Ein Computer-Rendering zeigt die Spulen, um einen zentralen Pfeiler angeordnet. Davor als Größenvergleich ein winziger Mensch.
19 Spulen sind es, die das wichtigste Magnetsystem des Iter-Reaktors bilden. Diese Computergrafik zeigt ihre Anordnung. Sie stammen von verschiedenen Herstellern in Europa und Japan.
Iter

Es ist eines der größten und umstrittensten Forschungsprojekte der Welt: Der Reaktor Iter sollte erstmals Kernfusion, das Verschmelzen von Atomkernen unter Freisetzung von Energie, in einem vergleichbaren Maßstab realisieren, wie er für ein künftiges Kraftwerk zur Energieproduktion nötig ist. Doch seit Beginn des Projekts, an dem seit den 2000er-Jahren gebaut wird, kam es immer wieder zu Verschiebungen, die Kosten von ursprünglich veranschlagten sechs Milliarden Euro vervierfachten sich beinah. Im Sommer 2023 gab es weitere Hiobsbotschaften, der Tod des Iter-Leiters und die Corona-Pandemie sorgten für weitere Verzögerungen und Kostensteigerungen. Währenddessen gelang in den USA der Durchbruch, der eigentlich ein Ziel von Iter gewesen war: Erstmals wurde eine Kernfusionsreaktion realisiert, die mehr Energie abgab, als von außen investiert werden musste, allerdings ohne realistischen Fahrplan für eine Nutzung in einem Kraftwerk.

Bei Iter hingegen stellte sich zunehmend die Frage, ob der Reaktor je fertiggestellt werden würde. Nun gibt es nach langem wieder gute Nachrichten. Heute feiert das Iter-Projekt die Lieferung der letzten fehlenden Elemente des sogenannten Toridal-Magnetfeldgenerators.

Magnetfeld wie ein Schwimmreifen

"Torus" ist die Fachbezeichnung für die Form eines Schwimmreifens oder Donuts. Diese Form wird bei Iter der eigentliche Reaktor haben, der zum sogenannten Tokamak-Typ gehört. Die Form ist durch das Magnetfeld vorgegeben: Das heiße Plasma darf nirgends in Kontakt mit den Reaktorwänden kommen, weil dabei zu viel Energie verlorengehen würde. Nur wenige bekannte Magnetfeldgeometrien erlauben es, eine geschlossene Form zu bilden, mit der sich Gas einschließen lässt. Einer davon ist die Basis des Tokamak-Prinzips.

Die großen Dimensionen von Iter haben zum Teil einen mathematischen Grund: Große Objekte haben im Verhältnis zu ihrem Volumen eine kleinere Oberfläche als keine Objekte. Das minimiert die Leistungsverluste durch eine Abkühlung des im laufenden Betrieb 150 Millionen Grad heißen Gases, das zehnmal heißer sein wird als das Zentrum der Sonne. Das Magnetfeld wird es einschließen und unter Druck halten wie ein Fahrradschlauch.

Einer der mehrere Stockwerke hohen, futuristischen Magneten, daneben eine Treppe mit mehreren Plattformen.
Hier wird im Jahr 2022 eines der Module installiert.
APA/AFP/NICOLAS TUCAT

Die überdimensionalen Magneten selbst müssen wiederum extrem kalt sein. So starke Magnetfelder, wie Iter sie benötigt, lassen sich nur mit supraleitenden Materialien herstellen. In Supraleitern fließt Strom ohne elektrischen Widerstand, doch um diesen Zustand zu erreichen, müssen die Spulen auf -269 Grad Celsius gekühlt werden. Die bei Iter verwendeten Supraleiter bestehen aus Legierungen der Metalle Niob und Zinn sowie Niob und Titan.

Die Höhe der Einzelkomponenten beträgt 17 Meter, jede wiegt 360 Tonnen. Rund 87.000 Kilometer supraleitender Drähte wurden dafür verwendet. Der Produktionsprozess war extrem aufwendig. Die fertigen Kabel sind nicht biegbar, sondern mussten auf 650 Grad Celsius erhitzt werden, um sie zu formen. Mehr als 40 Unternehmen waren darin involviert.

Ungewöhnliche Organisationsform

Iter wurde in den 1980er-Jahren von den damaligen US- und Sowjet-Präsidenten Ronald Reagan und Michail Gorbatschow als Initiative zur friedlichen Nutzung der Kernenergie ins Leben gerufen. Die Kollaboration umfasst heute 30 Partnerländer, zu denen EU-Länder, China, Indien, Japan, Korea, Russland und die USA gehören. Diese Länder unterstützen das Projekt in erster Linie durch die Lieferung von Komponenten. Im Fall der Toridal-Magneten stammen zehn Stück aus Europa, acht aus Japan. Das supraleitende Kabel stammt aus China, Europa, Japan, Korea, Russland und den USA.

Ein Arbeiter blickt zu einem der riesigen Magneten auf.
Die Magnetspulen umgeben die gesamte, torusförmige Vakuumkammer.
APA/AFP/NICOLAS TUCAT

Die Idee des ungewöhnlichen Konzepts war, dass die Unternehmen der Partnerländer Know-how in Fusionstechnologie sammeln können, um später selbst Fusionsreaktoren herstellen zu können. Dieser Zugang war allerdings ein Preistreiber und es ist fraglich, ob das heutige Know-how in einigen Jahrzehnten, wenn womöglich tatsächlich erste Fusionskraftwerke gebaut werden, noch von Wert ist.

Bei Iter feiert man jedenfalls den Meilenstein für den Magneten, der nach seiner Installation mit einer Magnetfeldenergie von 41 Milliarden Joule der stärkste Magnet aller Zeiten sein wird. "Die Fertigstellung und Auslieferung der 19 Iter-Toroidalfeldspulen ist eine monumentale Leistung", sagt Iter-Generaldirektor Pietro Barabaschi. "Wir gratulieren den Regierungen der Mitgliedsstaaten, den Iter-Inlandsagenturen, den beteiligten Unternehmen und den vielen Einzelpersonen, die unzählige Stunden für dieses bemerkenswerte Unterfangen aufgewendet haben."

Am 20. Juni gab man bei Iter bekannt, dass der Forschungsbetrieb mit einem einfacher zu handhabenden Treibstoff aus dem Wasserstoffisotop Deuterium 2035 starten soll. Für den eigentlich angepeilten Betrieb mit einer Mischung der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium wurde kein Termin genannt. (Reinhard Kleindl, 1.7.2024)