Frau, die offensichtlich an Krebs erkrankt ist (Glatze), sitzt in Sportkleidung auf dem Boden und dehnt nach dem Laufen.
30 bis 60 Minuten einfaches Training können schon reichen, um bleibende Nervenschäden, die eine Chemotherapie auslösen kann, zu verhindern.
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Erkrankt man an Krebs, ist nicht nur die Krankheit selbst potenziell extrem belastend. Auch die Behandlung ist für viele sehr anstrengend, da sie oft schwere Nebenwirkungen mit sich bringt. Eine Chemotherapie etwa geht häufig mit Übelkeit bis hin zum Erbrechen, Brainfog und auch Nervenschmerzen einher – ganz abgesehen von Nebenwirkungen wie Haarverlust. Immer wieder hört man, dass Sport beziehungsweise ein gewisses Maß an Bewegung die Nebenwirkungen bessert. Doch viele fühlen sich einfach zu schlapp, um gezielt Bewegung zu machen.

Doch eine positive Nachricht kann das vielleicht ändern. Denn soeben wurde eine Studie publiziert, die zeigt, dass gezielter Sport gegen die Nebenwirkungen von Krebstherapien wie Chemo- oder Immuntherapie helfen kann. Ganz konkret: Spezifische Trainingseinheiten beugen in vielen Fällen Nervenschäden und damit auch bestimmten Schmerzen, nämlich einer Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie, kurz CIPN, vor. Das hat ein Forschungsteam unter der Leitung der Universität Basel gezeigt. Die Studie ist in der Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine erschienen.

Solche Nervenschäden sind tatsächlich ein weitverbreitetes Problem bei Chemotherapien, vor allem mit den Medikamenten Oxaliplatin oder Vinca-Alkaloiden. 70 bis 90 Prozent der Behandelten leiden unter Schmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Taubheitsgefühlen, Brennen oder Kribbeln – Symptome, die sehr belastend sein können. Ungefähr bei der Hälfte verschwinden die Schmerzen nach Abschluss der Therapie wieder, die anderen rund 50 Prozent leiden jedoch langfristig darunter.

Trainieren während der Chemo

Um die Auswirkung von Training zu bewerten, wurden 158 Krebspatientinnen und -patienten, die eine Therapie mit Oxaliplatin oder Vinca-Alkaloiden erhielten, untersucht. Sie wurden per Zufallsprinzip in drei Gruppen eingeteilt: Zwei Gruppen absolvierten während der Dauer der Chemotherapie zweimal pro Woche Trainingseinheiten, die zwischen 15 und 30 Minuten dauerten. Bei einer Gruppe lag der Fokus auf Gleichgewichtsübungen auf zunehmend instabilem Untergrund, die andere Gruppe trainierte auf einer Vibrationsplatte. Eine dritte Kontrollgruppe trainierte gar nicht, sondern erhielt nur die Standardbetreuung.

Bei regelmäßigen Untersuchungen in den fünf Folgejahren auf die Therapie zeigte sich, dass in der Kontrollgruppe etwa doppelt so viele Teilnehmende eine CIPN entwickelten wie in den beiden Trainingsgruppen. Oder positiv ausgedrückt: Das begleitende Training während der Chemotherapie konnte das Auftreten von Nervenschäden um 50 bis 70 Prozent reduzieren.

Und es gab weitere positive Effekte: Eine Reduktion der Krebsmedikationsdosis, die sich womöglich ungünstig ausgewirkt hätte, war weniger oft notwendig. Die Sterblichkeit war auch bis zu fünf Jahre nach der Chemotherapie geringer. Und die Studienteilnehmenden aus den Trainingsgruppen berichteten von subjektiv besser empfundener Lebensqualität. Am meisten profitierten dabei die Teilnehmenden vom sensomotorischen Training, also dem Gleichgewichtstraining auf instabilem Untergrund.

Besser als Medikamente

Das ist eine sehr gute Nachricht, denn gegen CIPN gibt es keine wirksamen Medikamente. Seit Jahren investiere man viel Geld, um das Auftreten dieser Nebenwirkungen zu reduzieren, sagt Fiona Streckmann vom Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit an der Uni Basel, die die Studie leitete. "Diese Nebenwirkung hat einen direkten Einfluss auf die klinische Behandlung, etwa weil die eigentlich notwendigen Zyklen der Chemotherapie nicht mehr eingehalten werden, die Dosis der Krebsmedikamente reduziert oder die Therapie ganz abgebrochen werden muss."

Und trotzdem gibt es bisher keine wirksame pharmakologische Behandlung. Verschiedene Studien haben nämlich gezeigt, dass Medikamente die Nervenschäden weder verhindern noch rückgängig machen können. Dennoch werden jüngsten Schätzungen zufolge in den USA 17.000 Dollar pro Patientin und Patient und Jahr ausgegeben, um Chemotherapie-bedingte Nervenschäden zu behandeln. "Der Leidensdruck der Betroffenen dürfte so groß sein, dass Ärztinnen und Ärzte trotz allem Medikamente verschreiben", vermutet Streckmann.

Der positive Effekt des Trainings dagegen lasse sich belegen und sei im Vergleich darüber hinaus sehr kostengünstig, betont die Sportwissenschafterin. Derzeit arbeitet sie mit ihrem Team an einem Leitfaden für Spitäler, um das Training als begleitende Maßnahme zur Krebstherapie in die klinische Praxis zu bringen. Zudem läuft seit 2023 eine Studie an sechs Kinderspitälern in Deutschland und der Schweiz (PrepAIR), die das Training als Maßnahme gegen CIPN auch in der Kinderonkologie prüfen soll.

"Das Potenzial körperlicher Aktivität wird enorm unterschätzt", betont Streckmann. Sie hoffe sehr, dass mit Ergebnissen wie den jetzt veröffentlichten vermehrt Sporttherapeutinnen und -therapeuten auch an Spitälern beschäftigt werden, um dieses Potenzial besser auszuschöpfen. (kru, 2.7.2024)