Richter des EGMR.
Das Verfahren gegen Österreich war bis zum Sieg der Schweizer Klimaseniorinnen pausiert. Jetzt wird ihm "Priorität" eingeräumt.
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Nach der erfolgreichen Klimaklage gegen die Schweiz muss sich nun auch Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rechtfertigen. Grund ist die Klage eines Mannes, der an Multipler Sklerose leidet. Seine Symptome würden sich durch die steigenden Temperaturen verschlimmern; Österreich sei mitverantwortlich, weil es nicht genug gegen die Erderhitzung unternommen habe, so das Argument.

Eine erste Klimaklage des Mannes war im September 2020 vom österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) abgelehnt worden. Im Frühjahr 2021 brachte seine Anwältin Michaela Krömer eine Beschwerde beim EGMR ein. Jetzt, mehr als drei Jahre später, fordern die Straßburger Richter Österreich zu einer Stellungnahme auf und räumen dem Verfahren "Priorität" ein. Das bedeutet, dass der Gerichtshof sich intensiv mit dem Fall befasst und eine Entscheidung vorbereitet.

Klimaschädliche Steuern

Der Österreicher hatte sich im Jahr 2020 mit einem Individualantrag an den Verfassungsgerichtshof gewandt und Bestimmungen im Umsatzsteuergesetz, im Mineralölsteuergesetz und in der Luftfahrtbegünstigungsverordnung angefochten. Aus seiner Sicht fördern die Bestimmungen die Luftfahrtindustrie und verschärfen damit die Klimakrise. Der VfGH hatte seinen Antrag aus formalen Gründen abgelehnt.

Nach der darauf folgenden Beschwerde beim EGMR hatte dieser das Verfahren des Österreichers vorübergehend pausiert. Grund dafür war, dass sich der Gerichtshof zunächst mit dem Fall der Schweizer Klimaseniorinnen befassen wollte, bevor er weitere Entscheidungen in Sachen Klimaschutz trifft. Laut einer aktuellen Aussendung hat der EGMR dem Fall aus Österreich nun aufgrund der "Bedeutung und Dringlichkeit der aufgeworfenen Fragen und der angeblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands" der betroffenen Person "Priorität" eingeräumt.

Verurteilung möglich

Fachleute halten eine Verurteilung Österreichs für möglich, vor allem in Anbetracht der Entscheidung zu den Schweizer Klimaseniorinnen. Der EGMR entschied Anfang April dieses Jahres, dass die Schweiz aufgrund zu lascher Klimaschutzmaßnahmen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat.

Die Klage galt als erste Klimaklage, die vor dem EGMR verhandelt wurde, und hat für die europäische und österreichische Klimapolitik große Bedeutung. Der Gerichtshof stellte in seinem Urteil erstmals explizit klar, dass Menschen aufgrund der EMRK ein Recht darauf haben, "vor den schwerwiegenden negativen Auswirkungen des Klimawandels auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität" geschützt zu werden.

Hohe Hürden

In Österreich ist es aus rechtlichen Gründen schwieriger als in anderen Ländern, mit Klimaklagen erfolgreich zu sein. Die formalen Hürden für sogenannte Individualanträge beim Verfassungsgerichtshof sind äußerst hoch. Dazu kommt, dass mit derartigen Anträgen nur bestehende Gesetze angefochten werden können. Es gibt keine Möglichkeit, ein aktives Tun des Gesetzgebers einzuklagen.

Erst in der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass die Klimaklage mehrerer Minderjähriger gegen das aktuelle Klimaschutzgesetz aus formalen Gründen gescheitert ist. Schon im Vorjahr war ein Antrag von zwölf Kindern und Jugendlichen vom VfGH zurückgewiesen worden. "Auch eine Ablehnung könnte konstruktiv sein, jedoch verschafft diese Entscheidung keine Klarheit", sagt Anwältin Krömer, die in beiden Verfahren vertreten hat. "Damit besteht das Risiko, dass unser Rechtssystem den Anschluss zur aktuellen Realität verliert. Im Gegensatz dazu stehen andere Höchstgerichte weltweit und national, die ein Recht auf Klimaschutz bekräftigen."

In ihrer aktuellen Beschwerde vor dem Gerichtshof für Menschenrechte macht Krömer neben einem Verstoß gegen die Grundrechte auf Leben und Privatsphäre deshalb zusätzlich geltend, dass es in Österreich keinen ordentlichen Rechtsschutz in Sachen Klimaschutz gibt. Artikel 13 der EMRK garantiere ein "Recht auf wirksame Beschwerde". Dieses Recht sei Klimaklägerinnen und Klimaklägern hierzulande verwehrt.

In anderen Ländern waren Klimaklagen in der Vergangenheit dagegen mitunter erfolgreich. Wegweisend war etwa die Klage der Umweltorganisation Urgenda gegen die niederländische Regierung, die im Jahr 2019 erfolgreich war. Auch in Deutschland drang eine Klage gegen das zu lasche Klimaschutzgesetz im Jahr 2021 durch. (Jakob Pflügl, 1.7.2024)