Sieben Jahre lang hat Wera Hobhouse die liebliche Stadt Bath im Unterhaus vertreten, und wenige Tage vor dem Urnengang sieht alles danach aus, als werde dies auch in der kommenden Legislaturperiode so bleiben. Lediglich für zwei der vergangenen 30 Jahre saß ein Konservativer für den traditionsreichen Badeort aus der Römerzeit im Parlament, andere Parteien haben hier ohnehin keine Chance. "In Bath zu verlieren, das wäre eine Riesenüberraschung", sagt die deutschstämmige Liberaldemokratin, 64, mit englischem Understatement.

Wera Hobhouse hat Bath bereits sieben Jahre im Unterhaus vertreten.
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In Wahrheit käme es den Umfragen zufolge einer Sensation gleich. Die fröhliche, spürbar den Menschen zugetane Frau hat Zehntausenden von Bürgern mit deren Anliegen geholfen und sich dadurch den Amtsbonus verdient, der erfahrungsgemäß bis zu fünf Prozent ausmachen kann. Ein lebender Beweis dafür kommt zufällig des Weges, als Hobhouse im Stadtzentrum mit dieser Zeitung spricht: Ken nennt sich selbst einen "Tory vom rechten Rand", liest den erzkonservativen Daily Express und beschwert sich bei Hobhouse gern über die Immigranten, von denen in Bath allerdings keiner zu sehen ist. Die Stimme aber gibt er der Liberaldemokratin: "Die ist reizend."

Aufwind nach Wahldebakel

Auch Hobhouse' Partei verspürt nach drei desaströsen Wahlen im Gefolge der Koalition mit den Konservativen (2010–15) diesmal Aufwind: Statt des traurigen Häufleins von elf Abgeordneten bei der Adventswahl 2019 dürften sich vom kommenden Wochenende an mehrere Dutzend Liberaldemokraten, im Volksmund Libdems genannt, in Westminster versammeln.

Dabei hat sich der Stimmanteil für die traditionelle dritte landesweite Partei Großbritanniens kaum verändert: Den Umfragefirmen zufolge liegt sie zwischen zehn und zwölf Prozent (2019: 11,6 Prozent) und damit deutlich hinter der Reformbewegung des Nationalpopulisten Nigel Farage (16), von Premier Rishi Sunaks Konservativen (20) und Labour (41) ganz zu schweigen. Doch kommt es im britischen Mehrheitswahlrecht auf die Verhältnisse in den einzelnen 650 Wahlkreisen an. Und da sich auf der rechten Seite des politischen Spektrums Torys und Reform gegenseitig die Stimmen abjagen, erhalten die Libdems die Unterstützung all jener, denen die alte Arbeiterpartei unter ihrem milden Chef Keir Starmer doch noch zu radikal ist.

Neue Strategie

Die Schwäche der Regierungspartei bewog den liberalen Parteichef Edward Davey Mitte vergangenen Monats sogar zu einer plötzlichen Neuausrichtung seiner Strategie. Statt der Konzentration auf wohlhabende Städte wie Bath und den Speckgürtel rund um London wirft die Partei plötzlich mehr Ressourcen in bisher konservative, ländlich geprägte Wahlkreise im Westen Englands, wo die Libdems vor ihrem katastrophalen Einbruch 2015 schon gut vertreten waren. "Wir konnten das nicht erwarten, aber die Lage sieht jetzt gut aus", freut sich der 58-Jährige.

Das führt dazu, dass die Werbetrupps der Libdems in Bath häufiger einmal ohne Kandidatin auskommen müssen. Wera Hobhouse hilft dann in angrenzenden Wahlkreisen aus, wo die Verhältnisse weniger gesichert sind und ihr Bekanntheitsgrad als Parlamentsabgeordnete den örtlichen Kandidatinnen ein wenig Aufmerksamkeit verschaffen kann. "Das erwartet die Partei von mir", berichtet Hobhouse dieser Zeitung.

Klima- und Wasserschutz

Aufmerksamkeit erhält auch Parteichef Davey, dem der Wahlkampf viel Spaß zu machen scheint. Die sonst auf die beiden großen Parteien konzentrierten Medien freuen sich über die hübschen Bilder vom untersetzten Politiker, der fotogen in Seen fällt, mit dem Rad steile Abhänge hinuntersaust oder Bungeejumping ausprobiert. Dem früheren Energieminister gelingt es auf diese Weise aber auch, wichtige Anliegen seiner Partei zu propagieren. So treten die Libdems für rascheren Klimaschutz ein, wofür die zugigen Häuser der Briten mit Staatszuschüssen besser isoliert werden sollen. Reformen strebt die Partei bei den privatisierten Wasserwerken an, die britische Gewässer und Strände mit ungefiltertem Abwasser verseuchen.

Thema Pflege

Auch hat sich Davey glaubwürdig das vielfach vernachlässigte Thema der Pflege von Alten und Behinderten zu eigen gemacht: Als Halbwüchsiger pflegte er seine schwerkranke Mutter bis zu ihrem Tod, inzwischen ist er Vater eines schwerbehinderten Teenagers. Ihn treibe die Furcht um, hat Davey kürzlich mit stockender Stimme gesagt, "was mit John werden soll, wenn wir mal nicht mehr da sind". Weil Millionen von Briten diese Sorge kennen, zählt das Interview schon jetzt zu den herausragenden TV-Momenten dieses Wahlkampfes.

Die Kandidaten stellen sich in einer Kirche in Bath einer sogenannten husting, einer Kandidatenbefragung.
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In Bath eilt die bisherige und wohl auch zukünftige Abgeordnete zu einer Kandidatenbefragung, dem sogenannten husting, in der stattlichen Pfarrkirche mitten in der Stadt. Dort bricht Hobhouse in gut liberaler Tradition eine Lanze dafür, "auf gute Weise unterschiedlicher Meinung zu sein". Ob das beifällige Gemurmel der rund 300 erschienenen Wahlbürger am Donnerstag auch in zahlreiche Stimmen mündet? Da bleibt die Kandidatin vorsichtig: "Noch ist die Sache nicht gelaufen." (Sebastian Borger aus Bath, 2.7.2024)