innerhalb der niedrigen Siedlungsmauern trafen sie immer wieder aufeinander: auf der großen Wiese.

Der Wert der Wiese

Wenn die 31-Jährige, wie an diesem sonnigen Tag im Juni, durch die Anlage führt, führt sie auch durch ihre eigene Geschichte, die Vergangenheit der Gegend - aber auch durch ihre Kindheit, ihre Schulzeit und eine Zeit, in der es noch lange nicht normal war, dass Mädchen Fußball spielen: "Ich war oft das einzige Mädchen, das kickte, hier im Hof, aber auch auf der großen Wiese." Die große Wiese war der Treffpunkt für die Kids der Anlage, sie war das Epizentrum für die Kinder, die auf Torjagd gehen wollten oder einfach nur herumtollten.

"Für die Eltern war es ideal: Um zur Wiese zu gelangen, musste man über keine Straße", erzählt Eder heute. Während des Gesprächs grüßt sie einen Mann, der gerade sein Fahrrad schiebt. Es ist selbstverständlich, eine komplette Anonymität wie in der Innenstadt gibt es hier nicht. Man kennt einander, man grüßt einander, tauscht kurzen Smalltalk aus.

Der Wert der Wiese

Auch für David Alaba war die große Wiese ein Bezugspunkt, ein Ort des Vertrauens. Sein Vater George erzählt in einer Dokumentation über das Leben seines Sohnes: "Wenn ich nach Hause gekommen bin und nur Davids Schultasche gesehen habe, wusste ich, wo er war. Und ich musste mir keine Sorgen machen." Noch heute stehen auf der großen Wiese zwei Fußballtore aus grauem Metall, der grüne Zaun geht Erwachsenen bis zum Bauchnabel, das Schild mit "Hundeverbot" prangt mahnend an der Eingangstür.

"Eigentlich ein Wahnsinn, wie man hier kicken konnte", erinnert sich Eder schmunzelnd und zeigt auf die vielen Unebenheiten auf dem Boden, die Wiese ist nicht gemäht. Es war ihnen wurscht. Und es ist wohl auch den Kindern heute wurscht. Noch tummelt sich niemand auf dem weiten Feld, das liegt wohl daran, dass in der Schule ums Eck noch Unterricht ist. Später wird sich das ändern.

Virginia Kirchberger (re.) ist aktuelle Teamspielerin.
AFP/WOJTEK RADWANSKI

Gekickt wurde damals nicht nur auf der Wiese. Die vielen Grünfelder boten Möglichkeiten zur Improvisation: "Es wurde fast überall gespielt. Wenn die Laternen angingen, war das das Zeichen, nach Hause zu gehen", sagt Eder. Und: "Und da drüben auf der Hinterseite ist übrigens Gini aufgewachsen." Neben Alaba und Eder stammt nämlich auch noch Virginia "Gini" Kirchberger aus dem Grätzel, sie ist aktuelle Nationalteamspielerin Österreichs, hat jahrelang im Ausland gekickt. Sie besuchte den gleichen Kindergarten wie Alabas Schwester Rose May. Im Gegensatz zu Alaba und Eder führte ihr Weg an den Ball aber nicht unmittelbar über die große Wiese: In ihrer Kindheit war Kirchberger Balletttänzerin, erst wesentlich später fand sie zum Fußball: "Ich wollte etwas Neues ausprobieren und bin mit zwölf Jahren mit den Burschen meiner Klasse zum SV Aspern gegangen."

Erinnerungen beim SV Aspern.
hagenauer

Zukunftsreich

Auf der Anlage des SV Aspern erinnern Graffitis an den berühmtesten Buben, der jemals für den Verein gespielt hat. An der Hausmauer eines Gebäudes blickt Alaba auf das Kunstrasenfeld, der Klub kickt in der Oberliga B, Unterhaus Fußball. Zur großen Wiese hinüber sind es nur ein paar Gehminuten. Und wer weiß, vielleicht zielt dort gerade jetzt ein Kind aufs Tor, dem eine große fußballerische Zukunft bevorsteht. Die Chancen stehen nicht schlecht. (Andreas Hagenauer, 2.7.2024)