21. Juni 2024: Marko Arnautovic verlädt den polnischen Goalie Wojciech Szczesny und trifft zum 3:1 für Österreich. Aber ein echtes Elfmeterschießen im Team hat auch Arnautovic noch nicht erlebt.
AP/Petr Josek

Ja, eh ist Österreich eine, wenn nicht die Überraschung dieser EM-Endrunde. Ja, eh schreibt der britische Economist schon Geschichten unter dem Titel: "Why football might (just) be coming home, to Austria" – weil doch der moderne Fußball in Wiener Kaffeehäusern erfunden worden wäre. Auch da ist zumindest etwas dran, andererseits würde die heimische Fußballhistorie durchaus auch eine gewisse Demut nahelegen. Zu dem Schluss muss kommen, wer sich etwa nur ganz kurz mit dem Thema Elfmeterschießen beschäftigt. Österreich und Elfmeter bei Großereignissen, das ist in den Fußballgeschichtsbüchern maximal eine Kurzgeschichte.

Kürzlich hat Marko Arnautovic einen Penalty gegen Polen verwandelt, ebenso cool blieb 2008 Ivica Vastic, als er bei der Heim-EM ebenfalls gegen Polen traf. Aber ein echtes Elfmeterschießen? Nein, damit hat das ÖFB-Männerteam noch keine Erfahrung, nimmt man vielleicht ein Turnier im Februar 2005 auf Zypern aus, in dem Österreich nach einem 1:1 gegen den Gastgeber zu elfern hatte – und als einziger Schütze just Vastic vergab.

Österreichs Frauen sind punkto Penaltys bei großen Turnieren zweifellos erfahrener. Allein wegen der EM 2017 in den Niederlanden. Da kamen die Österreicherinnen gegen Spanien nach einem torlosen Viertelfinale im Elferschießen 5:3 weiter, nach einem torlosen Halbfinale schieden sie gegen Dänemark im Elferschießen mit 0:3 aus.

Sonst zählt es genau elf

Ralf Rangnick, aktueller Teamchef der Männer, hat auf den mit dem überraschenden Gruppensieg fixierten Aufstieg ins Achtelfinale reagiert – locker, aber bestimmt, wie es seinem Naturell entspricht. Wie Florian Grillitsch berichtete, sind die Spieler nun angehalten, ein im Training erzieltes Tor mit einem Elfmetertor zu bestätigten. Sonst zählt das Tor "genau elf", wie es umgangssprachlich heißt, es zählt also nicht. Eine durchaus spielerische Herangehensweise.

Doch es ist gut möglich, dass Rangnick auch dadurch Aufschlüsse gewinnt. Wobei Grillitsch schon recht hat, wenn er meint, dass der Druck wohl viel größer ist, wenn einer beispielsweise am Dienstagabend am Ende eines nach 120 Minuten ausgeglichenen Achtelfinales gegen die Türkei zum Elferschießen anzutreten hätte.

Da fehlt den Österreichern jegliche Erfahrung, sie muss ihnen auch fehlen. Das ÖFB-Männerteam hat bei Welt- oder Europameisterschaften erst ein einziges Mal ein Ausscheidungsspiel gewonnen, das freilich in der regulären Spielzeit. Es war das 7:5 gegen die Schweiz im Viertelfinale der WM 1954, die Österreich nach einem 1:6 im Halbfinale gegen Deutschland dank eines 3:1 gegen Uruguay auf dem dritten Platz beenden sollte.

Grüll vor Füllkrug

Neben der Gabe, seine Schützlinge mittlerweile wohl recht genau einschätzen zu können, mag Rangnick und dem Betreuerteam der eine oder andere Blick auf Statistiken helfen. Bei Transfermarkt.com ist ausgeschildert, welche Spieler ab der EM 2021 bis EM-Beginn 2024 die beste Elferquote aufweisen. Penaltys aus sämtlichen Bewerben zählen dabei mit, und – Überraschung – an erster Stelle liegt ein Österreicher. Allerdings einer, der bei dieser Endrunde noch keine Spielminute in den Beinen hat.

Marco Grüll, der mit Saisonende von Rapid Wien zu Werder Bremen übersiedelt ist, hat demnach von seinen jüngsten 14 Elfmetern alle verwandelt. Auf 100 Prozent kamen ansonsten, freilich mit jeweils weniger Versuchen, nur der Deutsche Niclas Füllkrug, der 13-mal traf, sowie der Engländer Cole Palmer und der Schweizer Xherdan Shaqiri mit je elf Elfmetertoren.

Die Statistiker haben sich in weiterer Folge auch die jeweils fünf aktivsten Schützen aller Länder angesehen. In dieser Wertung liegt Österreich mit einer Trefferquote von 89 Prozent an vierter Stelle – hinter England (95,42), Schweiz (92,50) und Portugal (89,29). Yes, es ist England, das diese Statistik anführt – und damit vielleicht auch relativiert. Ausgerechnet England, das bei Weltmeisterschaften drei von vier Elfmeterschießen verloren hat und bei Europameisterschaften gar vier von fünf, zuletzt jenes im EM-Finale 2021 gegen Italien. (Fritz Neumann, 2.7.2024)