Ist es der große Erdrutschsieg der Rechtsextremen in Frankreich und damit das europäische Gemeinschaftsprojekt in Gefahr – oder sind solche Unkenrufe doch übertrieben? Geht es nach einigen der politischen Kommentatoren oder Analysen beim Kurznachrichtendienst X war das Ergebnis der ersten Runde der Parlamentswahl am Sonntag in Frankreich die große Zäsur. Die Untergangsszenarien befeuerten sich mitunter gegenseitig. Tenor: Dunkle Stunden brechen an.

Kein Grund zur Panik? Die Märkte reagierten zunächst entspannt auf die Ergebnisse aus Frankreich.
AFP/ANTONIN UTZ

Interessanterweise einen ganz anderen Blick hat man auf die Entwicklung dort, wo es ums Geld geht: Die Rede ist von den Märkten. Dort war am Montag, am Tag nach der Wahl, Entspannung angesagt. Nach der Ankündigung des französischen Staatschefs Emmanuel Macron, Neuwahlen auszurufen, sind die Risikoaufschläge französischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Papieren stark gestiegen.

Jüngere Leserinnen und Leser werden sich nicht mehr daran erinnern, aber in der Eurokrise (2009–2012) waren diese Aufschläge oder auch Spreads ein verlässlicher Krisenseismograf. Die Spreads geben an, wie viel teurer es für Frankreich im Verhältnis zu Deutschland ist, an neue Kredite am Markt zu kommen. Deutschland gilt als sicherer Hafen für Anleger, darum der Vergleich. Vor der Neuwahlankündigung lag die Zinsdifferenz bei rund 0,45 Basispunkten – anschließend haben sich Spreads fast verdoppelt. Jeder Anstieg tut der französischen Regierung weh, weil damit das Schuldenmachen teurer wird. Am Montag ging die Differenz deutlich zurück, es war der größte Tagesrückgang bei den Risikoaufschlägen für Frankreich seit November 2022.

"Die Märkte sehen das Ergebnis relativ gelassen. Es war in etwa so erwartet worden", sagt der Analyst Patrick Krizan von der Allianz Österreich. Nachsatz: "An den Märkten herrscht damit offenbar mehr Gelassenheit vor als bei manchen Kommentatoren." Parallel dazu hatte bereits der Euro im Verhältnis zum Dollar leicht zugelegt, was ebenfalls als Zeichen der Entspannung gewertet wird.

Finanzwetten und echte Angst

Aber woher kommen überhaupt diese Kursbewegungen? Einerseits nutzen Anleger die Wahlgänge aus, um etwas Spielgeld mit Finanzwetten zu verdienen, sagt Krizan. Typischerweise etwa wetten Anleger darauf, dass die Kurse für französische Anleihen fallen. Anleihen sind handelbare Wertpapiere, ähnlich wie Aktien, wobei sich Kurs und Zinsen immer gegengleich bewegen – fallen die Kurse, steigt die Realverzinsung.

Zweitens aber fachen die Wahlprogramme des rechten Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen sowie auch jenes vom Linksbündnis NFP, das am Sonntag auf Platz zwei landete, diese Wettgeschäfte mit an.

Angst um Frankreich am Markt lässt nach | Zinsaufschläge für französische und österreichische Anleihen im Vergleich zu deutschen Papieren (mit Laufzeit von zehn Jahren)
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Denn Frankreichs Defizit ist bereits deutlich höher, als von der EU erlaubt ist. Die Regierung erwartet eine Neuverschuldung von über fünf Prozent heuer. Zum Vergleich: In Österreich dürften es etwas mehr als drei Prozent werden. Trotzdem hat der RN diverse Ausgabenprogramme für den Fall angekündigt, dass man die kommende Regierung bildet. So will die Partei etwa Steuern auf den Energieverbrauch von 20 auf 5,5 Prozent senken. Das Pensionsantrittsalter für Menschen, die mehr als 40 Jahre gearbeitet haben und früh eingestiegen sind, soll von 64 auf 60 sinken. All das kostet Geld – damit wäre ein Streit mit der EU-Kommission, die Frankreich zu einem Sparkurs 2025 drängt, programmiert. In so einem Klima würden die Risikoaufschläge für französische Anleihen weiter steigen, und die Unsicherheit würde zunehmen. Der Krisenseismograf würde weiter ausschlagen.

Das Wahlergebnis wirkte offenbar vorerst als Beruhigungspille. Dazu trägt nicht nur bei, dass Zweidrittel der Wählerinnen und Wähler nicht für die Le-Pen-Partei gestimmt haben. Führende Vertreter der französischen Linken und des zentristischen Blocks von Präsident Emmanuel Macron, dem Drittplatzierten bei der Wahl, haben bereits erklärt, bei der Stichwahl am kommenden Sonntag zusammenzuarbeiten. Das bedeutet, Linke und Zentristen würde eigene Kandidaten jeweils dort zurückziehen, in denen ein anderer moderater Kandidat gute Chancen hat, die Rechte zu schlagen. Klappt so ein Bündnis, gerät eine absolute Mehrheit für die RN in weite Ferne. (András Szigetvari, 1.7.2024)