Ich war Teenagerin in den 1980er-Jahren und ständig auf der Suche: nach mir selbst, meinem Kleidungsstil, meiner Coolness, meiner Liebe – und ja, natürlich, dem Sinn meines Lebens. Und dann tauchte im Vorabendprogramm die Chronikredaktion der Los Angeles Tribune auf.

Lou Grant packte mich von Anfang an. Besser gesagt: der Newsroom der Trib. Dicht an dicht stehende Schreibtische, gläserne Besprechungskammerln, in denen Aufregendes behandelt wurde, Menschen, die es stets eilig hatten, permanent auf der Jagd nach der nächsten tollen Geschichte, jede Menge Papier auf Stapeln – und immer dieses Schreibmaschinengeklapper!

Mason Adams, Nancy Marchand, Daryl Anderson, Allen Williams, Edward Asner, Robert Walden, Linda Kelsey und Jack Bannon in der US-Serie
Mason Adams, Nancy Marchand, Daryl Anderson, Allen Williams, Edward Asner, Robert Walden, Linda Kelsey und Jack Bannon in der US-Serie "Lou Grant".
Foto: IMAGO/United Archives

Unbeirrt und unbeeinflussbar

Über aufregende Themen wurde in dieser Redaktion offenbar rund um die Uhr geschrieben, manchmal über Mord, oft über Korruption, noch häufiger über soziale Ungerechtigkeiten. Zwielichtige Lokalpolitiker und gewissenlose Unternehmer kamen unter Druck – denn stets machten die Reporter der Tribune und vor allem ihr Chef, Lou Grant, diesen Typen die Hölle heiß. Unbeirrt und unbeeinflussbar schrieben sie ihre Artikel, auf dass die Welt besser werde.

Ab Folge eins war für mich klar: So will ich werden, das ist mein Ding. Ich werde Reporterin! Für meine Eltern kam das überraschend, kann sein, dass sie mich nicht ganz ernst nahmen. Doch mir war nicht zu Scherzen zumute. Zitternd vor Spannung schwor ich mich auf SIE ein: Billie Newman. So wollte ich werden und nicht anders.

Ich will Billie sein

Diese Reporterin war meine Heldin. Jung, mit Stil (oder was ich darunter verstand), zielstrebig und gründlich in ihren Recherchen, emanzipiert – und immer mit Herz dabei. Fast ebenso gern hatte ich ihren Chef, Lou Grant, stiernackig, stur, streng zu seinen Mitarbeitern, aber auch einer, der sich vor seine Leute warf – wenn es sein musste, auch gegen die Attacken der verhaltensoriginellen Herausgeberin Mrs. Pynchon und gegen den diplomatisch-ausgleichenden Chefredakteur Charly Hume.

Dann gab's da noch Joe Rossi, selbsternannter Starreporter, Super-Ego, Ellbogentyp, Frauenverachter, fraglos gut in seinem Job. Und Art Donovan, Textchef, selbstverliebt und blasiert, aber eine verlässliche Kraft im Newsroom. Rossi habe ich gehasst, Donovan hat mich genervt.

Ein legendärer Spruch von Lou Grant lautete: "Wir können nicht aufhören, wichtige Geschichten zu drucken, nur weil wir jemandem damit wehtun könnten. Man tut immer jemandem weh. Aber wenn da eine Geschichte ist, müssen wir sie drucken. Das ist unser Job." Schöner hat das keiner je über Journalismus gesagt.

Haarscharf vorbei

Die US-Serie, die von 1977 bis 1982 von CBS ausgestrahlt wurde, war der mehrfach ausgezeichnete Ableger der Sitcom Mary Tyler Moore. Schon dort tauchte Lou Grant als Chef der TV-Nachrichten auf. Auf 114 Episoden in fünf Staffeln brachte es Lou Grant, von 1979 bis 1982 strahlte das ZDF 52 ausgewählte Folgen aus, später folgte das Privatfernsehen.

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Jetzt, nach über 30 Jahren und einem Berufsweg, der haarscharf an Teufelsreporterin Billie Newman vorbeischrammte, schaute ich wieder einmal vorbei in Lou Grants Redaktion. Ich war weniger überrascht, als ich dachte.

Dass der Newsroom mit seinem Schreibmaschinengeklapper und seinen klotzigen Festnetztelefonen (aber schon mit Tasten!) altbacken daherkommen würde, war zu erwarten gewesen. Dass die Figuren klischeehaft wirken, ebenso. Das hohe Tempo, das die Serie damals, in den 1980er-Jahren, gefühlt hatte, wirkt heute eigentümlich verschlafen.

Mittlerweile kenne ich einige "echte" Redaktionen – und vor diesem Hintergrund gibt es durchaus Gründe, über Lou Grant zu schmunzeln. Mittagessen gehen, stundenlang wegbleiben, dann gemächlich wieder zurück an den Schreibtisch? Haha, guter Witz! Alle Zeit der Welt für die gepflegte Hintergrundbetrachtung haben? Nun ja. Erheblich verbessert hat sich der Kommunikationsfluss: Dass Reporter sich um den Zugang zum nächsten Münzfernsprecher prügeln müssen, dass man stundenlang auf die Hintergrundrecherche der Dokumentationsabteilung wartet – das kann in Zeiten von Mobiltelefonie und Google nicht mehr passieren.

Nicht ganz so gut gealtert

Ernüchternd ist: Billie Newman, die Emanzipierte, setzt auf Weibchenschema, um ihre Ziele zu erreichen. Die Trib hat zwar eine Herausgeberin, sie ist das aber nur durch den Tod ihres Mannes geworden. Die Ressortleiter? Weiße Männer, soweit das Auge reicht – und sie machen auch noch anzügliche Schmähs. Die Art, wie Lou Grant seiner Reporterin Billie Newman über die Wange streicht, um sie zu trösten, und wie sie dies geschehen lässt. Igitt. Wieso ist mir das früher nicht aufgefallen?

So ist die Serie, obschon sie wichtige Themen anspricht, in vielen Folgen nicht gut gealtert. Was bleibt, sind die ethisch-moralischen Grundsätze des Journalismus: Suche nach der Wahrheit, ehrliches Bemühen um Check-Recheck-Doublecheck und natürlich keine Angst vor niemandem, möge er noch so mächtig sein.

Ach ja und Joe Rossi. Den Typus gibt's auch im wirklichen Journalistinnenleben, 30 Jahre später, gar nicht so selten. Diesbezüglich hat frau mit Lou Grant-Schauen etwas fürs Leben gelernt. (Petra Stuiber, 6.7.2024)