Kolumbien hat sich mit einem 3:0 gegen Costa Rica vorzeitig für das Viertelfinale qualifiziert. In der Nacht auf Mittwoch geht's im letzten Gruppenspiel noch gegen Brasilien. Gedanken an den vor 30 Jahren ermordeten Andres Escobar schwingen mit.
USA TODAY Sports via Reuters Con / Daniel Bartel

Auch 30 Jahre nach dem Mord an Andres Escobar ist der 2. Juli kein normaler Fußballtag. Nicht damals, als bei der WM in den USA das Achtelfinale Deutschland gegen Belgien (3:2) mit einer Schweigeminute begann. Nicht heute, wenn bei der Copa America an gleicher Stätte ausgerechnet Kolumbien auf Brasilien (Mittwoch, 3.00 Uhr MESZ) trifft.

Zehn Tage, bevor ihn sechs Kugeln jäh aus dem Leben rissen, hatte Kolumbiens damaliger Kapitän die 1:2-Niederlage gegen WM-Gastgeber USA mit einem Eigentor eingeleitet. Die hoch gehandelten Cafeteros scheiterten anschließend in der Gruppenphase. Der 27-Jährige wurde zum Sinnbild eines nationalen Desasters.

Drogenkartelle und bewaffnete Milizen hielten damals Kolumbien im Würgegriff. Der Fußball war für das Volk zwischen Karibik und Pazifik ein Ventil, die Nationalelf, die 1993 in 18 Spielen ungeschlagen blieb, der ganze Stolz. Und Idole wie Carlos Valderrama mit seiner Löwenmähne oder Faustino Asprilla, immerhin Sechster bei der Weltfußballer-Wahl, fanden auch weit über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung.

Mit "El Caballero" Geheimfavorit

So reiste die Seleccion als Geheimfavorit zur WM – und mit Escobar als Kapitän. Der Innenverteidiger, wegen seiner eleganten und stets fairen Spielweise "El Caballero" (Gentleman) genannt, hatte für 1994 die Hochzeit mit seiner langjährigen Freundin geplant, ein Wechsel nach Italien war ausgehandelt. Doch dann lief schon beim 1:3 zum Auftakt gegen Rumänien alles falsch.

Und das Chaos nahm seinen Lauf. Drogenbosse riefen bei Nationaltrainer Francisco Maturana an, wollten Akteure ihrer Klubs in der Startelf sehen. Im Spielerhotel trafen Morddrohungen ein. Als Escobar zu seinem 50. Länderspiel auflief, war die ganze Anspannung in seinem Gesicht abzulesen.

Folgenschweres Malheur

Dann brach im Glutofen Rose Bowl in Pasadena die 34. Minute an. Die USA eroberten den Ball im Mittelfeld, ein Flachpass rauschte von links in den Strafraum. Escobar grätschte dazwischen, lenkte den Ball unglücklich vom Elfmeterpunkt ins eigene Netz ab.

"La vida no termina aqui." Das Leben endet nicht hier, schrieb Escobar nach dem unerwarteten WM-Aus, das auch ein abschließendes 2:0 gegen die Schweiz nicht verhindern konnte, in einer Zeitungskolumne. Aber er irrte sich.

Sechs Schüsse

In den frühen Morgenstunden des 2. Juli 1994 verließ er eine Diskothek am Stadtrand Medellins, wurde bereits im Auto sitzend von zwei Männern zur Rede gestellt, ehe eine dritte Person herbeieilte und sechs Schüsse aus nächster Nähe abfeuerte.

Es war das blutige Ende einer verbalen Auseinandersetzung. Der Täter war Chauffeur zweier Brüder, auf deren Beschimpfung Escobar reagiert hatte und die eng mit Drogenkartellen verbandelt waren. Aber auch über einen Racheakt der Wettmafia, die mit den WM-Pleiten viel Geld verloren hatte, wurde spekuliert.

Immerhin: Kolumbiens Fußball begann eine Säuberungsaktion. Ohne Drogenbarone im Hintergrund lassen Stars wie James Rodriguez (einst Real Madrid und Bayern München) und Luis Diaz (FC Liverpool) die Nation wieder hoffen. Bei der aktuellen Copa America haben die Kolumbianer dank eines 3:0 (1:0) über Costa Rica den Einzug ins Viertelfinales schon vor dem Duell mit Brasilien fixiert. (sid, honz, 1.7.2024)