Wien – Vor 24 Jahren gegründet, stand der Ballesterer vor vier Jahren vor dem Aus. Dank der Kampagne "Ballesterer brennt" und des Zuspruchs seiner Leserinnen und Leser konnte sich das österreichische Fußballmagazin retten. Heute steht das Magazin auf wirtschaftlich solideren Beinen, dafür sorgen 5000 Abos bei einer Auflage von 20.000 Exemplaren und 140 Unterstützerinnen und Unterstützer im "Ballesterer Supporters Club". Sie spenden monatlich mindestens zwölf Euro.

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Der "Ballesterer" erscheint zehnmal pro Jahr, die Auflage beträgt 20.000 Stück.
Ballesterer

Nach zwölf Jahren an der Spitze der Redaktion wechselt Jakob Rosenberg jetzt zum Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), er bleibt dem Magazin als Gesellschafter und Co-Geschäftsführer erhalten. Die Chefredaktion teilen sich künftig Nicole Selmer, die bisher stellvertretende Chefredakteurin war, und Moritz Ablinger, der von Profil kommt.

STANDARD: Der Ballesterer ist auch angetreten, um eine kritische Stimme im Chor der Verhaberung im Sportjournalismus zu sein. Wie steht es um den österreichischen Sportjournalismus?

Rosenberg: Ich glaube, dass sich in den letzten Jahren einiges verbessert und einiges verschlechtert hat. Der Fußball ist mittlerweile so riesig, das Interesse daran so groß, dass sich neue Formate entwickelt haben, um mehr vom Fußball und all dem, was noch dranhängt, zu berichten. Das liegt auch an Medien wie dem Ballesterer, 11 Freunde in Deutschland, an spezialisierten Websites wie Taktikblogs, Fanseiten, an Podcasts und so weiter. Der Fußball ist aus seiner recht engen Ecke ausgebrochen, traditionellere Medien sind mitgezogen und haben sich auch neue Formate überlegt, die Berichterstattung ist also breiter und auf einem höheren Niveau. Und gleichzeitig gibt es eine gegenläufige Bewegung – mit der Bedeutung des Fußballs wächst das kommerzielle Interesse daran.

Das sieht man nirgends so gut wie im Bereich der TV-Rechte-Vermarktung. Wenn ein Fernsehsender die Übertragungsrechte eines Bewerbs um sehr viel Geld kauft, handelt er sich gleichzeitig ein Dilemma ein: Er muss das erworbene Produkt promoten, müsste aber gleichzeitig aus einer gewissen Distanz journalistisch darüber berichten – dieser Spagat geht sich nicht aus.

Selmer: Das Problem unkritischer Berichterstattung ist ja nicht allein ein österreichisches. Der deutsche Teamchef Julian Nagelsmann hat vor der EM bei einer Pressekonferenz die anwesenden Journalisten dazu aufgerufen, gemeinsam für ein erfolgreiches Turnier zu sorgen. Und als während einer TV-Übertragung eines anderen Spiels bei RTL/Magenta Lothar Matthäus als Experte eine Parallele zur schlechten deutschen Chancenverwertung gezogen hat, hat der Moderator vom deutschen Co-Trainer per Whatsapp eine Beschwerde bekommen – und die Kollegen haben sich dann für Matthäus' Bemerkung entschuldigt. Also an der Rollenklarheit hapert es auch in Deutschland.

"Oft betreiben Klubs ihre eigene Medienarbeit, die natürlich PR ist, kein unabhängiger Journalismus."

STANDARD: Das Fußballportal 90minuten.at ist jetzt von laola1.at gekauft worden. Die mediale Vielfalt ist in den vergangenen Jahren in Österreich nicht unbedingt größer geworden, oder? Woran liegt das?

Selmer: Das hat mehrere Gründe. Ganz allgemein gilt, dass die Branche im Wandel ist, als Erste haben ja die Sportzeitungen und -magazine ihre Aktivitäten einstellen müssen. Das liegt stark an der Zeitlichkeit – wenn alle Informationen fast in Echtzeit zu haben sind, tut man sich zum Beispiel mit klassischen Matchberichten schwer. Um in dem Umfeld zu überleben, braucht man andere, zeitlosere Formate. Eine andere Schwierigkeit betrifft den ohnehin schon kleinen österreichischen Markt: Der Spitzenfußball konzentriert sich immer stärker auf wenige Ligen, wenn nicht sogar Klubs. Es ist für ein österreichisches Medium nahezu unmöglich, näher dran zu sein als die Konkurrenz. Das gilt umso stärker, weil sich ja auch die Konkurrenz wandelt. Oft betreiben Klubs ihre eigene Medienarbeit, die natürlich PR ist, kein unabhängiger Journalismus.

STANDARD: Sie verlassen den Ballesterer nach zwölf Jahren als Chefredakteur. Warum?

Rosenberg: Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil ich den Job – zumindest fast – immer sehr gerne gemacht habe: Wo kann man sich schon beruflich mit dem Fußball beschäftigen, Geschichten über den Sport und darüber hinaus erzählen, unabhängig ein Blatt machen und mit einem großartigen Team arbeiten? Ich habe aber das Angebot bekommen, mich im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit zu widmen und mich letztlich für die neue Herausforderung entschieden. Auch weil die Arbeit des DÖW gesellschaftspolitisch extrem wichtig ist – und in der derzeitigen politischen Stimmungslage immer wichtiger wird. Ich weiß auch, dass der Ballesterer bei Moritz Ablinger und Nicole Selmer in den bestmöglichen Händen ist, das macht den Abschied leichter. Und ein kompletter Abschied ist es auch nicht, ich bleibe dem Ballesterer in wirtschaftlichen Funktionen erhalten.

Jakob Rosenberg gibt die Chefredaktion beim
Jakob Rosenberg gibt die Chefredaktion beim "Ballesterer" ab.
Daniel Shaked, Ballesterer

STANDARD: Was wird sich mit der neuen Chefredaktion ändern?

Selmer: Es ist natürlich ein Umbruch, für die Arbeit und auch persönlich. Das ist logisch, wenn man so lange in einem so kleinen Team zusammenarbeitet. Umso wichtiger war, dass wir die neue Besetzung und den Übergang zu dritt geplant und vorbereitet haben. Auf die gemeinsame Arbeit mit Moritz Ablinger in der Chefredaktion freue ich mich sehr, das ist eine gute Mischung aus Kontinuität und Erneuerung: Wir können manche Routinen aufbrechen, neue Akzente setzen, müssen und wollen gleichzeitig aber nicht von Grund auf alles anders machen.

Nicole Selmer übernimmt gemeinsam mit Moritz Ablinger die Chefredaktion beim
Nicole Selmer übernimmt gemeinsam mit Moritz Ablinger die Chefredaktion beim "Ballesterer".
Inka Marter, Ballesterer

STANDARD: Im Jahr 2020 stand der Ballesterer aufgrund von finanziellen Problemen vor dem Aus. Wie geht es dem Medium derzeit wirtschaftlich?

Rosenberg: Wir sind einigermaßen stabil, soweit sich das für ein Special-Interest-Magazin auf Papier überhaupt sagen lässt. Neben länger bekannten Schwierigkeiten wie dem kleinen österreichischen Markt und der abnehmenden Bereitschaft von potenziellen Werbekunden, im Printbereich zu schalten, spüren wir auch die Teuerung. Das betrifft sowohl die Herstellungskosten als auch eine allgemeine Zurückhaltung, Geld für Abos auszugeben. Dennoch haben wir mit der Kampagne "Ballesterer brennt" vor vier Jahren sehr deutlich erlebt, wie wichtig wir unseren Leserinnen und Lesern sind. Wir haben viele der damals neuen Abonnentinnen und Abonnenten mittlerweile auch längerfristig binden können. Das ist besonders wichtig, weil das Abogeschäft unsere Basis ist.

STANDARD: Der Ballesterer hat Online forciert und ein monothematisches Magazin auf den Markt gebracht. Print bleibt aber auf absehbare Zeit die primäre Erlösquelle, oder ließe sich auch mit Onlinejournalismus und etwa einer Paywall Geld verdienen?

Selmer: Wir diskutieren das Thema intern sehr stark, haben aber auch keine definitive Antwort. Gerade bei einem hochwertigen und haptisch ansprechenden Magazin ist die Zahlungsbereitschaft sicher nach wie vor höher als bei einem ebenso gut gemachten Longread online. Gleichzeitig führt an Online kein Weg vorbei, um andere Zielgruppen zu erreichen. Das sehen wir am Ballesterer-Podcast, der seit Ende 2021 existiert, auch eigenständige redaktionelle Themen aufgreift und tolle Zahlen erreicht. Wir werden Online sicher ausbauen und denken über neue Abomodelle nach. Aber eine Digitalisierungsstrategie bedeutet Investitionen, da gehen wir sehr vorsichtige Schritte, um uns nicht zu übernehmen.

STANDARD: Wie viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt das Medium? Und wie viele davon sind angestellt?

Rosenberg: Wir haben einen großen Pool an Autoren und Fotografinnen, an einer Ausgabe arbeiten dann meistens rund 30, 40 Personen mit. Der überwiegende Teil macht das freiberuflich auf Honorarbasis. Nach dem Wechsel in der Chefredaktion werden wir bei den Angestellten an den zwei Vollzeitäquivalenten kratzen, sie aber noch nicht ganz erreichen. Das Ziel ist, diese Hürde schnell zu überspringen. Erstens, um die Arbeitsbelastung zu reduzieren, zweitens, weil das als magische Grenze für so manche Förderung eingezogen wurde.

STANDARD: Die Regierung hat zahlreiche Medienförderungen reformiert und neu aufgesetzt. Bekommt der Ballesterer jetzt Presseförderung?

Selmer: Nein, wir fallen nach wie vor unter die wesentlich kleinere Publizistikförderung, aber auch die hilft uns. Unser Ziel ist aber, uns möglichst rasch für die Qualitätsjournalismusförderung zu qualifizieren, derzeit scheitern wir – so wie fast alle Magazine vergleichbarer Größe – noch an der Eintrittshürde der zwei angestellten Vollzeitäquivalente.

STANDARD: Im österreichischen Journalismus, und speziell auch im Sport, ist es noch immer eine Seltenheit, dass eine Frau an der Spitze steht. Warum?

Selmer: Außergewöhnlich ist eine Frau im Sportjournalismus und erst recht in Führungsposition vor allem für die anderen. Für mich sind mein Geschlecht und meine Arbeit ja selbstverständlich. Aber klar, ich bin die Situationen, in beruflichen Kontexten oft die einzige Frau zu sein, sehr leid. Ich wünschte, das käme seltener vor. Immerhin werden es langsam mehr Frauen, die in diesem Feld arbeiten, und eben auch im Männerfußball, nicht nur in der vermeintlichen Nische Frauenfußball. Mein Fußballnetzwerk ist sehr weiblich geprägt, darüber bin ich sehr froh, und das finde ich auch für die Ballesterer-Arbeit wichtig. Mehr Sichtbarkeit von Frauen im Fußball erreicht man nicht nur durch Chefredakteurinnen, sondern indem weibliche Fans, Funktionärinnen, Forscherinnen und so weiter möglichst selbstverständlich zu Wort kommen und im Bild sind.

STANDARD: Wenn Sie ein bisschen Bilanz ziehen: Was war Ihre Lieblingsgeschichte? Und was ist nicht gelungen?

Rosenberg: Ehrlich gestanden habe ich keine Lieblingsgeschichte, ich mag sehr viele sehr gerne. Wenn mir die Frage gestellt wird, erzähle ich eher Anekdoten, etwa davon, dass unser Kollege Robert Florencio auf der Pressekonferenz nach dem WM-Finale 2014 dem Weltmeistertrainer Joachim Löw die erste Frage stellen durfte – und ihn nach seinem Rauswurf bei der Austria befragt hat. Wenn ich Bilanz ziehe, geht es eher darum, dass ich sehr froh bin, dass es den Ballesterer seit bald 25 Jahren gibt. Das finde ich nicht nur wegen des schwierigen medialen Umfelds bemerkenswert, sondern auch wegen der Teamleistung. Es lassen sich immer wieder aufs Neue tolle Leute finden, die ihre Ideen und ihr Wissen einbringen und am Magazin mitarbeiten wollen. Rückschläge hat es natürlich auch einige gegeben, die finden sich dann aber hoffentlich nicht im Heft – das sind eher Ideen, die sich nicht haben umsetzen lassen, geplatzte Interviewtermine und so weiter.

"Grundsätzlich sehe ich es aber schon problematisch, dass die Spiele nicht auch im ORF zu sehen sind. Er hat einen öffentlich-rechtlichen Auftrag, und die Spiele sind kulturelle Ereignisse von öffentlichem Interesse."

STANDARD: Servus TV überträgt in Österreich die meisten Spiele der Fußball-EM. Als ein Medium, das die Kommerzialisierung des Fußballs und Red Bull immer sehr kritisch gesehen hat: Wie beurteilen Sie die Übertragungen?

Rosenberg: Sie haben sich auf jeden Fall etwas überlegt – und wissen, dass sie dank der Europameisterschaft Marktanteile erreichen, von denen sie sonst nur träumen können. Für die eigene Positionierung ist das sicher aufgegangen. Man kann den einen Experten oder den anderen besser finden, qualitativ finde ich aber nicht, dass sie sich wahnsinnig von den ORF-Übertragungen abheben. Grundsätzlich sehe ich es aber schon problematisch, dass die Spiele nicht auch im ORF zu sehen sind. Er hat einen öffentlich-rechtlichen Auftrag, und die Spiele sind kulturelle Ereignisse von öffentlichem Interesse. Bei der Rechtevergabe der Uefa siegt jedoch die Marktlogik über das öffentliche Interesse. Das kann man aber Servus TV nicht zum Vorwurf machen.

STANDARD: Wer wird Europameister?

Rosenberg: Wenn ich wetten müsste, würde ich auf Spanien tippen. Sie haben bisher den stärksten Eindruck hinterlassen, aber zum Glück gewinnt im Fußball nicht immer der Beste.

Selmer: Ich habe vorher auf England getippt und hoffe, dass Southgate und sein Team einfach bisher pokern. Und Österreich habe ich schon vor ein paar Wochen beim Journalismusfest in Innsbruck das Semifinale prognostiziert. Kein Grund, das zu ändern. (Oliver Mark, 1.7.2024)