Der US-Supreme-Court hat sein lang erwartetes Urteil in der Causa um Donald Trumps Immunität gefällt.
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Das US-Höchstgericht hat Donald Trump (und damit allen Ex-US-Präsidenten) teilweise Immunität zugesprochen. Die Richterinnen und Richter entschieden mit den Stimmen der konservativen Mehrheit sechs zu drei, dass frühere amerikanische Staatschefs nicht für "offizielle" Handlungen während ihrer Amtszeit verfolgt werden können, durchaus aber für private. Die Immunität für "offizielle Handlungen" sei absolut. Trump könnte damit nicht für jene Handlungen strafbar gemacht werden, die er in Ausübung seines Amtes durchgeführt hat, wohl aber für solche, die er als Privatmann – also etwa als Wahlkämpfer – gesetzt hat. Für offizielle Handlungen könne ein Präsident oder Ex-Präsident nur vom Kongress über das Instrument des Impeachment zur Rechenschaft gezogen werden.

Video: Gericht gewährt Trump teilweise Immunität
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Offizielle und private Handlungen

Das Urteil war seit Monaten mit Spannung erwartet worden, weil der Fortgang der gegen Trump angestrengten Prozesse rund um den Sturm aufs Kapitol vom 6. Jänner 2021 und rund um seine Bemühungen zur Wahlbeeinflussung davon abhängt. Schon bei der Anhörung im Frühjahr war deutlich geworden, dass viele der Richterinnen und Richter am Höchstgericht der Annahme, Trump genieße nach Ende seiner Amtszeit keinerlei Immunität, kritisch gegenüberstanden.

In den beiden wichtigsten Verfahren gegen den 78-Jährigen, der im Winter erneut US-Präsident werden will, bedeutet die Entscheidung nun weitere Verzögerungen. Das betrifft auch die Anklage nach den Nachforschungen von Sonderermittler Jack Smith zum Verhalten Trumps vor und während des Putschversuches vom 6. Jänner. Hier muss jetzt das untergeordnete Gericht entscheiden, welche der Anklagepunkte sich auf "offizielle" und welche sich auf "private" Handlungen Trumps beziehen.

"STOLZ, AMERIKANER ZU SEIN"

Trump meldete sich auf dem von ihm geführten sozialen Medium "Truth Social" zu Wort. Er sprach in Großbuchstaben von einem "GROSSEN SIEG FÜR UNSERE VERFASSUNG UND DEMOKRATIE", er sei "STOLZ, AMERIKANER ZU SEIN!". Die vom demokratischen Präsidenten Barack Obama bestellte Richterin Sonia Sotomayor verfasste eine "widersprechende Rechtsmeinung", wie sie am Supreme Court oft dann Urteilen angefügt wird, wenn das Gremium keine Einigkeit herstellen kann.

Die beiden Richterinnen Elena Kagan und Ketanji Brown Jackson, die ebenfalls von Obama bzw. von Joe Biden bestellt wurden, schlossen sich dieser an. "Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und dem Volk, dem er dient, ist nun unveränderbar verrückt", schreibt sie. "Der Präsident ist nun ein König, der über dem Recht steht." Sie zählt "offizielle Akte" auf, die der Präsident nun ungestraft setzen könnte: etwa einen Konkurrenten von den Navy Seals erschießen zu lassen, einen Putsch zu organisieren oder Bestechungsgelder im Austausch für Begnadigungen anzunehmen.

Hakeem Jeffries, der Vorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus, kritisierte den Entscheid scharf: "Die Schöpfer der Verfassung hatten eine Demokratie im Sinn, die von Rechtsstaatlichkeit und der Zustimmung des amerikanischen Volkes getragen wird. Sie hatten nicht die Absicht, dass unsere Nation von einem König oder Monarchen regiert wird, der absolut ungestraft handeln kann." Auch der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, schloss sich an: "Dies ist ein trauriger Tag für Amerika und ein trauriger Tag für unsere Demokratie. Die Grundlage unseres Rechtssystems ist, dass niemand über dem Gesetz steht. Hochverrat oder Aufwiegelung zum Aufstand sollten nicht zu den zentralen verfassungsmäßigen Befugnissen eines Präsidenten gehören."

Regeln für die Ewigkeit

Mehrere der Richter betonten schon bei der Anhörung, dass das nun gesprochene Urteil nicht nur Trump betreffe, sondern auch alle anderen künftigen Präsidenten. "Wir schreiben hier eine Regel für die Ewigkeit", sagte Höchstrichter Neil Gorsuch damals. Sollten Präsidenten etwa auch für Befehle ans Militär im Kriegsfall oder andere präsidentielle Entscheidungen, etwa auch politische Aussagen, haftbar gemacht werden können? Umgekehrt konnte Trumps Anwaltsteam nicht erklären, wie ihre Behauptung, der Präsident genieße völlige Immunität, in der Praxis mit der demokratischen Ordnung vereinbar sei. Was passiere, wenn der Präsident einen Putsch oder einen Mord an einem Gegner anordne? Darauf gab es nur vage Antworten. Beides, so das Ergebnis des nunmehrigen Urteils, ging der Mehrheit am Gericht zu weit.

Die Perspektive auf eine solche Entscheidung hatte im Vorfeld unter Trump-Gegnern aus mehreren Gründen Sorge ausgelöst. Einerseits, weil sie eine Verschiebung der Machtbalance in den USA fürchteten: Je weniger der Präsident für seine Handlungen Konsequenzen zu befürchten hat, umso mehr geht Macht in der Gewaltenteilung von der Judikative an die Exekutive. Praktisch bedeutet das Urteil auch, dass Entscheidungen in den Prozessen wohl nicht vor dem Wahltermin am 5. November fallen werden und Trump somit auch im Wahlkampf keinen weiteren Schaden zufügen werden.

In den meisten Fällen, in denen Trump juristisch verfolgt wird, kann er sich im Falle einer Wiederwahl nach Amtseinführung am 20. Jänner 2025 außerdem selbst begnadigen. Ausnahme ist die Anklage in Georgia wegen versuchter Wahlbeeinflussung bei der dortigen Stimmauszählung, die nach dem Recht des Bundesstaates verfolgt wird. Dort allerdings ist das Verfahren nach dem Chaos rund um eine Affäre der Chefanklägerin mit einem Anwalt aus ihrem Team ebenfalls massiv verlangsamt. Wie und wie schnell es fortgesetzt werden kann, gilt als unsicher. (Manuel Escher, 1.7.2024)